Auf dem Nachfolger ihres gefeierten Majorlabel-Debüts “Kiss” (2012), auf dem auch die für gleich zwei Grammys nominierte Hit-Single “Call Me Maybe” vertreten war, verpasst Carly Rae Jepsen ihrem von Hooks durchzogenen, gefühlsbetonten Pop-Sound noch mehr Tiefgang, indem sie ganz neue Elemente in ihr Songwriting einfließen lässt: Inspiriert vom klassischen Pop der beginnenden Achtziger, setzt sie auf “E·MO·TION” – wie der Titel schon sagt – auf pure Emotionen und hebelt sämtliche Widersprüche der Popmusik kurzerhand aus, denn ihre neuen Songs klingen zugleich unbekümmert und introspektiv, gefühlvoll und extrem selbstbewusst. “Als ich mit der Arbeit an diesem Album begann, lautete mein einziges Ziel, mir wirklich Zeit zu lassen und etwas zu kreieren, auf das ich echt stolz sein konnte. Ich wollte auch die ganzen anderen Seiten meiner Persönlichkeit zeigen, die ich noch nie in meinen Songs präsentiert hatte”, so Jepsens Kommentar.
Nach vielen Experimenten, vielen Reisen, viel Reflexion über die eigenen Ideen, war der erste Vorgeschmack auf “E·MO·TION” die Vorab-Auskopplung “I Really Like You”, die postwendend die Top−40 der Billboard-Charts aufmischte und von BuzzFeed als “vollkommene Pop-Perfektion” bezeichnet wurde, während Idolator den Song als “mind-blowing, fantastic, catchy-as-hell pop” klassifizierte. Obwohl viele der neuen Stücke bereits im Tour-Bus erste Form annahmen, während Jepsen ihr Debüt-Album “Kiss” rund um den Globus live präsentierte, holte sie für die Arbeit an “E·MO·TION” auch diverse Songwriter an ihre Seite – unter anderem Sia, Devonté Hynes (bekannt als Blood Orange) und Ariel Rechtshaid (Haim, Madonna, Vampire Weekend). Und als es dann an die eigentlichen Aufnahmen ging, flog sie von New York nach L.A. und dann weiter nach London und Stockholm, um dort mit ausgewählten Produzenten wie z.B. Mattman & Robin (Tove Lo, Taylor Swift), Greg Kurstin (Charli XCX, Katy Perry) sowie Carl Falk und Rami Yacoub (Ariana Grande, One Direction) zu arbeiten.
Die Melodien, die so entstanden sind, vielschichtig, verschlungen, schillernd und absolut eingängig, vertonen sowohl die Euphorie, als auch die Bedenken, die es mit sich bringt, dem eigenen Herzen zu folgen: “Ein Großteil des Albums handelt davon, dass ich mein Leben wieder mehr in der Hand haben wollte”, berichtet Jepsen. “Ich hatte kurze Zeit davor eine Trennung durchgemacht, war nach New York gezogen, und das alles war einfach so unglaublich neu für mich, dass es schon auch etwas Bedrohliches hatte – aber zugleich hatte ich das Gefühl, nun endlich zeigen zu können, wer ich wirklich bin.” Als es dann darum ging, dem Album einen Titel zu geben, entschied sie sich ganz bewusst für ein Wort, das auf den ersten Blick ganz simpel wirkt: „Ich war bei einem Fotoshooting und schaute die exakte Bedeutung des Begriffs ‘emotion’ nach", erinnert sie sich, “und das Textbeispiel, das da angeführt war, fand ich einfach zu passend: ‘Sie versuchte, ihre Emotionen unter Kontrolle zu bekommen.’ Denn letztlich war es genau das, was ich mit diesen ganzen Songs auch versuchte.”
Schon auf dem epischen Eröffnungstrack “Run Away With Me” verwandelt sie eine fieberhafte, schwer greifbare Sehnsucht per Fluchtplan in pure Euphorie: “Der Song handelt davon, unglaublich lang von einem anderen Menschen getrennt zu sein, so dass man dieses eine Wochenende, das man zusammen hat, wirklich auskosten muss. Dieses Bild ist so romantisch, dass es echt kaum noch was mit der Realität zu tun hat, aber gerade das macht die Sache so magisch und besonders.” Es folgt der Titelsong von “E·MO·TION”, dessen Mix aus massiven Beats und luftigen Synthesizer-Sounds in grandiosem Kontrast zum Inhalt des Stücks steht, wenn Jepsen Themen wie das eigene Verlangen und die eigene Stärke adressiert (Zitat: „Tell me there is nothing I can’t have and nothing you won’t do“). Das von Pitchfork mit dem “Best New Track”-Prädikat versehene “All That”, eine verträumte Klavierballade, feierte der US-Rolling Stone bereits als einen “an die Paisley Park-Ära anknüpfenden Slow Jam, der an Princes Klassiker ‘The Beautiful Ones’ vom ‘Purple Rain’-Album erinnert.” Mit dem atemlos-hypnotischen “Gimmie Love” präsentiert Jepsen auf “E·MO·TION” auch gefühlvollen Retro-Dance-Pop, während sie auf dem launischen “Your Type” – ein Song über einen Menschen, mit dem sie laut eigener Aussage “so ein Kumpelding” am Laufen hatte “und sich damit irgendwie arrangieren” musste – ihre Stimme grandios dazu einsetzt, das gesamte Gefühlsspektrum einzufangen, das so eine einseitige Liebe mit sich bringt: Eifersucht, Reue, Herzschmerz, schließlich die Hoffnung, dass doch noch etwas passiert.
Die Entscheidung, in den Songs, die sie für “E·MO·TION” aufnehmen würde, wirklich kein Blatt vor den Mund zu nehmen, fällte Jepsen schon vor einigen Jahren, nachdem sie ein Konzert von Cyndi Lauper in Japan gesehen hatte: “Ich war wirklich tief beeindruckt von ihrer Musik – die Art und Weise, wie eingängig ihre Songs sind und wie viel Gefühl trotzdem in ihnen liegt”, kommentiert sie. “Im Pop der Achtziger war diese Mischung jedoch keine Seltenheit, und deshalb fasste ich den Entschluss, genau diese Dynamik in meinen eigenen Stücken weiter zu erforschen.” Auch als sie dann 2014 in der Broadway-Produktion “Rodgers & Hammerstein’s Cinderella” die Hauptrolle übernahm – wofür sie von den Kritikern durch die Bank gefeiert wurde –, setzte Jepsen parallel dazu die Arbeit fort und tauchte immer tiefer in den Eighties-Kosmos ein. “Rodgers & Hammerstein haben wahnsinnig schöne Sachen gemacht, aber trotzdem muss man sich zwischendurch auch einfach mal die Ohren durchspülen, weshalb ich morgens beim Joggen immer klassische Prince-Alben und frühe Aufnahmen von Madonna gehört habe.”
Während sie also an den Songs arbeitete, die schließlich auf “E·MO·TION” landen sollten, nahm sich die Kanadierin bewusst sehr viel Zeit: Sie wollte nichts überstürzen, sich auf etliche Experimente einlassen, um ohne Eile bei genau dem Sound zu landen, der ihr vorschwebte. “Dadurch, dass ich mir so viel Zeit gelassen und wirklich darauf geachtet habe, dass jeder einzelne von diesen Songs mich persönlich umhaut, fühlte sich das alles wieder genau wie damals an – es war dieselbe Energie, die in der Luft lag, als ich meine allerersten Songs geschrieben habe”, berichtet Jepsen und bezieht sich damit auf ihre Teenager-Jahre, als sie in British Columbia mit der Musik von Van Morrison und James Taylor aufwuchs. “Der allererste Song, den ich selbst geschrieben habe, war genau genommen ein Brief an einen Typen, auf den ich zu der Zeit stand. Er klang noch voll amateurhaft, aber ich war sofort infiziert, weil es sich so wahnsinnig gut anfühlte, die passenden Melodien zu meinen Gefühlen zu suchen.” Nachdem sie schon 2008 ihr erstes Album “Tug of War” auf eigene Faust veröffentlicht hatte, landete Jepsen ein paar Jahre später einen Deal mit Schoolboy Records/Interscope und machte sich sofort daran, ihr Major-Debüt “Kiss” aufzunehmen. Und während sich ihre Single “Call Me Maybe” als Mega-Hit entpuppte – sie belegte Platz eins der iTunes-Charts in sage und schreibe 47 Ländern, verkaufte sich über 17 Millionen Mal, ging hierzulande in die Top−3 der Media Control Charts und wurde 2012 für gleich zwei GRAMMYs in den Kategorien “Best Pop Solo Performance” und “Song of the Year” nominiert –, mischte sie auch mit “Good Time”, einem Duett mit Owl City, die Charts auf und gewann jede Menge Edelmetall (Gold in Deutschland, 2x Platin in den USA).
Wie intensiv der Songwriting-Prozess dieses Mal war, belegt schon die Tatsache, dass Jepsen hinterher eine Auswahl aus weit über 100 Songideen treffen musste: “So viele Stücke zu schreiben und daraus dann die paar Songs auszuwählen, die es aufs Album schaffen sollten, war in mehrfacher Hinsicht hart: Schließlich tut es einfach weh, seine Schätze im Stich zu lassen”, meint die Sängerin. “Nur fühlte es sich trotzdem nie wirklich wie Arbeit an, weil mir das Schreiben von Songs einfach so wahnsinnig viel Spaß macht.” Auch wenn sie weniger Spaß bei der Sache hätte, würde Jepsen wohl keinen Aufwand scheuen – weil sie einfach alles dafür tut, eine Verbindung, eine “connection” mit ihren Fans herzustellen. “Deshalb stehe ich ja so auf diese Pop-Nummern aus den Achtzigern, weil sie so unglaublich zeitlos klingen und man sie einfach perfekt in den Soundtrack zum eigenen Leben verwandeln kann. Denn so persönlich die Songs von ‘E·MO·TION’ für mich sind, geht es mir letztlich darum, dass sie jeder einzelne zu seinen Songs macht und diese Stücke mit eigenen Emotionen füllt. Nichts gibt mir ein besseres Gefühl, als die Tatsache, dass wir alle ganz ähnliche Geschichten und Erfahrungen miteinander teilen können, obwohl wir uns ja eigentlich gar nicht kennen.”