Die Geschichte von HER ist gezeichnet von massiven Erfolgen und tragischen Schicksalsschlägen, von Triumph und Tragik gleichermaßen – doch letztlich ist es vor allem die Geschichte einer Freundschaft: der zwischen Victor Solf und Simon Carpentier.
Der in Deutschland geborene Victor und der Franzose Simon lernten sich schon 2007 kennen – sie gingen noch zur Schule –, und die beiden verstanden sich direkt wie zwei Brüder. Als sie dann damit anfingen, gemeinsam Musik zu machen, war ihr Sound gleichermaßen von klassischem Soul à la Otis Redding und vom Hip-Hop aus der Post-„Yeezus“-Phase beeinflusst. Den Namen HER gaben sie ihrem Projekt im Jahr 2015.
Schlagartig bekannt wurde ihre Musik, als bereits der frühe Song „
Five Minutes“ als Soundtrack der „Shot on iPhone“-Kampagne von
Apple fungierte – was ihnen schließlich mehr als 6,7 Millionen Streams bei Spotify bescheren sollte. Danach legte das aus
Rennes stammende Duo mit deutsch-französischen Wurzeln die EP-Serie „
Her Tape #1“ und „
Her Tape #2“ vor, die mit Highlights wie „
Quite Like“, „
Union“ und „
Her“ gespickt waren – was wiederum mehr als 20 Millionen weitere Spotify-Streams für HER bedeutete. Hinter den verführerisch-provokativen Visuals, die ihre Cover zierten, verbarg sich ein dezent verträumter Newer-Wave-Sound, minimalistisch, zwischen Pop und Soul gelagert, in dem auch Jazz-Elemente aufflackerten – und so umkreisten die zwei besten Freunde gleich mehrfach den Globus, präsentierten die EPs live und machten auch in den Staaten eine ordentliche Welle.
Soweit die Zahlen, die beeindruckenden Erfolge der letzten zwei, drei Jahre – denn mitten in dem ganzen Trubel verlor Simon, was kaum einer mitbekam außerhalb des engsten Familien- und Freundeskreises, einen langen, harten, im Stillen geführten Kampf gegen seine Krebserkrankung: Er starb vor wenigen Monaten, im August 2017.
„Das ganze letzte Jahr war unglaublich hart, weil es Simon so schlecht ging“, berichtet Victor. „Es fiel ihm z.B. wahnsinnig schwer, unsere Tour zu bestreiten – nur fand er eben auch, dass es wichtig war, damit weiterzumachen und Konzerte zu geben! Er wollte einfach nicht aufgeben, nicht aufhören… sechs Jahre lang hat er mit dieser Krankheit gekämpft. Und eigentlich haben wir in dieser Zeit auch gar nicht so häufig über Krebs oder über den Tod gesprochen: Wir wollten stattdessen lieber über das Leben reden. Und jetzt, denke ich, ist es meine Aufgabe, diese Linie und diesen Ansatz weiter zu verfolgen. Mir fällt das echt schwer, aber ich tue mein Bestes – für mich und für ihn.“
Zumindest im Geiste unterstützt von seinem verstorbenen Freund, begab sich Victor also wieder ins Studio und arbeitete weiter an ihrem Debütalbum „HER“, das 2018 bei Republic Records erscheinen wird. Er verpasste den bestehenden Songs den letzten Schliff und kehrte zwischendurch auch auf die Bühne zurück: unter Anderem spielte er ein umwerfendes, zutiefst ergreifendes Set beim Rock En Seine Festival in Paris – ein Festival übrigens, bei dem HER schon immer hatten auftreten wollen. Es folgten weitere Shows in ganz Europa und dann war das Album so gut wie im Kasten: „Die meisten Songs waren schließlich schon vorher fertig; sie brauchten nur noch etwas Feinschliff am Gesang, am Hintergrundgesang…“, berichtet er. „Mir war halt wichtig, dass Simons Stimme, Simons Vision und sein Gitarrenspiel quasi unberührt bleiben und in der finalen Version wirklich genau so klingen, wie er das wollte. Daran habe ich gefeilt.“
Mit der Single „
We Choose“ haben HER schon im Vorfeld einen bezeichnenden Albumvorboten veröffentlicht: Denn auch hier breitet sich Simons unverwechselbare Stimme über einer extrem minimalistisch-leichten, geschmeidigen Produktion aus, sprich: seine Präsenz ist sofort zu spüren, seine Handschrift ist unverkennbar. „Seltsam daran ist, dass das der allererste Song war, den wir als HER geschrieben haben – und zugleich der letzte, den ich zusammen mit Simon aufgenommen habe“, erklärt Victor. „Wir schrieben ihn genau an dem Punkt, als gerade Schluss war mit unserer vorherigen Band. Wir wollten damit ein richtiges Statement machen: dass man die Hoffnung nicht verlieren darf, unbedingt an dem festhalten muss, was man liebt. Wir arbeiteten damals jeden Tag an neuen Ideen, und dieser Song stach einfach heraus, weil es bei uns ja auch ums Festhalten und ums Weitermachen ging – schließlich gab es damals auch Leute, die dachten, wir würden nun ganz aufhören nachdem ja Schluss war bei der anderen Band. Nun, wir haben nicht aufgehört. Und ich glaube, jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um ‘We Choose’ zu veröffentlichen: Denn selbst wenn die Dinge schlecht stehen, gibt es immer noch eine Sache – die Hoffnung. Der Song ist quasi der Prolog zum nächsten Kapitel. Einem Kapitel, das hoffentlich so weitergeht, wie er sich’s gewünscht hätte.“
Während die Band dieses neue Kapitel mit einem ausverkauften Konzert im Pariser Bataclan begann, ist und bleibt die Musik von HER der beste und greifbarste Beweis dafür, wie einzigartig die Chemie und die Bindung zwischen den beiden Bandgründern war.
„Es ist einfach extrem wichtig, dass dieses Album erscheint“, sagt Victor abschließend. „Mir ist es nur dadurch möglich, seinen Tod zu verarbeiten. Das hier ist Musik für immer, fürs Leben.“