LA Divine
Mit ihrem sechsten Album LA Divine verneigen sich Cold War Kids vor ihrer Wahlheimat Los Angeles und zelebrieren die Westküstenmetropole in all ihren schräg-schillernden Facetten. Der Titel des Nachfolgers zu Hold My Home (2014), auf dem auch die vergoldete Single „First“ vertreten war, ist dabei durchaus mit einem Augenzwinkern zu verstehen: „In vielerlei Hinsicht ist LA schließlich diejenige Stadt, in der am wenigsten Platz für Göttliches bleibt: Hedonismus und Respektlosigkeit sind wohl an keinem anderen Ort so weit verbreitet wie hier, und kein Ort ist dermaßen abgekoppelt von der Geschichte“, meint Nathan Willett, der Sänger, Gitarrist und Klavierspieler der Band. Aufgewachsen im südlich davon gelegenen Long Beach, vertonen Cold War Kids mit dem neuen Werk gleichwohl jene Faszination, die Los Angeles schon immer auf sie ausgeübt hat. „LA ist einfach so riesengroß, dass ich wirklich den Eindruck habe, immer wieder etwas Neues in der Stadt entdecken zu können“, meint Bassist Matt Maust. „Und es ist einfach ein wahnsinnig schräger Ort. Ich persönlich find’s fantastisch, dass wir ein Album gemacht haben, das genau diese schräge Seite davon zelebriert.“
Das bereits erwähnte Gefühl, immer wieder Neues entdecken zu können, zeichnet dabei auch weite Teile von LA Divine aus, denn es ist ganz klar das bis dato offenste und ambitionierteste Werk der Band. Während ihr gefeiertes Debütalbum Robbers & Cowards (2006 veröffentlicht, nachdem zuvor ihre erste Hit-Single „Hang Me Up To Dry“ erschienen war) inzwischen das 10-jährige Jubiläum hinter sich hat, begegnet man auf dem kommenden Studioalbum einer Band, die eine vollkommen neue Energie, eine neue Art von Begeisterung kanalisiert: „Ja, also meine Begeisterung für diese neuen Songs – das ist schon ganz ähnlich wie damals, wie ganz am Anfang, als gerade unsere allererste Platte rauskam“, so Maust.
Die Cold War Kids selbst – noch nicht erwähnt wurden die weiteren Mitglieder Joe Plummer (Schlagzeug), Matthew Schwartz (diverse Instrumente) und David Quon (Gitarre) – führen diesen Energieschub sogar auf eine Art Wiedergeburt zurück, wie Willett sagt. Sie hätten sich ganz bewusst für mehr Pop-Elemente und überhaupt mehr Experimentierfreude entschieden, als sie mit der Arbeit an LA Divine begannen. „Die Sache ist die, dass wir uns als Band schon immer eher an der Vergangenheit orientiert haben, was den Klang, die konkreten Sounds und die Instrumentierung unserer Stücke angeht“, so der Sänger weiter. „Mit diesem neuen Album wollten wir nun aber in die andere Richtung gehen und etwas durch und durch Moderneres abliefern, was einfach daran liegt, dass momentan die kreativsten und bahnbrechendsten Impulse und Ideen nun mal aus dem Bereich des Pop kommen.“
Konkrete Inspirationen, auf die er sich damit bezieht, wären zum Beispiel das Blonde-Album von Frank Ocean oder auch Releases von Florence & the Machine und Alabama Shakes – weshalb LA Divine nun genau diesen Hang zu hooklastigen Produktionen mit ihrem bisherigen Indie-Sound vereint. Was die Texte angeht, präsentiert sich Willett mal absolut offen und verletzlich, andererseits aber auch vielschichtig und komplex, wenn er immer wieder das Thema Liebe bzw. genauer gesagt langjährige Beziehungen umkreist: „So viele Songs handeln schließlich vom Verliebtsein oder von Trennungen – und ich wollte einfach mal einen Schritt weiter gehen mit diesem Album. Wir sind inzwischen alle etwas älter, sind erfahrener und reifer, und so fühlte es sich einfach nur richtig an, sowohl die schönen als auch die eher hässlichen Seiten zu beleuchten, die so eine Langzeitbeziehung nun mal so mit sich bringt.“
Aufgenommen mit ihrem angestammten Produzenten Lars Stalfors (Health, Local Natives), fungiert die erste Single „Love Is Mystical“ zugleich als Eröffnungstrack von LA Divine: Schon diese erste Hymne handelt von der Suche nach etwas Höherem, nach einem tieferen Sinn in einer Beziehung. „Das ist schon sehr typisch für LA oder überhaupt für die Staaten: Die Leute hier sind einfach davon überzeugt, dass Attraktivität allein auf körperlichen Aspekten beruht, und deshalb schert sich auch kaum einer hier um das spirituelle oder mysteriöse Element, das da auch noch mit im Spiel ist“, kritisiert Willett. Noch nachdenklicher verhandelt der gedrosselte Song „Restless“ das Thema Langzeitbeziehungen, wenn minimalistische Beats absolut ehrliche Worte unterfüttern, mit denen der Sänger die Art von Beziehung beschreibt, „in der beide Partner auf der Suche nach etwas anderem, nach mehr sind“, wie er sagt. Für den druckvollen, mit Gospel flirtenden Song „So Tied Up“ ist die britische Sängerin Bishop Briggs als Gastvokalistin dabei und packt ihre gesamte Stimmgewalt aus, wenn aus alltäglichen (Liebes-)Problemen („Love is a twisted game and no one ever wins“) schließlich doch noch ein Hoffnungsschimmer herausragt.
Und wie es sich für eine derartige Ode auf das Leben und Lieben in Los Angeles gehört, werden auch Themen wie die Angst vorm Älterwerden oder die Verlockungen des sorglosen Sich-gehen-Lassens auf LA Divine thematisiert: das eindringliche und ungestüme „Luck Down“ entwirft z.B. ein ungeschöntes aber zugleich nicht abgeneigtes Bild von selbstzerstörerischen Tendenzen („I won’t lecture you on Lexapro…You’d rather medicate/With every pour“), während „Can We Hang On?“ zwar offen eingesteht, dass „man nicht ewig jung und wahnsinnig sein kann“, doch lassen die Gitarren und die optimistischen Harmonien es schon irgendwie so wirken, als könne man dem Älterwerden einen Triumph abringen, während man sich stolpernd diesem oder jenem neuen Lebensabschnitt nähert…
Und dann blitzen auch jene Aspekte des Lebens in LA, die man sonst wohl eher nicht besingen würde, in Form von kurzen Interludes auf, die Cold War Kids im Verlauf von LA Divine immer wieder einstreuen: Wie ein Beneblungszustand, eine unwirkliche Verzweiflung kommt „LA River“ daher, woraufhin „Wilshire Protest“ mit Lo-Fi-Beats und bruchstückhaften Versen die Vereinsamung aufzeigt, die auch zum Leben in der Metropole gehört (grandiose Zeile: „We are separated by/Steel and glass/In traffic trapped on the freeway/Everybody is a DJ“). Eine ähnlich brillante Zeile lautet „I wanna be famous in your eyes, but the camera’s always on“, die Cold War Kids auf der Miniatur-Klavierballade „Cameras Always On“ präsentieren: Ein nur 36 Sekunden langes Stück über das Ende einer Beziehung.
Seit über zehn Jahren in ihrer Wahlheimat LA ansässig, kamen Cold War Kids schon im Jahr 2004 zusammen, nachdem sich Willett und Maust am College kennengelernt hatten. Entscheidend war dabei u.a. ihre geteilte Leidenschaft für das 13-Album von Blur. Von Long Beach aus zogen sie dann zunächst durch die Szeneläden von Südkalifornien, um mit dem Debüt Robbers & Cowards schließlich nicht nur die aufkeimende Blogosphäre der mittleren Nullerjahre, sondern auch sämtliche Kritiker und unzählige Fans für sich zu gewinnen. Sehr viel düsterer präsentierten sie sich auf dem Nachfolger Loyalty To Loyalty, der zwei Jahre später erschien, woraufhin Mine Is Yours (2011) erstmals deutlich eingängiger und poppiger klang. Zu ihrem schnörkellosen Live-Sound kehrten Cold War Kids 2013 dann mit Dear Miss Lonelyhearts zurück, auf dem auch die Hitsingle „Miracle Mile“ vertreten war. Auf dem zuletzt veröffentlichten Album Hold My Home, das auf Platz 8 in die Billboard Alternative Charts einstieg und auch in den Rockcharts in die Top−15 ging, war unter anderem die bereits erwähnte „Mitklatsch-Hymne“ (laut Paste) „First“ vertreten, die sich gleich sechs Wochen lang Platz 1 in den Billboard Alternative Songs Charts sichern sollte.
Daran anknüpfend fassten Cold War Kids für ihr neues Album schon frühzeitig den Entschluss, ein klarer umrissenes Ziel zu verfolgen – denn sie wollten dieses Mal ein richtiges Statement machen: „Ja, nachdem unser letztes Album so gut lief, wollten wir uns einfach selbst herausfordern und etwas kreieren, das wirklich Relevanz hat und die Kultur wirklich prägen kann. Es sollte nicht nur das Leben unserer Fans betreffen, sondern ein ganz allgemeines Statement sein, das jeder mitbekommt, der das aktuelle Musikgeschehen verfolgt“, so Willett. „Wir wollten uns einfach öffnen, vollkommen ehrlich sein und ohne Umschweife darlegen, wer wir sind, was uns am Herzen liegt – und natürlich wollten wir das alles auch in großartige Songs verpacken.“
Und so sind es zwei Dinge, die LA Divine auszeichnen: Die Tatsache, dass sich die Band gegenüber neuen Einflüssen geöffnet hat, gepaart mit einem neuen Anspruch, noch tiefer zu schürfen als zuvor und Gewichtigeres zu vertonen – beides scheint Cold War Kids vollkommen neue Energie gegeben zu haben. „Ich habe schon viele Bands erlebt, die ihre Songs jahrelang spielen und dann irgendwann einfach ausgebrannt davon sind. Bei mir ist das kein bisschen so“, sagt Maust abschließend. „Zwar spiele ich ein Stück wie ‘Hospital Beds’ nun auch schon seit 13 Jahren, aber heute hat es eine ganz andere Bedeutung für mich als damals. Ich weiß auch nicht so genau, woher dieser Funke kommt, der da überspringt; ganz alleine kann ich diese Energie jedenfalls nicht kreieren. Man muss wohl einfach am Ball bleiben und darf nie vergessen, dass das, was man da erschaffen hat, etwas wirklich Besonderes ist. Und dann muss man einfach alles dafür tun, dieses Feuer am Leben zu erhalten.“