Wenn der Nachtfrost sich so langsam ungemütlich breit macht, durch die Ritzen dringt und man eigentlich froh ist, in der behaglichen Behausung die Füße hochlegen, den Kopf aus und die Glotze einschalten zu können, rückt draußen am Fenster so langsam die personifizierte Kälte vor und hinterlässt ihre Spuren, in ihrer vermutlich ästhetischsten Ausformung: Das ist die Eisblume.
„Es geht bei Eisblume nicht darum, sich nur auf einen Sound festzulegen, sondern mit den Elementen zu spielen. Mal rockt es intensiver oder hat etwas Episches oder eine scheinbare Ruhe, die aber doch keine ist“, versucht Ria die Ausstrahlung ihrer Musik einzuordnen. „Früher dachte ich, meine Stimme wäre einfach zu glockenklar, um rockigeren Sound zu machen. Man muss sich schließlich gegen harte Gitarren und druckvollen Sound bewähren, um nicht verloren zu gehen. Doch mein Herz schlägt nun mal, wie es schlägt! Und unsere Songs besitzen auch Sensibilität und Fragilität.“ Die frühe Selbstkritik wirkt sympathisch, ist aber unangebracht, lebt Eisblume doch genau von der Gegensätzlichkeit des gebirgsbachklaren, herzerwärmenden Gesangs und der klirrend kalten Wände, die Gitarren und Drums zuweilen aufschichten, gerne stabilisiert von einem stählernen Industrial-Gerüst. Wände, gegen die Ria ansingt, ein kleines, zerbrechliches Geschöpf, das sich gegen die Elemente stemmen muss und die Naturgewalten besiegt, irgendwie.
Nicht ausschließlich freilich, in den ruhigen Passagen, zu wie Morgentau tröpfelnden Piano-Akkorden, zeigt Ria sich von ihrer verletzlichen Seite, um sich aber direkt trotzig in den Wind zu stellen, sobald sich der Himmel zu- und der nächste Sturm heraufzieht. Bei „Eisblumen” ist das so, dem programmatischen Titel zur Band, ursprünglich zu finden auf dem 2005er Album „Nord Nord Ost” der Potsdamer Folk Metal-Institution Subway To Sally. Deren Texter Michael Boden, genannt „Bodenski”, hat unter anderem den Text des Titelsongs der ersten EP, „Unter dem Eis”, verfasst, den Ria nun gänzlich neu interpretiert.
Dass man sich sowohl einen adäquaten Bandnamen als auch ein passendes Stück Musik zum Bearbeiten gesucht hat, dessen ist sich Ria sicher: „”Wir sind Eisblumen, wir blühen in der Nacht” – es umschreibt das Gefühl, dass die Welt dich nicht versteht, weil du anders bist, anders fühlst. Eisblumen sind wunderschön und komplex – man muss genau hinschauen und wird begeistert sein“. Theatralik und Gelöstheit, Pathos und Zärtlichkeit, die emotionalen Tiefen und Untiefen auslotend, stimmungsvoll, vor allem jetzt, wo die Tage kürzer und die Nächte eisiger werden, und da ist plötzlich eine warme, weiche Hand, die Deine nimmt und hält: Auch das ist die Eisblume.