Als „Welcome To Jamrock“ plötzlich aus sämtlichen Radiokanälen donnerte und weltweit iPods in die Luft jagte, waren manche schlichtweg schockiert – Damian „Jr Gong“ Marley gehörte allerdings nicht dazu. Sein Song ist ungefähr das genaue Gegenteil von kommerzieller Musik – es ist eine wütende und unnachsichtige Beschreibung von Armut und „politischer Gewalt“ in seiner Heimat Jamaika –, und doch schlug „Welcome To Jamrock“ ein wie eine Bombe (und was für eine Bombe!), denn es handelt sich bei Damians Sound um vertonte Wahrheit, eine Wahrheit, an der er lange Jahre gearbeitet hatte. „Ich habe lange über meine Musik nachgedacht, und das hier ist das Resultat“, erklärt das jüngste Kind der Marley-Familie. „Und selbst wenn der Song ein `Erfolg´ ist, warum nicht? Wenn man bedenkt, wie viel Zeit und Energie ich in diese Songs gesteckt habe, dann finde ich den Erfolg eigentlich gar nicht so überraschend.“
Jr Gong hat sein Talent über Jahre aufgebaut – und er war dabei alles andere als leise. Schon im Jahr 1996 kam er mit seinem Mr Marley aus den Startlöchern, und sein Major-Label-Debüt Halfway Tree stellte schon früh klar, dass er eine unglaubliche Gabe hat, knallharte Vokalsalven mit ungewöhnlich kreativer Musik zu vereinen. Mit einem klassischen Reggae-Fundament und Ansätzen aus HipHop, R&B und Dancehall, findet dieses Album viele Fans und wurde im Jahr 2001 mit einem Grammy für das beste Reggae-Album ausgezeichnet. („Ein Reggae-Grammy ist schon ganz gut, aber besser noch wäre ein Album-des-Jahres-Grammy für ein Reggae-Album… das wäre noch ein viel größeres Ding.“) Während langsam zündende Tracks wie „It was Written“ oder „Educated Fools“ nach und nach zu Club-Klassikern mutierten, machte sich Jr Gong daran, die Grundsteine für sein Welcome To Jamrock-Album zu legen, an dem er mehrere Jahre sitzen sollte. Hört man das Resultat, wird einem umgehend klar, dass man es hier mit einem Perfektionisten zu tun hat: Jr Gong hat kein Interesse am schnellen Erfolg. „Manche Songs entstehen einfach so, wie von selbst. `Jamrock´ war so einer“, erklärt er. „Doch dann gibt es auch Songs, an denen man unglaublich lange sitzt. Schließlich ist das hier Musik von der Straße, und die auf der Straße sollen sie auch fühlen.“
Er kann sich jetzt schon sicher sein, dass die Straßen sie fühlen werden. Auf dem Pfad, den schon der Titel-Track freigeschossen hat, beginnt Welcome To Jamrock mit der alles zerschmetternden Attacke namens „Confrontation“. Der Song präsentiert sämtliche Stärken von Jr Gong, hier verbindet er die Power eines Straßenpredigers mit dem Intellekt eines Wirtschaftsprofessors an der Universität. Diese Tendenz wird man auch auf Albumlänge verfolgen können, ganz egal, welche Art von Riddim-Flow er gerade verfolgt: „Es fühlt sich an wie im Krieg. Manchmal muss man sogar Tarn-Klamotten tragen, um sich da gänzlich rein versetzen zu können“, berichtet Jr Gong von den verschiedenen Facetten des Albums. „Dancehall, R&B, HipHop… es geht um Gefühle. Wir versuchen mehr als nur ein Segment zu zeigen, wir wollen stattdessen das gesamte Spektrum, das gesamte Mix abdecken und abfeiern.“ Und dieses Mix macht ihn auch so besonders. Keinesfalls daran interessiert, ein reines Reggae-Album abzuliefern, be- und verhandelt Jr Gong sämtliche Aspekte des urbanen Lebensstils, mal in der rauchig-spirituellen Liebesballade „There You Go“, dann im Nostalgie-Track „The Master Has Come Back“. Die HipHop-Fans werden zu „Pimpa’s Paradise“ (feat. Stephen Marley und Black Thought von The Roots) durchdrehen, während Nas eine Strophe auf „Road To Zion“ droppt. Reggae-Heads hingegen werden bei „Khaki Suit“ vollends auf ihre Kosten kommen, wenn die aus Bounty Killer und Eek-A-Mouse bestehende Gast-Combo aushilft. Insgesamt werden die Songs auf Welcome To Jamrock von einem Bewusstsein zusammengehalten, dass auf „For The Babies“ noch einmal zusammengefasst wird: Jr Gong erzählt, dass dieser Song von der Tatsache inspiriert wurde, dass „wir unseren Kindern die selben Lügen erzählen, die uns auch schon erzählt wurden.“
Schon beim ersten Anhören wird einem klar, dass Jr Gong seine Texte mit unglaublicher Präzision und Härte vorträgt. Und doch wäre es falsch zu denken, dass das Können dieses Mannes einzig auf die Gesangskabine beschränkt ist. Ein flüchtiger Blick in die Credits des Albums genügt, um zu sehen, dass er mit der Ausnahme von drei Tracks sämtliche Stücke co-produziert hat. Er und sein Bruder Stephen sind die Executive Producers des Albums. Während der jüngste der Marley-Truppe erzählt, dass seine wütenden Vokal-Eskapaden zumindest teilweise von Dancehall-Ikonen wie Shabba Ranks, Ninjaman und Supercat inspiriert sind, kann man an seinen Produktions-Skills erkennen, dass er sich auch mit dem Digital-Roots-Sound der frühen Achtziger (Sly & Robbie) auskennt, so dass er gemeinsam mit seinem Bruder ein vergleichbar magisches Resultat auf die Beine stellen konnte, wie es sein Vater einst geschafft hat. Insgesamt sind es wohl die Zeit und das Wissen, die in Welcome To Jamrock geflossen sind – so dass ein Release auf dem familieneigenen Tuff Gong/Ghetto Youths International-Label der nächste logische Schritt war. „Es spiegelt uns wider, und ich sage ganz bewusst `uns´, denn es geht nicht nur um mich. Wir übernehmen das Staffelholz von den älteren, die Rebel-Music gemacht haben – wir sind also die neuen Anführer der alten Schule!“
Die Reaktionen auf die Single „Welcome To Jamrock“ hat schon jetzt die Erwartungen für dieses Album in die Höhe getrieben – es sind 14 Songs, die sowohl von Liebe als auch von Krieg handeln und die einen Tiefgang haben, der alle Erwartungen noch übertreffen wird (besonders wenn man bedenkt, wie kreativitätsfeindlich das heutige Pop-Klima doch ist.) „Es sind schwierige Jahre, die wir durchleben… und das vergangene war ein Jahr voller Zeichen und Wunder. Ich habe das Gefühl, dass wir gerade in einer Zeit sind, in der alle ihre Augen wieder öffnen und so langsam wieder aufnahmebereit sind. Viele Leute leben im materiellen Überfluss, aber sie leiden unter spirituellen Notständen. Welcome To Jamrock ist dafür da, diese Lücke zu schließen, Hoffnung zu spenden, und dieser Hoffnungs-Spritze wird noch mehr folgen. Ich habe schließlich gerade erst angefangen.“