David Gray ist keiner, der sich auf seinen Lorbeeren ausruht, obwohl es für ihn sehr angenehm wäre, es sich auf seinem Erfolg bequem zu machen: 12 Millionen verkaufte Alben, darunter mit „White Ladder“ das bestverkaufte Album in Irland aller Zeiten, eine BAFTA Nominierung für den Soundtrack zu Amma Assantes 2004er Film „A Way Of Life“, dazu kommen zwei Ivor Novellos Trophäen, ein Q Award, zwei Brit Award- und eine Grammy-Nominierung.
Die Lorbeeren müssen nicht zwangsläufig ein Hindernis sein, doch sie machten David Gray sehr nervös.
“Ich hatte keinen Masterplan, aber ich wusste, ich musste ein paar elementare Dinge ändern nach „Life In Slow Motion“, erzählt der Singer-Songwriter über sein siebtes Studioalbum, das 2005 die Pole Position der UK-Charts erklomm.
„Ich hatte einen Lauf, ich hatte eine mit tollen Menschen besetzte Band, aber die kreative Flamme, die seit 1998 und dem Album „White Ladder” brannte, war erloschen, sie war irgendwie verschwunden. Es musste neue Energie her, neuer Elan, und ich brauchte eine völlig neue Inspiration für das nächste Projekt. Ich war sehr hungrig.“
„Ich schrieb „Draw The Line” im Juni 2007”, berichtet er von dem Song, der später dem Album seinen Namen geben sollte und die Flamme für den Rest des Albums entzündete.
Während der nächsten zwei Jahre entstanden haufenweise Songs – viele mit Gastauftritten, wie von Jolie Holland und Annie Lennox. „Draw The Line“ ist der Sound eines Künstlers, der seine Linse, seine Kamera, seine Vision nach außen kehrt und nicht nur sich, sondern auch seine Umwelt beobachtet.
„Ich war aus irgendwelchen Gründen immer sehr introspektiv, sehr selbst beobachtend“, bekennt er, „teilweise lag das am Erfolg, teilweise an den Dingen, die in meinem Leben während der Zeit um ‚White Ladder’ passierten. Wahrscheinlich trägt diese Ich-Fixierung jeder Singer-Songwriter in sich. Meine früheren Platten waren sehr nach innen gekehrt, aber mit dem Song „Draw The Line“ habe ich endlich die Eingangstür aufgestoßen und war draußen. Die Welt lag mir zu Füßen, so fühlte ich mich zumindest als Verfasser der Songs.“
Gray schrieb und produzierte das Album selbst und holte sich Unterstützung bei seiner respektierten und anerkannten Band. „Stella The Artist“ war einer der ersten Bandlieblinge, ein ausdrucksstarker Song mit einem an die Glitter Band erinnerndem Intro.
“Es ist eigentlich nur Spaß”, sagt Gray. „Diese Klangwand passierte einfach. Und die Texte spiegeln so ziemlich meine ersten Gedanken wieder. Ich singe für die und zu der Muse ‚Stella’, die mich zu all dem inspiriert hat.“
Gray war überaus produktiv, so schrieb er drei Songs innerhalb eines Tages. Einer, „Fugitive“, ist die erste Singleauskopplung, deren Fundament ein Gänsehaut erzeugendes Klavier und eine E-Gitarre bilden. Getragen wird die Nummer von einem Gospel Chor.
„Ich war ein Flüchtling des Lebens, ich habe mich in meiner Seifenblase versteckt. Und ich hatte dieses Bild von Saddam Hussein im Kopf, wie seine Statue aus dem Boden gerissen wurde. Da kommt die Zeile „mud streaked fugitve“ her, es handelt davon, sich vorm Leben, vor sich selbst zu verstecken. Gib nicht auf, denn da ist etwas, das dich oben hält und dich auf den richtigen Weg mitnimmt. Und dieses Etwas, diese Kraft, kam aus mir heraus.“
Die Songs strömten weiter aus ihm heraus und für „Kathleen“ wollte David Gray unbedingt mit jemandem zusammenarbeiten. Die amerikanische Singer-Songwriterin Jolie Holland hatte ihn auf einer US Tour supported und er empfand sie als perfekte Ergänzung für das, was er mit dem Song vorhatte. „Sie ist etwas ganz Besonderes in der amerikanischen Musikszene“, erzählt er begeistert. „Sie hört sich absolut authentisch an, als ob sie in den 1930ern mit Blind Willie McTell singen würde.
Der letzte Song des Albums „Full Steam Ahead“ sollte das epische Finale werden, auch dafür hatte Gray große Ideen für den Gesang. Zunächst dachte er, der „Righteous Brothers-Style-Song“ bräuchte eine weitere männliche Stimme. Chris Isaak stand ganz oben auf seiner Wunschliste.
„Es ist ein sehr dunkler Song. Ich betrachte ihn als einen politischen Song. Ich assoziiere damit eine Zeile von T.S. Eliot: ’a patient etherised upon a table’ das ist das Stadium, in dem wir uns alle zusammen als Kollektivmasse befinden, wir sind einfach behäbig, reden Schwachsinn, wir bewegen uns meistens im Leben weit weg von Courage. Der Song wäre mit einem weiteren männlichen Sänger von seinem eigenen Gewicht erdrückt worden. Als ich es mit meinem Gesang ausprobierte, hörte es nach zwei im Feld brüllenden und sich streitenden Ochsen mit zu viel Testosteron an.“
Und so kam Annie Lennox ins Spiel: „Sie ist präsent und hat das gewisse Etwas. Sie hat eine raue Stimme, doch sie bringt nicht nur diese Züge in den Song, sie zeigt sich auch für die freudige Pop-Energie verantwortlich – sie wertet den Song einfach auf und singt den Refrain genau so, wie ich es wollte und mir vorgestellt hatte.“
„Draw The Line” ist der warme, frische, ehrliche Sound von David Gray in einem neuen, erfrischenden Gewand. Er hatte den ganz großen Erfolg und sogar noch mehr, aber er war immer hungrig auf mehr – nicht hungrig auf mehr Erfolg, sondern hungrig auf mehr Gefühl, auf mehr Herz, auf mehr Seele, auf mehr Songs, auf mehr Leben. Sein altes Schema war fade, abgestanden und verbraucht.
„Hunger ist eine sehr gutes Attribut für meine Gefühlswelt“, sagt er. „Offenbar wollte ich bestimmte Dinge schon Jahre loswerden. Songs wie ‚Nemesis’, ‚First Chance’ und ‚Draw The Line’ zu schreiben war so befreiend für mich. Ideen und Bilder sprudelten nur so aus mir heraus und manchmal kommt auch ein wenig Humor vor, ein wenig ätzende Gefühlswelt ist auch vertreten und ein bisschen Biss und Ironie ist auch dabei. Ich fühle mich so frisch, so lebendig – das ist es, was auf ‚Draw The Line’ zu finden ist.“