Die meisten Menschen, die Friedrich Gulda getroffen oder erlebt haben, haben Geschichten zu erzählen. Die einen schwärmen von seiner Kunst, seinem Genie am Klavier, die andern schmunzeln noch immer über manchen Streich des guten Geschmacks, den der Wiener Querdenker vor allem in seiner Ibiza-Phase dem Establishment spielte.
Aber erzählen kann fast jeder etwas, wie beispielsweise der ehemalige Leiter der Klassikabteilung des Kaufhauses Beck, Werner Will – lesen Sie seinen unterhaltsamen Bericht weiter unten in dieser News.
Die besten Geschichten oder auch persönlichen Erlebnisse mit der Person und Musik von Friedrich Gulda möchten wir anlässlich seines 80.Geburtstags, den er am die 16.Mai 2010 gefeiert hätte, sammeln. Die interessantesten und originellsten Geschichten werden von der Redaktion ausgewählt und im Juni bei klassikakzente.de veröffentlicht. Als kleine Entschädigung für die Mühe des Verfassens beim Spaß des Erinnerns erhalten die Autoren der veröffentlichten Beiträge je eine Biographie „Friedrich Gulda“ aus der Feder der Gulda-Witwe Ursula Anders. Viel Spaß beim Schreiben und Sichten - wir sind gespannt!
Der Paradiesvogel
Erinnerungen an einen Quertreiber
Friedrich Gulda war im Münchner Konzertbetrieb der 70er und 80er Jahre ein absoluter Paradiesvogel – und trotzdem ein gern gesehener Gast. Dass sich der streitbare Wandler zwischen den musikalischen Welten ausgerechnet im konservativen München zuhause fühlte, und der Stadt an der Isar oft seine Aufwartung machte, erscheint seltsam. Das gilt aber nur für diejenigen, die München nicht kennen.
Schon immer konnten sich Künstler, die als schwierig und rebellisch galten, hier ein Biotop schaffen. Das gilt für Friedrich Gulda ebenso wie für Richard Strauss, selbst der scheue Carlos Kleiber oder der ultra-streitbare Sergiu Celibidache fanden an diesem kunstsinnigen Ort eine Art Heimat. Der nicht ganz erklärbare Grund dafür ist wohl in der Widersprüchlichkeit des Münchner Lebensgefühls zu suchen: In der Stadt von Strauss und Stoiber liegen, ausgerechnet unter dem Maximilianeum, dem Hort der bayrischen Hochpolitik, die „Nackerten“ auf der Wiese und sonnen sich. Das gibt es nirgendwo sonst.
Kaum einen Steinwurf von dieser Freikörperszenerie entfernt, in der Muffathalle, fand Gulda, gern im Hawaiihemd, oder auch mal ganz „nackert“, einen funktionierenden Nährboden für seine experimentellen Konzerte. Wohlgemerkt, wir sprechen von einer Phase, in welcher er mit der Klassik fast abgeschlossen hatte. Free Jazz, avantgardistische Hochzeiten sämtlicher Musikrichtungen, früher Techno – das war damals seine, mehr von Ibiza als von Wien inspirierte, musikalische Welt.
Dennoch hatte er genug Symphathie für die damals frisch eröffnete, riesengroße Klassikabteilung im Nobelkaufhaus Ludwig Beck, als er sich 1990 zu einer Autogrammstunde mit anschließendem Spontankonzert breit schlagen ließ. Nie werde ich diesen Auftritt vergessen: Friedrich Gulda ganz Wiener Nonchalance, gekleidet wie ein nachlässiger Dandy, parlierend auf einem weißen Klavier, stets umschwirrt von einer Horde sehr emsiger, sehr biegsamer Mädchen, seiner persönlichen Entourage.
Viele sagen, Guldas Hinwendung zum Jazz hätte seinen Klassik-Stil zerstört. Aber er hat auch sehr gewonnen: an Lockerheit (die der Klassik musikalisch manchmal nicht schadet). Legendär sein rarer Auftritt 1978 mit Mozart-Sonaten im Münchner Herkulessaal, eine Sonntagsmatinee, für die ein großes Kontingent via Gewerkschaften an Handwerker und Arbeiter gegangen war. Was passiert: Die Menge klatscht zwischen den Sätzen – oho, wie unpassend, ein Fauxpas – heftiges Gezischel vom informierten Teil des Publikums. Und Gulda erhebt die Stimme und sagt in breitestem Wienerisch: „Lossns hoit die Leit klotschn, wann’s eana gfoid.“ Ein goldener Moment.
In den 90er Jahren, nachdem er sich mit seiner Eigenproduktion Paradise Productions der Klassik wieder zugewendet hatte, ergab sich zwischen Friedrich Gulda und mir ein reger Kontakt. Vom Atterseee im Salzburger Land, wo er sein Domizil hatte, ist es nach München nicht weit, und bald war unser Laden der einzige in Deutschland, der seine selbstgemachten CDs vertreiben durfte. Am Telefon hat mich Gulda wie selbstverständlich von Anfang an geduzt, daraufhin ich ihn einfach auch. Das hat ihm wohl gefallen, denn bald haben wir ungefähr einmal die Woche telefoniert. „Sog hoid, wann i spün soi, dann setz i mi in mein Ferrari und kum awa“ hat er immer gesagt.
Leider ist es dazu nie mehr gekommen.
Werner Will -
bis 2003 Chef der Klassik bei Ludwig Beck