„New Amerykah Part Two: Return Of The Ankh“ (VÖ: 26.03.2010)
Um zu verstehen, was auf dem neuen Album von Erykah Badu eigentlich passiert, muss man einen Blick in die Vergangenheit werfen, ins alte Ägypten, genauer gesagt auf die altägyptischen Hieroglyphen: Dort findet man das „Ankh“-Symbol, zu Deutsch Anch, das seit Jahrtausenden für das ewige Leben steht und daher auch „als Lebensschleife“ bezeichnet wird. Diese Schleife wiederum taucht schon im Titel ihres neuen Albums „New Amerykah Part Two: Return Of The Ankh“ auf, und das nicht ohne Grund: Mit dem fünften Studioalbum von Erykah Badu schließt sich nämlich ein Kreis. Es ist eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln und zugleich ein Blick nach vorn – denn die 39-Jährige knüpft mit dem neuen Longplayer nicht nur an die klanglichen Experimente ihres gefeierten „New Amerykah Part One: 4th World War“-Albums aus dem Jahr 2008 an, sondern schlägt eine Brücke zu den Anfängen ihrer Karriere, zu ihrem „Baduizm“-Meilenstein (1997), mit dem für sie alles erst ins Rollen kam. Badu ist gewissermaßen wieder da angekommen, wo sie angefangen hat – nur auf einer sehr viel höheren Ebene. Und mit einem sehr viel satteren Sound im Gepäck.
Es gibt eine Anekdote aus dem Jahr 1999, die jenen Ansatz, den Badu mit ihrem neuen Album verfolgt hat, vielleicht am besten verdeutlicht, und sie hat mit einem Santero, einem Priester der afrokubanischen Santería-Religion, zu tun: Erykah wollte damals diesen Priester aufsuchen, und sie hatte sich für den Anlass selbstverständlich in Schale geschmissen – ganz in Weiß gekleidet zog sie los, dazu durfte trotz der Hitze auch ihr damaliges Markenzeichen, der Turban, natürlich nicht fehlen. Wie sie dann jedoch auf dem staubigen Bürgersteig saß und auf ihre Audienz beim Priester wartete, kam ein junger Typ angesaust, der laut Erykahs Bericht ganz schön dubios aussah, im nächsten Moment eine Bierdose zückte, sie aufmachte, sich dazu eine Kippe ansteckte und dann ein Gespräch mit einem anderen Mann anfing, der scheinbar auch auf den Priester wartete. Kurz darauf ging auch schon die Tür auf und eine liebenswerte alte Dame bat Erykah herein; der ominöse junge Mann in seinen abgeschnittenen weißen Jeans und seinem ausgeblichenen Sweatshirt folgte den beiden. Da Badu sich nicht erklären konnte, was der Typ mit der Bierdose hier eigentlich verloren hatte, befürchtete sie nun, dass dieser Mann gemeinsam mit ihr zum Santero vorgeladen werden und somit erfahren könnte, was ihr das ífa-Orakel zu berichten hat. Doch dann ging ihr ein Licht auf: Dieser Typ in den abgeschnittenen Jeans war der Priester! Schon seine Vorfahren waren angesehene Priester gewesen! Er sah halt nicht so aus, aber er musste ja auch keine ausgefallenen Kleider tragen oder seinen Glauben nach außen hin sichtbar machen. Er war nun mal ein Priester in abgeschnittenen Jeans. Mit Bierdose. In diesem Moment fasste Erykah Badu den Entschluss, ihren Turban abzulegen – buchstäblich und im übertragenen Sinn – und sich nicht länger mit derart oberflächlichen Dingen aufzuhalten. Spätestens jetzt zählten nur noch innere Werte.
Wenn sie nun schon im Titel vom „Return Of The Ankh“ spricht, von jenem Kreis, der sich mit dem neuen Longplayer schließt, soll das keineswegs heißen, dass sie im Jahr 2010 wieder mit Turban auftritt oder äußerlich an die „Baduizm“-Ära anknüpft. Die Rückkehr, um die es ihr geht, ist viel bedeutsamer als das. Es ist vielmehr die Wiederkehr eines Gefühls, einer Energie, die sie antreibt, einer Leidenschaftlichkeit – kurz: es geht um all das, was sie zu Erykah Badu macht. Um das, was unterhalb der Oberfläche passiert. Und genau darum unter die Haut geht.
Auf dem neuen Album vertont sie nicht nur die eigene Lebensphilosophie und präsentiert ihre persönliche Sicht auf Themen wie die Liebe oder das schmerzliche Scheitern derselben, sondern verbindet auch den subtilen Scharfsinn ihrer ganz frühen Aufnahmen mit jener Offenheit und Experimentierfreude, die schon den Vorgänger auf viele Bestenlisten sowie auf Platz #2 der US-Charts befördern sollte. Anders gesagt: Auf „Return Of The Ankh“ existieren astreine Balladen und äußerst experimentelle Jam-Sessions friedlich Seite an Seite; ihr gemeinsames Fundament ist Erykahs Stimme, ihre Weltsicht, ihr Verständnis von Soul im Jahr 2010. „Auch ich sehe die Parallelen zu ‘Baduizm’“, kommentiert sie. „Als ich ‘Part I’ aufnahm, stand ich auf einem Gipfel und schaute mich um, weil ich einfangen wollte, was um mich herum politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich vor sich ging. Dieses Mal schwebe ich quasi über mir selbst und beleuchte meinen Gefühlszustand.“
Während der Aufnahmen hat Badu als Executive Producer dafür gesorgt, dass die Liste der beteiligten Produzenten wie schon auf „New Amerykah Part One“ ein reichhaltiges klangliches Festmahl garantiert. Dabei sind die üblichen Verdächtigen – 9th Wonder, Madlib, James Poyser, Shafiq Husayn von Sa-Ra, Ahmir „?uestlove“ Thompson von The Roots, Georgia Anne Muldrow, Jah Born, R.C. Williams, Ta’Raach, Karriem Riggins und der abermals als Geist anwesende J Dilla – und ihre Produktionen dieses Mal sehr viel schwerer zu erkennen, weil sie allesamt mit ihr über den Tellerrand schauen und gerade nicht die Art von Beat beisteuern, die man vielleicht als ihren jeweiligen Signature-Sound bezeichnen könnte. Ein perfektes Beispiel dafür ist gleich der erste Track von „Return Of The Ankh“, „20 Feet Tall“, bei dem Erykahs verklärte „I Can“-Gesänge auf eine minimalistische und vollkommen untypische Produktion von 9th Wonder treffen, während obendrein auch noch James Poyser am Keyboard aushilft. „Erykah gelingt es wie keiner anderen Sängerin, eine typisch weibliche Sicht der Dinge in ihrer Musik zu transportieren“, kommentiert 9th Wonder die Arbeit mit der dreifachen Mutter. „Sie schafft es, mit ihren Songs eine Brücke zwischen den Geschlechtern zu schlagen, und das vollkommen unabhängig von der Produktion.“ Zu weiteren Musikern, die an den Aufnahmen beteiligt waren, gehören auch der Ausnahmebassist Thundercat und die Harfenspielerin Kirsten Agnesta. „Wir haben dieses Mal wirklich alle erdenklichen Instrumente benutzt – Harfen, Streichinstrumente, Schlagzeug, Klavier, ja sogar ein Theremin –, um dem neuen Album das richtige klangliche Feeling zu verpassen“, erzählt Badu. „Da passiert extrem viel in diesen Tracks; sie haben ein wahnsinnig sattes Fundament, einen richtigen Wumms.“
Dass „Return Of The Ankh“ trotz der vielen Gäste, der Vielfalt und Vielschichtigkeit so ungemein schlüssig und so sehr „aus einem Guss“ klingt, liegt letzten Endes daran, dass sie und ihr kreatives Umfeld heute die perfekte Symbiose bilden. Andernfalls wäre kaum zu erklären, dass „Window Seat“, die erste Singleauskopplung des Albums, so unfassbar harmonisch wirkt: ihre Stimme fügt sich in das hypnotische Geflecht aus Beat und Keyboard-Melodie dermaßen gut ein, dass man unweigerlich bei einem Ausdruck wie „aus einem Guss“ landet. Co-Produzent war in diesem Fall James Poyser; ?uestlove von The Roots saß am Schlagzeug – jenes Dreamteam war also am Werk, das gemeinsam schon „Otherside Of The Game“ vom „Baduizm“-Debüt eingespielt hat. Zugleich klingt Erykahs Gesang ungezwungener denn je, denn sie sagt ganz offen, was sie will: „Can I get a window seat?/Don’t want nobody next to me/I just wanna take it out of town/A look around/And a safe touch down…“ Sicherer hat eine Landung selten geklungen.
Obwohl Erykah Badu heute insgesamt sehr viel reifer klingt als zu Beginn ihrer Karriere, lässt sie es sich keinesfalls nehmen, hier und da ihren unvergleichlichen Humor aufblitzen zu lassen. Sie ist nämlich immer noch unschlagbar darin, geschickt irgendwelche unerwarteten HipHop-Referenzen in ihren Sound einzubetten, so zum Beispiel auf „Turn Me Away (Get MuNNY)“, wo sie sich mit der Allmacht der US-Währung befasst und Anspielungen an „Get Money“ von Junior M.A.F.I.A. und „You Can’t Turn Me Away“ von Sylvia Striplin macht, das damals auch im Song von Junior M.A.F.I.A. als Sample auftauchte.
Der Einfluss von Notorious B.I.G., dem einstigen Gründer und Mentor von Junior M.A.F.I.A., ist nicht zu überhören, denn die vor ziemlich genau 13 Jahren verstorbene Rap-Legende taucht auch in „Fall In Love“ als Referenz auf: Der von Karriem Riggins um ein grandioses Klavier-Sample aus „Intimate Friends“ von Eddie Kendricks gestrickte Song – ein Sample übrigens, das der eine oder andere sicherlich aus Alicia Keys’ Hit „Unbreakable“ (2005) kennt – knüpft direkt an Biggies „Warning“ von seinem Debütalbum „Ready To Die“ (1994) an, wenn sie folgende Warnung ausspricht: „You don’t want to fall in love with me/There’s gonna be some slow singing and flower bringing/If my burglar alarm starts ringing.“
Und während die Gangster-Hymne „Gone Baby, Don’t Be Long“ in dieselbe Kerbe schlägt wie „Otherside of the Game“ von „Baduizm“, ist das Kernstück von „Return Of The Ankh“ doch ein anderer Track, „Out My Mind Just In Time“ nämlich, eine epische Ballade aus drei Sätzen, die eher an „Green Eyes“ vom „Mama’s Gun“-Album (2000) erinnert. Hier gewährt Badu tiefe Einblicke in ihr Liebesleben – Zitat: „I am a recovering undercover over-lover/Recovering from a love I can’t get over/And now my common law lover thinks he wants another“ –, während Georgia Anne Muldrow, die umtriebige Sängerin und Produzentin aus dem Hause Stones Throw, die melancholischen Untertöne im zweiten und dritten Satz mal eben durch den Funk-Fleischwolf dreht.
Was genau jedoch die Musik von Erykah Badu so einzigartig macht, ist gar nicht so leicht zu sagen. Ihr Verständnis von Soul ist schwer fassbar und schwerstens funky zugleich. Entscheidend ist dabei sicherlich, dass sie schon immer ihr Herz in ihren Songs ausgeschüttet hat. Auf „New Amerykah Part Two: Return Of The Ankh“ analysiert sie abermals die eigene Gefühlswelt und macht ein für allemal klar, dass es immer nur um die eigene Leidenschaft gehen kann und darf. Dieser Leidenschaft hat sie ihre Karriere zu verdanken.
Dazu beweist sie, dass sie ihren Platz im musikalischen Universum inzwischen gefunden hat: Unterstützt von ihrem kreativen Umfeld aus Produzenten und Musikern der Extraklasse, versucht Badu nicht mehr, irgendeine Fassade aufrecht zu erhalten, sondern kehrt ihr wahres Wesen nach außen. Auf „New Amerykah Part Two“ setzt sie somit letztlich genau das um, was sie einst aus der Begegnung mit dem kubanischen Priester gelernt hat. So schließt sich der Kreis.
Über Erykah Badu:
Vor 13 Jahren trat die 1971 in Dallas geborene Erykah Badu, bürgerlich Erica Wright, mit ihrem Debütalbum „Baduizm“ (1997) auf den Plan und etablierte sich im Handumdrehen als eine Ausnahmesängerin, der es gelingt, den Soul der alten Schule mit zeitgenössischem R&B zu verknüpfen. Ihr erster großer Wurf sollte nicht nur in unzähligen Jahrescharts ganz oben landen, sondern ihr auch diverse Auszeichnungen bescheren (unter anderem zwei Grammys, in den Kategorien „Best Female R&B Vocal“ und „Best R&B Album“). Nachdem sie für ihren Gastauftritt auf dem Song „You Got Me“ von The Roots einen weiteren Grammy in Empfang nehmen konnte, legte sie pünktlich zur Jahrtausendwende das Album „Mama’s Gun“ nach, das binnen kürzester Zeit Platinstatus erreichte. Der Nachfolger „World Wide Underground“ aus dem Jahr 2003 wurde ebenfalls mit Gold ausgezeichnet. Mit ihrem vierten Studioalbum, dem ersten Teil der „New Amerykah“-Serie, landete die 39-Jährige, die an der Uni das Nebenfach Quantenphysik belegte, bis sie 1993 den Entschluss fasste, ihr Leben voll und ganz der Musik zu widmen, vor zwei Jahren gleich in der ersten Verkaufswoche auf Platz #2 der Billboard-Charts. Neben ihrer Karriere als Musikerin hat die dreifache Mutter wiederholt vor der Kamera geglänzt (unter anderem in Filmen wie „House Of D“ und „Block Party“) und mit B.L.I.N.D. ihre eigene Charity-Organisation ins Leben gerufen.