In gewisser Hinsicht kann man Carla Bley als das weibliche, jazzorientierte Gegenstück zu Frank Zappa bezeichnen. Im kompositorischen Œuvre beider spielen Humor, Spott und Sinn für Skurriles eine ebenso wichtige Rollen wie harmonische und rhythmische Finesse oder das Gespür für einprägsame, aber dennoch unberechenbare Melodien. Und wie Zappa erlernte auch Carla Bley ihr Handwerk größtenteils autodidaktisch.
Als Tochter eines Klavierlehrers und Kirchenorganisten wuchs die 1936 in Oakland geborene Carla Bley (gebürtig: Carla Borg) zwar in einem musikalischen Umfeld auf, doch ihr rebellischer Geist machte sich früh bemerkbar: den Musikunterricht ließ sie mit acht Jahren sausen, die Schule nach Abschluss der zehnten Klasse. Wesentlicher aufregender schien dem jazzbegeisterten Teenager damals, nach New York zu ziehen und sich mit Gelegenheitsjobs in Jazzclubs wie dem Birdland, Basin Street, der Jazz Gallery und dem Five Spot durchzuschlagen. Denn dort konnte sie den von ihr verehrten Musikern näher kommen. Einem – dem Pianisten Paul Bley – kam sie dabei so nahe, dass sie ihn 1957 heiratete. Er war es auch, der Carla dazu ermunterte selber zu komponieren und sie mit nonkonformen Musikern wie Ornette Coleman bekanntmachte.
In den 60ern wurden einige Kompositionen Carla Bleys von innovativen Jazzern wie George Russell, Jimmy Giuffre und Tony Williams aufgegriffen. Carla wurde Mitglied der Jazz Composer’s Guild, in der sie Ehemann Nummer 2 kennenlernte: den aus Österreich stammenden Trompeter und Komponisten Michael Mantler. Gemeinsam gründeten sie das Jazz Composers Orchestra, das bis 1975 bestehen blieb. Erste größere Anerkennung fand Carla mit Kompositionen, die sie Ende der 1960er Jahre für Gary Burton und Charlie Hadens Liberation Music Orchestra schrieb. Dann brachte sie 1971 ihr erstes Album unter eigenem Namen heraus, das – nicht zuletzt dank der Mitwirkung von Ex-Cream-Bassist/Sänger Jack Bruce und Linda Ronstadt – über die Jazzszene hinaus für Furore sorgte: “Escalator Over The Hill”. Der britische Melody Maker kürte das Werk – eine surreale Jazzoper mit Rock-, Weltmusik- und Musiktheaterelementen – zum “Jazzalbum des Jahres”. In Frankreich wurde es mit einem Grand Prix du Disque ausgezeichnet. Und heute gilt es, laut dem Kultursender Arte, als eine der “Jahrhundertaufnahmen des Jazz”.
1972 gründete Carla Bley mit Michael Mantler ihr eigenes Label WATT, auf dem sie seitdem all ihre Alben veröffentlicht. Darauf präsentiert sie sich in den unterschiedlichsten Konstellationen: vom Duett mit Bassist Steve Swallow bis zur Bigband, die sie stets mit einigen der besten Musiker aus den USA und Europa besetzt. Ihre Einspielungen haben oftmals programmatischen Charakter. Zu den absoluten Highlights zählen die Alben “Tropic Appetites” (1974), “Dinner Music” und “European Tour 1977” (1977), “Social Studies” (1981), “Fleur Carnivore” (1988), “The Carla Bley Big Band Goes To Church” (1996), und “The Lost Chords Find Paolo Fresu” (2007), die im All Music Guide allesamt mit viereinhalb von fünf möglichen Sternen ausgezeichnet wurden. Hervorragende Kritiken erhielt sie 2009 auch für ihr letztes Album “Carla’s Christmas Carols”, das sich wohltuend aus der Masse der ewig gleich klingenden Weihnachtsalben abhob.
Neben ihren eigenen Projekten findet Carla Bley aber auch immer wieder Zeit, bei Einspielungen von Freunden und Bandkollegen mitzuwirken: mit dem Liberation Music Orchestra nahm sie vier Alben auf, mit Michael Mantler acht und mit Steve Swallow sieben. Darüber hinaus kann man sie auch auf Alben von Jack Bruce, Pink-Floyd-Schlagzeuger Nick Mason, den Golden Palominos, Gary Windo und Henry-Cow-Bassist John Greaves hören.