Colbie Caillat | Biografie

COLBIE CAILLAT „All Of You“

„All Of You“, das dritte Album von US-Senkrechtstarterin Colbie Caillat, ist ein einzigartiges Hörerlebnis: Es fühlt sich eher so an, als würde man das nächste Kapitel eines Romans aufschlagen, dessen ersten beiden Kapitel man regelrecht verschlungen hat; man blättert also hastig um – und stellt schon wieder positiv überrascht fest, was für grandiose Wendungen diese Geschichte doch nimmt. 
 
Was diese Wendungen betrifft, keine Panik: Wo Caillat draufsteht ist nach wie vor Caillat drin. „All Of You“ ist genau die Art von Pop-Meisterstück, wie sie nur die 25-Jährige komponieren kann. Diejenigen Attribute, die schon die ersten Stücke ihres Debütalbums „Coco“ im Jahr 2007 auszeichneten – diese ausgelassene Stimmung, diese auf wenige Minuten komprimierten Höhenflüge – und die auch „Breakthrough“ (2009) ausmachten, stehen auch dieses Mal durchweg im Vordergrund. Der einzige Unterschied ist, dass ihre Songs nun sehr viel reifer klingen und quasi in der Art von Blüte stehen, die man als Künstler/in wohl nur erreicht, wenn man es geschafft hat, seine Ängste zu überwinden und sämtliche Lektionen, die einem das Leben gelehrt hat, in die Musik einfließen lässt.
 
Blicken wir mal für einen Moment zurück: „Coco“ stieg vor knapp vier Jahren in den USA gleich in der ersten Woche auf Platz #5 in die Charts ein (in Deutschland ebenfalls Top−15) – danach gab es binnen kürzester Zeit diverse Platinauszeichnungen. Ihre erste Single „Bubbly“ traf den Geschmack einer ganzen Generation und entpuppte sich als eine der erfolgreichsten Download-Singles aller Zeiten. Im Billboard-Magazin wurde Colbie in dem Jahr mal eben zum „Breakthrough Artist of the Year“ gewählt. Und dann kam – wie passend – „Breakthrough“, ihr zweites Album: Auf Anhieb Platz #1 in den USA (Platz #9 in Deutschland), später dann zwei Grammy-Nominierungen dafür, wobei Colbie im selben Jahr auch zwei Grammys gewinnen sollte, allerdings für ihre Arbeit mit Jason Mraz und Taylor Swift. Dann durfte sie die Nationalhymne beim Eröffnungsspiel der diesjährigen NFL-Saison singen und trat erst kurz vor dem Jahreswechsel beim Nobel-Friedenspreiskonzert in Oslo auf. Darüber hinaus waren sie und ihre Songs andauernd im Fernsehen zu sehen bzw. zu hören – mal war es eine Kampagne für Baumwolle, dann war es das US-Weihnachtsspecial „25 Days of Christmas“ (ABC), für das sie die Titelmelodie komponieren durfte. Parallel dazu hat sie sich auch immer wieder als Aktivistin stark gemacht – unter anderem für die Surfrider Foundation, für Save The Music und die Humane Society, für die sie neuerdings als Sprecherin unterwegs ist.
 
Jetzt schon eine lange, lange Liste von Erfolgen, keine Frage. Und doch wurde all das von einer Künstlerin erreicht, die gerade erst dabei war, ihre Flügel auszubreiten. Einer Künstlerin noch dazu, die sich es nicht hat nehmen lassen, die Welt auch weiterhin zu erkunden, auch wenn ihre Musik plötzlich überall lief und ihr Name schlagartig in aller Munde war. Diese Erfahrungen, wobei die wichtigste wohl ein neues Liebesglück war, haben dazu beigetragen, dass „All Of You“ noch viel mehr Tiefgang hat als die ersten beiden Alben. Allein darum ist es ein gewaltiger Schritt, den die 25-Jährige mit dieser LP macht.
 
„Ich würde sagen, dass ‘All Of You’ für eine ganz neue Version meines Sounds steht“, meint Colbie. „Mir ist es wichtig, dass meine Lieder weiterhin akustisch sind. In ihnen soll Sonnenschein und gute Laune rauszuhören sein, und deshalb haben diese neuen Songs auch noch immer dieses lockere Kalifornien-Feeling, diesen Vibe, auf den ich so sehr stehe. Zugleich sind es aber persönliche Stücke, in denen ich meine eigenen Erfahrungen thematisiere und verarbeite.“
 
Die wohl wichtigste Erfahrung, um die es hier geht, ist natürlich ihre Beziehung zu Justin Young. Die beiden kannten sich schon mehrere Jahre – quasi „von der Arbeit“: Justin war der Hintergrundsänger bei Colbies Konzerten. Und dann kam es so, wie sie in „Brighter Than The Sun“ singt: „this is how it starts – lightning strikes the heart“; der Blitz schlug also ein: „Er war schon zwei Jahre lang in meiner Band gewesen, als uns schließlich auffiel, dass da irgendwie mehr war zwischen uns“, berichtet Caillat lachend. „Weite Teile des neuen Albums handeln von uns beiden; von den Höhen und Tiefen unserer Beziehung. Überhaupt habe ich in allen Texten irgendwelche Erfahrungen und Lektionen verarbeitet, wodurch die Platte wahrscheinlich schon etwas reifer klingt und die Perspektive zugleich etwas weiser wirkt, wenn man das so sagen kann.“
 
Diese reifere Perspektive zeigt sich beispielsweise im Fall von „Shadow“, für das sie und ihr Justin einen Text über eine Freundin geschrieben haben, die von ihrem Freund wiederum nicht das bekommt, was sie verdient hätte. Auch in der ersten Singleauskopplung „I Do“, ein Song, den Colbie mit Toby Gad geschrieben hat, flackert sie auf – wenn auch verpackt mit sehr viel mehr Witz: Während der Mitschnipp-Beat sofort in die Beine geht, dreht sich hier alles um das heilige Ehegelübde – bis dann die überraschende Pointe ganz am Schluss kommt. (Mehr wird nicht verraten.)
 
„Als die Vorschläge der unterschiedlichen Regisseure für das Video zu ‘I Do’ bei uns auf dem Tisch landeten, gab es da eine Konstante: Sie alle wollten eine Hochzeitsszene drehen“, berichtet Colbie. „Dabei geht es im Grunde genommen gar nicht ums Heiraten. Es geht einfach nur um die Worte ‘Ich liebe dich’. Es ist also noch so ein Song über Justin; darüber, wie man einem anderen Menschen diese drei Worte sagen will und sich vorstellt, mit ihm gemeinsam alt zu werden.“
 
Dass Colbie als Songschreiberin und Texterin in den letzten paar Jahren sehr viel dazugelernt hat und sie reifer geworden ist, bedeutet jedoch nicht, dass der Optimismus, den man von ihr kennt und der bei all ihren Stücken mitschwingt, ihr mit einem Mal abhanden gekommen wäre. Ihr Markenzeichen ist auf „All Of You“ sogar noch deutlicher präsent: vom ausgelassenen Rundumschlag namens „Favorite Song“, komponiert und präsentiert von Colbie, Ryan Tedder und dem Rapper Common, über den leichten Country-Einschlag von „In Stereo“ bis hin zum Flamenco-Feuerwerk von „Brighter Than The Sun“ – beste Party-Stimmung, wohin man auch schaut. „Brighter Than The Sun“ ist zugleich das Eröffnungsstück des neuen Longplayers: Hier wird man als Zuhörer direkt auf eine Beach-Party katapultiert, während Colbie mit dem Thema Liebe auf den ersten Blick loslegt.
 
„Normalerweise fange ich eher seicht und behutsam an auf meinen Alben“, sagt sie über das Stück. „‘Brighter Than The Sun’ hat jedoch richtig Druck. Der Song geht dermaßen nach vorne und verbreitet sofort gute Laune! Ehrlich gesagt war es die Idee meines Managers, das Album damit zu eröffnen, und er lag vollkommen richtig damit. Der Song ist perfekt dafür, weil es sofort zur Sache geht und man dadurch als Zuhörer automatisch Lust auf Mehr bekommt. Jeder einzelne Abschnitt des Songs beginnt mit einem anderen Instrument; es gibt da keine Wiederholungen – auch dadurch will man wissen, wie es danach wohl weitergeht.“
 
Der Song „What If“, der schon im Kinofilm „Briefe an Julia“ zu hören war, handelt auch vom Thema Liebe auf den ersten Blick, ganz gleich, ob nun wirklich etwas passiert ist oder alles nur im Kopf stattgefunden hat: „Ich kenne das von mir selbst, und ich weiß, dass das jedem schon mal passiert ist“, meint Colbie über dieses Phänomen, das einen mitunter jahrelang verfolgen kann. „Du siehst einen Menschen, vielleicht nur von weitem oder man trifft sich ganz beiläufig, und irgendwie sieht dieses Gegenüber haargenau wie derjenige Mensch aus, den man sich schon immer als Traumpartner vorgestellt hat. Als Frau überprüfst du als nächstes, ob sein Nachname zu deinem Vornamen passen würde. Genau wie damals in der Schule schreibst du seinen Nachnamen zusammen mit deinem Vornamen auf. Das alles ist natürlich nur Träumerei, ein lächerlicher Zeitvertreib, dem man nachgeht, wenn man gerade nichts zu tun hat. Und doch steht da immer auch diese Frage im Raum: ‘Was wäre, wenn wir doch füreinander bestimmt waren? Was, wenn wir zwei nun geboren wurden, um unser Leben gemeinsam zu verbringen?’“
 
Wohl kaum ein Track sagt so viel über ihr drittes Album aus wie das Titelstück: Der von Colbie und Jason Reeves komponierte Song handelt von einer Beziehung, die auf einer dermaßen intensiven Freundschaft basiert und auf einem so stabilen Fundament steht, dass selbst ein Fall von Untreue nicht daran rütteln kann. „Ich habe wirklich kein Blatt vor den Mund genommen und absolut gar nichts ausgelassen“, so Colbie. „Ich hab kein Thema ausgespart, weil ich der Überzeugung bin, dass wir alle ehrlicher und offener miteinander umgehen sollten, und zwar in jeder Hinsicht. Schluss mit den ganzen Geheimnissen, und weg mit den Masken, hinter denen man sein wahres Selbst versteckt. Das ist die Kernidee dieses neuen Albums.“
 
Indem sie fünf unterschiedliche Produzenten und eine Reihe von Musikergrößen im Studio um sich versammelt hat, ist „All Of You“ nach und nach zu einem vielschichtigen Selbstporträt von Colbie herangewachsen. Im Gegenteil zu vielen anderen ihrer Zeitgenossen (womit sowohl alte Hasen als auch Newcomer gemeint sind) beweist sie, dass man sehr wohl die richtige Balance finden kann, auch wenn man sich auf kreatives Neuland bewegt. Sie lässt ihre Fans mit der neuen LP sehr viel näher an sich heran als je zuvor; sie öffnet sich für einen Blick in die Vergangenheit und zeigt zugleich im Verlauf dieser 14 brandneuen Songs, was ihr für die Zukunft vorschwebt.
 
„Es ist wirklich wahr: Wenn man seine ersten eigenen Songs schreibt, dann geschieht das in diesem Freiraum, weil es noch ohne Erwartungen geschieht“, gibt Colbie abschließend zu bedenken. „Die Stücke für ‘Coco’ hab ich ohne Hintergedanken geschrieben, einfach nur, weil ich Lust darauf hatte: Ich saß mit meinem Freund Jason Reeves daheim, und wir haben einfach losgelegt. Im Fall von ‘Breakthrough’ musste ich dann schon sehr genau ausloten, inwiefern ich den Tipps und Ratschlägen anderer Leute Gehör schenke, beziehungsweise bis zu welchem Punkt ich mir und meinem ursprünglichen Ansatz treu bleiben wollte. Und bei ‘All Of You’ nehme ich das alles einfach gar nicht mehr so ernst und präsentiere durchweg nur das, was mir in den Sinn kommt. Darum ist dieses Album noch viel persönlicher als die beiden Vorgänger.“ 
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