Kein anderer Altsaxophonist übte in den letzten 35 Jahren im Grenzbereich zwischen Pop, Rhythm’n'Blues und Fusion soviel Einfluss aus wie David Sanborn. Gemeinsam mit dem Tenorsaxophonisten Michael Brecker definierte Sanborn in den 70er und 80er Jahren den Klang des Saxophons in der zeitgenössischen Popmusik.
Der 1945 in Tampa/Florida geborene und in St. Louis aufgewachsene Sanborn begann seine Karriere als Begleiter von Blues-Größen wie Albert King und Paul Butterfield, bewies seine Vielseitigkeit aber schon bald danach an der Seite von Gil Evans, Stevie Wonder, James Brown, David Bowie, George Benson, den Eagles und den Brecker Brothers. Als er 1975 im Alter von dreißig Jahren sein Debütalbum “Taking Off” für Warner einspielte, konnte der Altsaxophonist schon auf eine beeindruckende Diskographie als Sideman zurückblicken. Auch nach dem Start seiner Solokarriere schränkte er seine Aktivitäten als Begleiter und Gastsolist kaum ein. Doch obwohl er in den folgenden Jahrzehnten mit Eric Clapton, Steely Dan, Aretha Franklin, Mick Jagger, Little Feat, Al Jarreau, Michael Franks, Billy Joel und unzähligen anderen großen Stars im Rampenlicht einer breiten Öffentlichkeit stand, erregte Sanborn mit seinen eigenen Alben noch mehr Aufsehen. In den dreizehn Jahren, die er bis 1988 bei Warner unter Vertrag stand, landete er ein Erfolgsalbum nach dem anderen und plazierte sich mit schöner Regelmäßigkeit in den Jazz-, Pop- und Black Music-Charts. In den 80er Jahren strich er auch fünf seiner sechs Grammys in den Kategorien Jazz, Rhythm’n'Blues und Pop ein.
Dann legte er erstmals eine längere Atempause ein, um erst 1991 mit einer neuen Platte und einem völlig anderen musikalischen Konzept wieder aufzutauchen. Mit seinem “Comeback” überraschte der mittlerweile 46jährige in mehrfacher Hinsicht. Plötzlich umgab er sich mit sehr viel progressiveren und experimentelleren Musikern wie Bill Frisell, Marc Ribot, Dave Tronzo, Joey Baron oder Herb Robertson und nahm in seinem Repertoire auch Stücke von Ornette Coleman, Wayne Shorter, Charlie Haden und Eddie Harris auf. (Kenner von Sanborns Biographie wunderten sich weniger über diese Konstellationen, schließlich hatte der Saxophonist als Jugendlicher in St. Louis bereits mit späteren Avantgarde-Größen wie Lester Bowie, Julius Hemphill und Oliver Lake zusammengespielt.) Reichlich ungewöhnlich war auch, dass Sanborn den zwar exzellenten, aber relativ unbekannten Instrumentalkollegen John Purcell in der Besetzungsliste seiner Alben als “saxophon sound consultant” erwähnte. Zur selben Zeit präsentierte er als Gastgeber in der Fernsehsendung “Night Music” ein eklektisches Programm, in dem Sun Ra und Jean-Paul Bourelly ebenso willkommen waren wie der Singer/Songwriter James Taylor, Chunk, die Residents oder die Pixies. In der Show brachte Sanborn Sonny Rollins mit Leonard Cohen auf eine Bühne, Pat Metheny mit dem Turntable-Pionier Christian Marclay zusammen, Charlie Haden mit Nick Cave und Bootsy Collins mit Allen Toussaint. Das letzte Elektra-Album “Inside”, das Sanborn 1999 aufnahm, featurete u.a. die Stimmen von Sting, Cassandra Wilson und Lalah Hathaway und brachte dem Saxophonisten seinen sechsten Grammy ein.
Dann gönnte sich Sanborn wieder eine kreative Auszeit, die er dazu nutzte, einen weiteren grundlegenden musikalischen Richtungswechsel vorzubereiten. Nach vier Jahren schöpferischer Pause meldet er sich 2003 mit dem Album “Time Again” zurück, mit dem er – nach acht Jahren bei Elektra – zugleich auch seinen musikalischen Einstand beim Verve-Label feierte. Unterstützt von einer All-Star-Band (mit u.a. Trompeter Randy Brecker, Gitarrist Russell Malone, Vibraphonist Mike Mainieri, Bassist Christian McBride und Drummer Steve Gadd) interpretierte Sanborn auf dem Album einige seltener gespielte Klassiker der Jazzliteratur (etwa Earl Hagans “Harlem Nocturne” und Duke Pearsons “Cristo Redentor”), aber auch Popmaterial wie Stevie Wonders “Isn’t She Lovely” und Danny Flores' Hit “Tequila”. Sein zweites Verve-Album “Closer” (2005), auf dem Liz Wright als Gastsängerin mitwirkte, führte diese musikalische Linie fort. Danach wandte sich der Saxophonist einem neuen Projekt zu: einer Hommage an den 2004 verstorbenen Ray Charles, durch den er 1956 als Elfjähriger dazu inspiriert worden war, selber Musik zu machen. Gleich zwei grandiose Alben widmete Sanborn dem Genie des Rhythm’n'Blues sowie den beiden Ray-Charles-Saxophonisten Hank Crawford und David “Fathead” Newman: “Here & Gone” (2008) und “Only Everything” (2010). Als Gäste präsentierte er auf diesen Alben Größen wie Eric Clapton, Joss Stone, Derek Trucks, Sam Moore und James Taylor.