FREDDIE MERCURY
Elaboriert. Extrovertiert. Extravagant. Freddie Mercury zählt unbestritten zu den größten Selbstdarstellern der Rockgeschichte: Wie ein Galan stolzierte der Egomane majestätisch über die Bühne und kokettierte mit dem Publikum. Das Bild, wie Mercury mit hoch gereckter Faust und gespreiztem Schritt auf der Bühne verharrt, hat sich auf ewig ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Der Frontmann der britischen Rockband Queen war ein schillernder Paradiesvogel, wie es ihn vorher und nachher nicht mehr gegeben hat. Der Sänger mit dem unverwechselbaren Falsett hat mit Queen ein gigantisches Gesamtwerk hinterlassen: Alben wie “A Night At The Opera”, “News Of The World”, “Innuendo” oder das posthum erschienene “Made In Heaven” zu nennen, heißt, Meisterwerke aufzuzählen; Songs wie “Bohemian Rhapsody”, “We Will Rock You”, “Somebody To Love”, “The Show Must Go On” und “We Are The Champions”, um nur eine Hand voll zu anzuführen, gehören zum Kanon der Populärmusik des 20. Jahrhunderts. Im Vergleich zu Queen mag sich das Soloschaffen von Freddie Mercury recht gering ausnehmen, gleichwohl offenbarte sich auch darin seine facettenreiche Künstlerpersönlichkeit. Das Jahr 2006 birgt gleich zwei Gedenktage, die an Freddie Mercury erinnern: Am 5. September wäre der britische Rocksänger 60 Jahre alt geworden und am 24. November jährt sich sein Todestag zum 15. Mal. Aus diesem Anlass erscheinen das Album “The Very Best Of Freddie Mercury” sowie die Doppel-DVD “Lover Of Life, Singer Of Songs”, die neben einer zweistündigen Dokumentation über das Leben und Wirken des Superstars auch alle Videoclips seiner Solowerke und zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen sowie das letzte gefilmte Interview mit Freddie Mercury selbst enthält.
Geboren wurde Farrokh Bulsara, so sein eigentlicher Name, auf der ostafrikanischen Insel Sansibar. Den Großteil seiner Kindheit verbrachte der Sohn eines Regierungsbeamten in Indien, wo er das englische Internat St. Peter’s besuchte. Schon dort erhielt er den Rufnamen Freddie. Bereits im Alter von sieben Jahren wurde das musikalische Talent des Jungen entdeckt und durch Klavierunterricht gefördert. Außerdem zeichnete er sich an der Schule in Sport aus und zeigte auch große künstlerische Begabung. 1964 zogen die Bulsaras nach Middlesex in England. Hier trat Freddie einer Bluesband namens Wreckage bei, während er am Ealing College of Art Graphikdesign studierte. Ein Studienkumpel machte den Sänger mit Roger Taylor und Brian May bekannt, die gerade eine Band mit Namen Smile gegründet hatten. Aus Smile wurde Queen, als Freddie als Leadsänger in die Formation wechselte. Das letzte Mitglied der Band, die für die nächsten 20 Jahre zusammen spielen sollte, war der Bassist John Deacon. Der Rest ist Rockgeschichte: EMI Records nahm die Band schnell unter Vertrag und 1973 wurde ihr Debütalbum “Queen” veröffentlicht, der Beginn einer der spektakulärsten und beständigsten Bandkarrieren aller Zeiten, die mit “Killer Queen” 1974 ihren ersten Top-Hit verzeichnete.
1975 erschien die opernhaft anmutende Single “Bohemian Rhapsody”, die ganze neun Wochen lang die englischen Charts anführte. Dieser Ausnahmesong der Rockgeschichte wäre beinahe gar nicht veröffentlicht worden, weil er zu lang und der Stil zu ungewöhnlich war, doch Freddie beharrte darauf und war sicher, dass das Stück gespielt werden würde – es wurde ein Hit mit großem Wiedererkennungswert. Inzwischen war deutlich geworden, was für außergewöhnliche Fähigkeiten Freddie besaß: eine Stimme mit einem bemerkenswerten, dreieinhalb Oktaven umfassenden Register und eine Bühnenpräsenz, die Queen zu ihrem schillernden Image verhalf. Sehr bald waren Queen weit über die Grenzen Großbritanniens hinaus bekannt: In Europa, Japan und den USA triumphierten sie bei ihren Konzerten und erklommen die Charts; in den USA erlangten sie 1979 mit “Crazy Little Thing Called Love” Platz eins. Was Queen zudem auszeichnete, war die zweifellos demokratische Gewichtung ihres kreativen Outputs: Jedes der vier Mitglieder hat für die Band Songs geschrieben, die die Charts anführten. Diese ungemeine kompositorische Kraft, kombiniert mit dem Streben nach einem perfekten Sound, der notorischen Experimentierfreudigkeit, dem Hang zur Theatralik und Freddie Mercurys überragenden Performancequalitäten, machten Queen so einmalig und wegweisend für Generationen von anderen Bands.
Freddie Mercury, ganz gleich ob in Latex oder Leder, mit entblößter Brust oder im Hermelin, gelang es stets, sein Publikum zu faszinieren und mitzureißen – unabhängig davon wie riesig die Menge der Zuschauer war. Nicht umsonst gelten Queen als Gründerväter des Stadionrock, ein Ruf, den sie durch ihre Bravourleistung in Südamerika festigten, wo sie in São Paolo vor 231.000 Zuschauern spielten und damit einen Weltrekord aufstellten. Unvergesslich geblieben ist auch ihr Auftritt im Jahr 1985 beim Live Aid Festival, wo sie allen anderen Künstlern die Show stahlen. Damit nicht genug, haben sich Queen ein ums andere Mal als Pioniere des Popvideos ausgezeichnet. Ihre innovativen Clips waren mutige, wenn nicht gar übermütige visuelle Abenteuer: Man denke nur an “I Want To Break Free”, in dem das Quartett in Frauenkostümen posierte, an den opulenten, vom Stummfilmklassiker “Metropolis” inspirierten Monumental-Clip “Radio Ga Ga” oder an das skandalträchtige Video zu “Bicycle Race”, in dem fünf Dutzend splitternackte Frauen ums Wembley Stadion radelten. Doch in allem, was Queen in Angriff nahmen, bewahrten sie Stil, Größe und Überzeugungskraft – was in erster Linie Mercurys Charisma zu verdanken war.
Parallel zu seiner Karriere mit Queen wandelte Freddie Mercury ab Mitte der achtziger Jahre auf Solopfaden. 1983 buchte er das Musicland Studio in München und machte dort gemeinsam mit dem Produzenten Reinhold Mack erste Aufnahmen für sein Solodebütalbum “Mr. Bad Guy”, das erst 1985 veröffentlicht wurde und es bis in die britischen Top Ten schaffte. Seine erste Single unter eigenem Namen, “Love Kills”, war bereits ein Jahr zuvor erschienen, aufgenommen für Giorgio Moroders Soundtrack zur Farbversion von Fritz Langs “Metropolis”. Die exklusiv edierte Compilation “The Best Of Freddie Mercury” enthält neben Originalsongs aus Mercurys Debütalbum auch einige Remix-Versionen, etwa von “Foolin' Around” und “Living On My Own”. Ebenfalls enthalten ist das 1986 erschienene “Time”, eine Zusammenarbeit mit Dave Clark für sein gleichnamiges Musical. Brillant und durchaus selbstironisch war auch Freddie Mercurys Coverversion von “The Great Pretender” (The Platters feierten mit diesem Song 1955 ihren ersten weltweiten Nummer-eins-Hit). In dem aufwendigen Videoclip schreitet Mercury eine riesige Freitreppe herab, flankiert von einer unüberschaubaren Zahl lebensgroßer Pappkopien seiner selbst. Die prächtige Ballade katapultierte die Rockdiva 1987 einmal mehr in die britischen Top Five.
Im selben Jahr erfüllte sich Freddie Mercury einen lang gehegten Wunsch und trat mit der international gefeierten Operndiva Montserrat Caballé im Ku-Club von Ibiza auf. Wenige Monate später erschien der Titelsong ihres gemeinsamen Albums “Barcelona”, eine Hymne auf Senora Caballés Heimatstadt. 1992 wurde der Song zur Erkennungsmelodie der Olympischen Spiele von Barcelona gewählt und avancierte in jenem Jahr zum europaweiten Top-Hit. Dem 1988 erschienenen Album “Barcelona” war kein so großer Erfolg beschieden, obwohl sich Mercury und Caballé als stimmgewaltiges Gespann präsentierten und der Queen-Sänger sein Faible für das musikalische Melodram und seine Liebe zu klassischen Motiven großzügig auslebte. “Guide Me Home” und “The Golden Boy” sind Glanzbeispiele einer männlichen Primadonna auf dem Zenit ihres Schaffens.
1990 begab sich Freddie Mercury mit Queen ins Studio, um “Innuendo” aufzunehmen. Schon zu dieser Zeit war er von seiner Krankheit schwer gezeichnet, fand aber die Kraft für ein letztes gemeinsames Meisterwerk mit Brian May, Roger Taylor und John Deacon. Songs wie “I’m Going Slightly Mad”, “These Are The Days Of Our Lives” und “The Show Must Go On” deuteten auf das Unvermeidliche hin. Am 24. November 1991 endete Freddies Kampf gegen AIDS; nur 24 Stunden zuvor hatte er öffentlich erklärt, an dieser Krankheit zu leiden. Der Tod des innovativsten und markantesten Botschafters der Rockmusik, eines wahrhaften Pioniers und Regenten der Showbühne markierte das Ende einer Epoche. Freddie Mercury mag in dem Entertainer Robbie Williams einen würdigen Nachfolger gefunden haben, sein künstlerisches Erbe bleibt noch Generationen erhalten. Das Album “The Very Best Of Freddie Mercury” und die DVD “Lover Of Life, Singer Of Songs” würdigen noch einmal jenen Mann, den die himmlische Muse besonders innig geküsst hat. Mag sein irdisches Dasein zu begrenzt gewesen sein, sein künstlerisches Wirken ist und bleibt grenzenlos.
Juli 2006