Er könnte sich einfach zurücklehnen, einmal tief seufzen und auf immens erfolgreiche Jahrzehnte als Musiker zurück schauen, auf seine Karriere als Autor, Kabarettist und Entertainer. Vielleicht tut Herman Van Veen das auch hin und wieder. Sich zurücklehnen und seufzen. Im Urlaub oder nach Feierabend. Wahrscheinlich ist es nicht. Seine neue Langspielplatte, wie man in jener Zeit sagte, aus der der Künstler Van Veen stammt, heißt “Im Augenblick”. Und um nichts anderes geht es dem inzwischen 64-jährigen Niederländer: Das Jetzt zelebrieren, in die Zukunft blicken und, ganz schlicht, zu leben. Bei anderen Künstlern klingt so etwas oft prätentiös. Doch Van Veen ist anders. Seine Stimme ist nicht die eines 64-Jährigen. Seine Verse sind nicht altersmilde. Seine Art zu denken nicht die eines Seniors.
“So schön es früher war / ist es früher nie gewesen”, gibt er den Dauernörglern seiner Generation im neuen Song “Gott sei Dank” grimmig auf den Weg. Ein drastischer Text, eine schonungslose Analyse des Alterns in all seinen hässlichen Ausprägungen. “Vollgeschissene Unterhosen”, “Stützstrümpfe”, “Stop-and-go-Füße”; Seine Bilder dürfen deutlich sein, schmerzen, sollen aufwecken und vor allem zum Nachdenken anregen. Wie auch der einzige explizit politische Song “Köln-Ehrenfeld”, in dem Van Veen zu einer orientalischen Melodie die hitzige Diskussion um die Zentralmoschee im Kölner Multikulti-Viertel in seine eigene Gedankenwelt überträgt. Man kann sich sein Fazit ausmalen: “Ob Allah oder Gott / Jesus, Mohammed / man betet dasselbe Angstgebet.” Das ist der aufrüherische, unbeugsame Van Veen.
Doch es gibt auch den zärtlichen, liebenden Sohn, Ehemann, Vater und Großvater Van Veen. Rührend, wie er in “Mama” zu seiner Mutter spricht. Wie er in “Nach Hause” seine Töchter einlädt, die Stunden vor ihrer Geburt gemeinsam mit ihm zu durchleben. Oder wie er in “Hier unten am Deich” von einer geheimen Stelle berichtet, die er mit seiner Liebsten teilt, während “der Mond das Wasser bespielt” und ein Piano seine poetischen Zeilen behende über schwere Mollakkorde fegt.
Neben den mitreißenden Bilderwelten, die der Dichter aus Utrecht erneut zu evozieren versteht, besticht “Im Augenblick” mit schnörkelloser, pointierter Instrumentierung. Vom kristallklaren Akustikgitarrenstart in “Amsterdam” über das perkussive “Köln-Ehrenfeld” hin zum flehenden Dankeslied “Was kann ich für dich tun?” dehnen sich die Songs zu einem fließenden, dynamischen Gesamtklangkörper, der, einmal in Gang gesetzt, die lyrischen Denkanstöße Van Veens kongenial antreibt. So selbstverständlich dem Niederländer die Worte zuzufliegen scheinen, webt seine Band einen seelenvollen Arrangement-Kokon um die einzelnen Verse.
“Im Augenblick” ist ein leises, melancholisches Dahingleiten, aus dem Alltag hinaus, in den Alltag hinein. Herman Van Veen spielt darin den Vater oder Großvater, den man als Hörer selbst gerne hätte: Einen intelligenten, feinfühligen und aufmerksamen Beobachter des Alltagslebens. Zum Zurücklehnen und Seufzen bleibt da wenig Zeit.