“Zuerst war da die sanfte Stille, dann kamen leuchtende, tropische Farben ins Spiel, und als ihr Konzert den Höhepunkt erreichte, geriet es zu einer tänzerischen, freudigen Feier des Lebens”, beschrieb der Journalist Irwin Block 1989 in der “Montréal Gazette” seine Eindrücke von dem Duo-Konzert, das Charlie Haden und Egberto Gismonti im Rahmen des “Festival International de Jazz de Montréal” gegeben hatten.
Das Konzert, von dem Block damals berichtete, war Teil einer recht außergewöhnlichen Auftrittsreihe. Denn 1989 hatten die Organisatoren des “Festival International de Jazz de Montréal” dem Bassisten Charlie Haden eine Serie von insgesamt acht Konzerten mit Musikern seiner Wahl ermöglicht. Eine wirklich einmalige Chance für den Bassisten, seine schon des öfteren beschworene Vielseitigkeit in aller Deutlichkeit unter Beweis zu stellen. An acht aufeinanderfolgenden Abenden präsentierte sich Haden mit immer wieder anderen Musikern, wobei er dem Trio-Format oftmals den Vorzug gab.
So trat er am ersten Abend, dem 30. Juni 1989, zunächst mit Joe Henderson und Al Foster auf, und danach – in chronologischer Reihenfolge – mit Geri Allen und Paul Motian, mit Don Cherry und Ed Blackwell, mit Gonzalo Rubalcaba und Paul Motian, mit Pat Metheny und Jack DeJohnette, im Duo mit Egberto Gismonti, mit Paul Bley und einmal mehr Paul Motian sowie schließlich am 8. Juli mit dem Liberation Music Orchestra (besetzt mit Tom Harrell, Stanton Davis, Ken McIntyre, Ernie Watts, Joe Lovano, Ray Anderson, Sharon Freeman, Joe Daley, Mick Goodrick, Geri Allen und Paul Motian).
Nachdem in den letzten paar Jahren bereits fünf der acht Konzertmitschnitte (siehe Diskographie am Ende dieses Textes) auf Verve veröffentlicht worden sind, erscheint die CD mit den Aufnahmen des Duos Charlie Haden/Egberto Gismonti nun bei ECM.
Bei keinem der anderen Konzerte dieser Reihe ließ Charlie Haden den Jazz so weit hinter sich wie bei seinem Zusammenspiel mit dem brasilianischen Gitarristen und Pianisten Egberto Gismonti, aus dessen Feder die meisten der auf dieser CD versammelten Songs stammen. Das musikalische Terrain war dem Bassisten dennoch nicht ganz unbekannt, hatte er doch schon Ende der 70er Jahre gemeinsam mit Egberto Gismonti und Jan Garbarek ein Trio unterhalten, das ein paar gefeierte Konzerte in Europa gab sowie die beiden auch heute noch geschätzten Alben “Magico” und “Folk Songs” aufnahm.
“Palhaço”, eines der vielen stimmungsvollen Stücke, die Gismonti damals für das Trio geschrieben hatte und das seinerzeit zum Repertoire des “Magico”-Trio-Albums gehörte, ist auf “In Montréal” ebenso wiederzuhören wie “Silence”, eine Komposition Hadens, die dieser im Laufe seiner Karriere immer wieder neu interpretierte [es gibt u.a. noch eine sehr temperamentvolle Version des Stückes mit Dino Saluzzi auf “Once Upon A Time – Far Away In The South” sowie eine weitere Interpretation auf “The Montréal Tapes” mit Gonzalo Rubalcaba und Paul Motian]. Vier weitere der in Montréal präsentierten Gismonti-Kompositionen – nämlich “Maracatú”, “Em família”, “Lôro” und “Frevo” – stammen ursprünglich von dem Doppelalbum “Sanfona” , das der Brasilianer 1981 mit seiner Band Academia De Danças aufnahm. “Don Quixote” wiederum erschien erstmals 1985 auf dem Album “Duas Vozes” , das Gismonti im Duo mit Naná Vasconcelos eingespielt hatte. Die Kompositionen Egberto Gismontis sind ein kleiner Streifzug durch die Vielfalt der Tanzmusiken des brasilianischen Nordostens: u.a. sind hier zwei Maracatus, ein Frevo und ein Forró (dieser Tanz und die dazugehörige Musik sind in Brasilien gerade erst wieder massiv in Mode geraten) zu hören.
Während “In Montréal” für Charlie Haden die erste ECM-Veröffentlichung seit 16 Jahren ist, gehört Egberto Gismonti seit 1976, als er (im Duo mit dem Percussionisten Naná Vasconcelos) sein erstes Album “Dança Das Cabeças” (ECM 1089 / Universal Music 827 750) bei dem Münchner Label vorlegte, zu den festen ECM-Größen. Seit 1991 werden in Europa über ECM auch die Produktionen vertrieben, die Gismonti in Brasilien auf seinem eigenen Label Carmo herausbringt. Gismontis Diskographie umfaßt bis dato 26 ECM-/Carmo-Alben.
Charlie Haden, der in den 90er Jahren bei Verve ein Erfolgsalbum nach dem anderen veröffentlichte und zu einem der am meisten gefeierten Jazzmusiker der Gegenwart avancierte, ließ die Jazzwelt erst vor wenigen Monaten mit dem atemberaubend schönen Album “Nocturne” aufhorchen, auf dem er – in enger Zusammenarbeit mit dem Pianisten Gonzalo Rubalcaba – kubanische und mexikanische Boleros interpretierte.
Die anderen bisher erschienenen CDs der Charlie Haden-Serie “The Montréal Tapes”:
The Montréal Tapes with Paul Bley & Paul Motian Verve 5232592
The Montréal Tapes with Don Cherry & Ed Blackwell Verve 5232602
The Montréal Tapes with the Liberation Music Orchestra Verve 5274692
The Montréal Tapes with Geri Allen & Paul Motian Verve 5374832
The Montréal Tapes with Gonzalo Rubalcaba & Paul Motian Verve 5376702
Musiker: Charlie Haden – double-bass / Egberto Gismonti – guitars & piano