Guillemots | Biografie

Infotext 2008

Die Trottellummen fliegen wieder! Nur zu passend, dass sich die Guillemots nach einem schottischen Küstenvogel benannt haben. Ihr Mastermind, Pianist, Songschreiber und Sänger Fyve Dangerfield ist nämlich nicht nur ein verdammt schräger Vogel, er stammt zudem tatsächlich aus Schottland und ist leidenschaftlicher Vogelkundler. Aber auch seine Mitstreiter sind nicht minder, nun ja, außergewöhnlich. Aristazabal Hawkes ist eine furchteinflößend hübsche, jazzsüchtige Kontrabassistin, MC Lord Magrao ein brasilianischer Gitarrist mit Thrash-Vergangenheit und Greig Stewart hat vor den Guillemots in erster Linie für Metalbands auf die Felle gedroschen. Mit „Through The Windowpane“ legten sie dann – ausgerechnet – ein elegisches Breitwand-Pop-Debüt hin, auf dem kleine Bären zum Weltuntergang einen Samba im Schneeregen tanzten. Kurz darauf erhielten sie dann auch noch eine Mercury-Prize-Nominierung als „Best Live Act.“

Bei solch einer außergewöhnlichen Truppe ist es klar, dass man bei Album Nummer zwei nicht einfach bloß Kurs hält. Dangerfield erklärt die Unterschiede zwischen „Through The Windowpaine“ und „Red“ so: „Unser Debüt war subtiler. Überall waren Streicher, Hall und Harmonien. Sounds, zu denen man sich wegträumen konnte. Auf ‚Red’ wollten wir Popsongs, die dich sofort packen.“ Das hört man schon im größenwahnsinnigen Orchester-Intro des Openers „Kriss Kross“, in das plötzlich ein bratzender Bass und ein wuchtiger Drumbeat hineinpoltern. „When the moon is in the sky I like it!“, frohlockt Dangerfield mit dieser großartigten Stimme, die also nicht nur so wunderbar melancholisch jaulen kann.

Trotzdem kratzt man sich schon nach den ersten Songs verwundert am Kopf. Klingt das alles nicht sehr „Eighties“? Sollte man hier nicht sogar stellenweise laut „Disco!“ schreien? Ja. Wollten die Guillemots das? Definitiv. „Wir sind zwar keine massiven 80er-Fans, aber es gibt einfach so viele Songs aus dieser Zeit, die sich in unserem Unterbewusstsein vergraben haben.“, so Dangerfield. „Man kennt sie, man kann sie mitsummen, man kann sie halt nur nicht beim Namen nennen. Sie hatten diese großartigen Popmelodien, aber die wurden leider so dermaßen synthetisch und cheesy produziert, dass sich das Vorurteil bis heute hält, großer Pop müsse so klingen.“ Diese Wahrnehmung wollte man nun ändern: „Wir haben einfach selbst unverschämt eingängige Popmelodien geschrieben und sie dann mit allerlei Störfeuer torpediert: abstrakte Rhythmen, schmutzige Bässe, Scratchsounds – was uns so einfiel.“

Auf diese Weise haben sie es gleich mehrfach geschafft, die Achtziger-Referenzen unpeinlich ins Jetzt zu transportieren. „Standing On The Last Star“ ist ein weiteres Beispiel dafür. Bei den Gitarren meint man die Cure der Achtziger rauszuhören, während Dangerfield seine apokalyptischen Lyrics in Prince-Tonlagen zum Besten gibt. Die Single „Get Over It“ dagegen setzt auf Depeche-Mode-Keyboards und Disco-Whoo-hoo-hoos, während im Hintergrund einer dieser schmutzigen Bassläufe wuppert. Platz für eher konventionelle Balladen bleibt dennoch: „Falling Out Of Reach“ entfaltet sich mit zartgezupfter Akustikgitarre, Chorharmonien, opulenten Streichern und traurigem Gesang – und erinnert so vielleicht am Stärksten an das Guillemots-Debüt. „Big Dog“ hingegen verneigt sich vor modernem R’n’B, inspiriert von Timberlakes „Sexyback“.

Bei all den musikalischen Querverweisen kommt den Guillemots aber in keinem Moment die Eigenständigkeit abhanden. Was vor allem daran liegt, dass Dangerfield lyrisch natürlich nicht über die gewöhnlichen 80er-Oberflächlichkeiten schwadroniert, sondern weiterhin die düsteren Ecke der Seele ausleuchtet. „Musikalisch ist ‚Red’ sehr upbeat und mitreißend“, so Dangerfield, „aber die Texte handeln von Tod, Depression, Aggression und Gier. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie – ebenso wie die Songs – aus der Improvisation entstanden sind. Bei dieser Arbeitsweise ist man oft auf sich selbst gestellt und gräbt intuitiv das aus, was sich im Unterbewusstsein vergraben hat. Und dieses Gefühl, das etwas – im großen Ganzen, wie im Privaten – nicht stimmt, ist dort sehr präsent. Das kam dann in den meisten Songs einfach durch.“

Wer hätte am Ende gedacht, dass diese Themen sich trotzdem als Ohrwürmer in die Köpfe schlängeln können. „Klar, geht so was“, widerspricht Dangerfield. „Nimm Alben wie ‚Wuthering Heights’ oder ‚Nevermind’ – die sind unwahrscheinlich kompromisslos und schreien geradezu nach Aufmerksamkeit. Und trotzdem funktionieren sie wunderbar als Radioplatten. Das ist auch unser ultimatives Ziel: Wir wollen Popmusik machen, die man nicht ignorieren kann.“ Mit „Red“ dürften sie diesem Ziel einen entscheidenden Schritt näher gekommen sein.