Nach dem Jubiläumsjahr ist vor dem nächsten Jubiläum: Im 21. Karrierejahr legen die DONOTS mit »Karacho« ihr bislang bestes Album vor.
Es ist ihr erstes in deutscher Sprache.
Mit 18 wird man in diesem Land volljährig. Also eigentlich: Erwachsen. Die DONOTS haben diese einschneidende biografische Wegmarke seit zwei Jahren hinter sich – und sind was nicht? Genau. Jedenfalls nicht nach der klassischen Definition von Erwachsensein. In anderer Hinsicht allerdings schon: Nach einer schwierigen Phase Mitte der Nullerjahre kam für die Band aus Ibbenbüren in den vergangenen zwei Jahren endgültig alles zusammen. Den DONOTS jenseits der 18 gelingt es auf beeindruckende Weise, die aus den Erfahrungen ihrer langen Karriere gewonnene Reife mit einer unbändigen Energie und Frische zu verknüpfen.
Und das zahlt sich aus: Die Band aus Ibbenbüren blickt auf zwei überaus erfolgreiche Jahre zurück. Nachdem sie sich lange komplett selbst verwaltet hatten, erschien das letzte Album, »Wake The Dogs«, im April 2012 bei Universal. Das unter anderem mit dem Gastsänger Frank Turner aufwartende Werk wurde zum bislang erfolgreichsten in der Karriere der Ibbenbürener und stieg auf Platz sechs der deutschen Charts ein.
Höhepunkt der Live-Aktivitäten zu »Wake The Dogs« und gleichsam Erfüllung eines langjährigen Traums war dann eine einmonatige US-Tour gemeinsam mit Flogging Molly, Anti Flag und einigen anderen. »Die US-Tour war mit das geilste, was wir je erlebt haben«, sagt Alex Siedenbiedel, »das hat so einen Bock gemacht! Vor allem, weil ich das mit diesen Jungs erleben durfte.« Denn das macht ja unter anderem die ganz besondere Chemie dieser Band aus: dass sie eben nicht nur seit 20 Jahren zusammen Platten aufnehmen und Konzerte spielen, sondern vor allem immer noch beste Freunde sind.
Die DONOTS haben Konzerte auf der ganzen Welt gegeben, sie waren mehrere Male in Japan, den USA, tourten vielfach durch Europa und waren auf Einladung von den Toten Hosen, den Ärzten, Billy Talent, Anti Flag und anderen immer wieder mit befreundeten Bands unterwegs. Im Dezember 2014 spielen sie schließlich zum 20. Jubiläum das bis dahin größte Konzert ihrer Geschichte in der Halle Münsterland – vor über 6000 Zuschauern. All diese Erfahrungen haben sie zusammengeschweißt, sie dahin gebracht, wo sie heute sind. Das größte Abenteuer der Bandgeschichte kommt aber erst jetzt: Mit Karacho legen die DONOTS zum ersten Mal in ihrer Karriere ein komplettes Album auf Deutsch vor. Ein Experiment mit ungewissem Ausgang, auch wenn sich schon jetzt sagen lässt, dass »Karacho« für die DONOTS mehr als nur eine Frischzellenkur ist. Viel mehr.
Geplant war das Album in dieser Form allerdings nicht, ganz im Gegenteil. Schon Ende der Neunziger wollten findige Plattenmanager die DONOTS überzeugen, doch besser auf Deutsch zu singen. Weil sich das besser verkaufe und sie dann »in ganz andere Dimensionen vorstoßen könnten«. Das Problem: Die DONOTS hatten gar kein Interesse daran, in irgendwelche Dimensionen vorzustoßen. Sie waren und sind zufrieden mit ihrem Leben und ihrem eigenen Weg, der sie um die halbe Welt geführt hat. Die DONOTS haben ein beeindruckendes internationales Punkrock-Netzwerk aufgebaut, jede Menge Freunde gewonnen, zwischenzeitlich ein eigenes Label aufgebaut und sind nach eigenen Angaben »einfach mehr als dankbar dafür, mit dem, was wir lieben, unsere Leben bestreiten zu dürfen«. Vor allem aber haben sich die Ibbenbürener stets als internationale Band definiert – und von daher war Englisch selbstverständlich die Sprache ihrer Wahl.
Und nun saß die Band plötzlich in diesem Studio in Hamburg, dem Clouds Hill.
Frisch von der US-Tour zurückgekehrt, wollten Alex Siedenbiedel, Eike Herwig, Jan-Dirk Poggemann und die Brüder Ingo und Guido Knollmann den spontanen Studiobesuch dazu nutzen, entspannt die ersten neuen Songs seit 2012 zu schreiben und eine weitere Wegmarke gebührend vorzubereiten: Natürlich hätte damals im Keller in Ibbenbüren keiner damit gerechnet, aber 2014 stand tatsächlich das 20. Bandjubiläum an. Und deshalb waren sie jetzt hier.
Die Idee war, den Fans zum Jubiläum ein besonderes Geschenk zu machen: Eine Geburtstags-EP, die sie ihren loyalen Begleitern per Gratisdownload verfügbar machen wollten. Und da geschah es. »Wir standen da zu fünft im Raum und wollten ein paar neue Ideen ausprobieren«, sagt Siedenbiedel. Und irgendwann habe eben irgendeiner gesagt: »Lasst uns zum Starten neue Synapsen anknipsen und einfach einen auf Deutsch machen. Einfach so.« Aus heutiger Sicht können die DONOTS selbst nicht mehr so genau erklären, was dann geschah, aber irgendwie »hatten plötzlich alle Bock«, wie sich Ingo Knollmann erinnert. Hierzu muss man wissen, dass eigentlich alles, was diese Band macht, immer auf folgender, an sich simplen Grundfrage basiert: Macht uns das Spaß?
Und das hier machte plötzlich riesigen Spaß. Alles fühlte sich frisch und neu an. Die Musik ballerte unbeschwert nach vorn. Deutsche Texte, für alle direkt verständliche Worte. Nichts zu verlieren. Go-for-it-Attitüde. Wusste ja keiner, dass sie überhaupt im Studio waren. Für die DONOTS wurde jene Session im Spätsommer 2013 zu einem einzigen Flash. Sie schrieben einen weiteren Song auf Deutsch – und waren total begeistert. Inzwischen reifte der Gedanke, aus der Geburtstags EP eine deutschsprachige zu machen.
Es gab dann also irgendwann diese zwei Songs, das durchaus programmatisch betitelte »Das Neue bleibt beim Alten« mit Rise-Against-Sänger Tim Mcllrath und »Hier also weg«. Die Reaktionen waren durchweg positiv und was als einmaliges Special zum 20-Jährigen gedacht war, bekam immer mehr Eigendynamik und wuchs über den geplanten Rahmen hinaus. Die DONOTS machten jetzt einfach immer weiter, weil es wahnsinnigen Spaß machte. Weil es sich anfühlte, als würden sie noch mal ganz von vorne anfangen – mit all dem Wissen, all den Erfahrungen, die sie in den vergangenen 20 Jahren gesammelt hatten.
»Es mag komisch klingen«, so Guido Knollmann »aber mit diesen Texten kickten uns unsere eigenen Songs irgendwie mehr als je zuvor. Ich wusste in jeder Sekunde ganz genau, was mein Bruder mit diesen Texten meint.« Es ging also weiter und irgendwann hatten sie 20 Songs zusammen, es war ein einziger Rausch.
Natürlich stießen die DONOTS auch auf Herausforderungen. Deutsch ist nicht unbedingt die ideale Popsprache. Es wird ganz schnell ganz unangenehm. Zu verkopft, zu kitschig, zu steif – die Fallstricke der deutschen Sprache sind im Zusammenhang mit Punkrock mannigfaltig. So blieb die Last vor allem an Sänger Ingo Knollmann hängen: In nächtelangen Sessions näherte er sich seiner eigenen Sprache und Ausdrucksweise. Nicht zuletzt hörte er in einer Art Schocktherapie viel von dem, was er auf keinen Fall wollte, um Klischees und Kitsch zu vermeiden. »Ich hab mir freiwillig im Radio so Sachen wie Pur und Rosenstolz angehört; einfach, damit der Shit-Detector geeicht ist.«
Knollmann wusste also, was er nicht wollte. Aber was wollte er? Für die Beantwortung dieser Frage half die eigene Plattensammlung. »Am Anfang stand eine ganz tiefe Verbundenheit zu der Arbeit von Leuten wie Jens Rachut, Marcus Wiebusch, Slime oder Muff Potter,« sagt er. »Das alles hab ich gehört und mich irgendwo dazwischen eingenordet.« Wichtig seien natürlich auch die Toten Hosen und die Ärzte gewesen, mit deren Musik Knollmann aufgewachsen war. Alles hilfreich, alles gut – aber es ging ja darum, eine eigene Sprache zu finden. Zwar schreibt Ingo seit einiger Zeit für sein Nebenprojekt Schrappmesser ebenfalls deutsche Texte. Aber inhaltlich ließ sich das nur bedingt auf die Arbeit mit den DONOTS übertragen.
»So wenig gepennt wie während dieser Produktion hab ich noch nie in meinem Leben«, erinnert sich Ingo. Dem Sänger war klar, dass man mit deutschen Texten angreifbarer ist und dieser Umstand sei dann mit seinem traditionell perfektionistischen Anspruch zusammengekommen – eine nicht gerade schlaffördernde Mischung. Auch die Band achtete mehr als sonst auf die Texte, es gab Diskussionen über Formulierungen, Verbesserungsvorschläge etc. Und während die anderen daheim im Bett lagen, verbrachte Ingo seine Nächte im Rahmen sogenannter Rotweinsessions mit einer bisweilen quälenden Suche nach dem richtigen Worten.
Alle Donots sind sich einig, dass der Wechsel der Sprache ungeheure Kreativität beim Songwriting freisetzte. Die neuen Songs mit den deutschen Texten – das sei so gewesen wie nach Hause zu kommen und gleichzeitig neu anzufangen. Und trotzdem: Aus diesen Sessions wirklich ein Album zu machen, kam den Musikern bis zu diesem Zeitpunkt nicht in den Sinn. Bis einer von ihnen auf einer nächtlichen Autofahrt die alles entscheidende Frage stellte: Machen wir da jetzt eigentlich eine Platte draus? Es war eine Frage, die die ganze Zeit über in der Luft gehangen hatte, die sich die Donots aber bis zu diesem Zeitpunkt nicht hatten stellen wollen. So richtig wohl war ihnen bei dem Gedanken immer noch nicht, aber da alles so gut lief, machten sie erst mal weiter. Daheim in Münster begutachteten sie die Aufnahmen mit dem Produzenten Vincent Sorg, der unter anderem das letzte Album der Toten Hosen produziert hatte. Sorg ist ein uralter Freund der Donots, mit ihm hatten sie bereits zu Beginn seiner Karriere gearbeitet, ihm konnten sie vertrauen.
20 deutschsprachige Songs hatten sie am Ende in verschiedenen Sessions in Hamburg, Hannover und Münster geschrieben, 18 davon nahmen sie nun mit Vincent Sorg auf, insgesamt gab es geschätzte 238 Demos – und nun also tatsächlich auch eine Platte: »Karacho«. Es ist das insgesamt zehnte Album im 21. Karrierejahr – und das erste auf Deutsch. Das wirklich Erstaunliche und Besondere an »Karacho« ist, dass man dieser Musik all die Anstrengungen und die Suche der vergangenen anderthalb Jahre in keiner Sekunde anhört. »Karacho« klingt so, als hätten die DONOTS nie etwas anderes gemacht, als auf Deutsch zu texten: Frisch, leicht, selbstverständlich.
Mit »Ich mach nicht mehr mit« gelingt ihnen ein hymnischer, gewaltiger Auftakt. »Ich weiß genau, was ich nicht will / Ich glaub an mich, ich brauch nicht viel / Ein letzter Gruß vom Schleudersitz«, singt Ingo Knollmann. Es ist ein atemloser Start für ein zorniges, ein wütendes, ein räudig-krachendes Album, das ohne Frage das beste ist, das die DONOTS bislang aufgenommen haben. In jedem Fall ist es das inhaltlich expliziteste und haltungsstärkste: »Endlich ist er wieder wer: Der kleine Mann, die große Meinung«, heißt es in »Dann ohne mich« an die Adresse der neuen deutschen Man-wird-doch-wohl-noch-sagen-dürfen-Rechten. Und der Emo-Hymnus »Junger Mann zum Mitleiden gesucht« spöttelt über stilisierte Depression und Selbstmitleid.
»Problem kein Problem« ist ein entspannter Ska-Tune, gesungen vom zweiten Knollmann, Ingos Bruder Guido. »Kaputt« räudiger Punkrock, »Weiter« eine countryinfizierte Ballade, die Versöhnungshymne »Immer noch« ein Instant-Hit, »Kopf bleibt oben« eine programmatische Selbstverortung, die vielleicht fast am besten unter Beweis stellt, wie weit es Ingo Knollmann in der kurzen Zeit als deutschsprachiger Texter gebracht hat: »Meine Teenage Angst ist längst erwachsen / Die Nähte an meinen Zweifeln platzen / Und trotzdem denk ich ›I don’t wanna grow up‹ / Die Uhr sagt nein, das Herz sagt doch.« Das Gute an diesen Liedern ist: Man weiß immer gleich, was gemeint ist, versteht sie intuitiv – dennoch sind überall doppeldeutige Details zu entdecken. Der Wortwitz, der Ingo Knollmann als Typ schon immer ausmachte, hat nun auch konsequenter als früher Eingang in seine Musik gefunden. Und das ist eine gute Nachricht.
Die Inhalte ergaben sich beinahe automatisch: »Ich hab gedacht, wenn die Musik so direkt ist, dann hau doch mal einen raus«, sagt Knollmann. »Black Flag oder Bad Religion haben einem immer die Message direkt ins Gesicht geballert, das wollte ich jetzt auch mal machen.« Insofern ist »Karacho« auch die bislang politischste Platte der DONOTS geworden. Nicht zuletzt, weil die Band, deren politisch linke Verortung nie ein Geheimnis war, sich präventiv gegen jede Form unerwünschter Vereinnahmung schützen will: »Ich hatte absolut keinen Bock darauf, dass plötzlich irgendwelche Fascho-Parteien kommen und sich unserer Musik ermächtigen«, erklärt Ingo. »Das ist Wir Sind Helden passiert, den Ärzten und einigen anderen. Deswegen muss in einigen Songs ein klareres Statement her. Um deutlich zu machen: Nur weil wir uns jetzt verstehen können, heißt das nicht, dass wir uns jetzt verstehen.«
Im Frühjahr geht’s mit den neuen Songs auf die Straße, dann kommt endgültig die Stunde der Wahrheit. Die DONOTS können diesen Terminen gelassen entgegen sehen. Mit »Karacho« haben sie sich praktisch neu erfunden, ohne sich neu erfunden zu haben. Es ist ein bisschen so wie bei diesen Rohdiamanten, denen noch der letzte Schliff fehlt: Die besten DONOTS aller Zeiten sind bereit für die nächsten 20 Jahre.
Künstlerinfo: