Ilse DeLange weiß durchaus, dass man seine größten Helden eigentlich nicht treffen sollte. Nur weiß sie auch, dass es in Ausnahmefällen doch die richtige Wahl sein kann. Und wenn man sich dann für ein solches Treffen entscheidet, sollte man eines tun: Mit ihnen arbeiten. Sein Name lautet
T-Bone Burnett. Er ist eine Legende – als Musiker, Songwriter, nicht zuletzt als einer der größten und prägendsten Producer der vergangenen Jahrzehnte. Bei ihm im Regal stehen nicht ohne Grund 13 Grammy Awards. Und mindestens zwei davon hat er für Alben gewonnen, die Ilse DeLange nicht nur rauf und runter, sondern regelrecht “kaputtgehört” hat. Da wäre beispielsweise der Soundtrack zum Film “
O Brother, Where Art Thou?”aus dem Jahr 2000. Ein echtes Ausnahmealbum, weil es eine vollkommen neue Generation an Country, Blues, Bluegrass und Folk herangeführt hat. Ein anderes Beispiel ist das “Album des Jahres 2009” – “
Raising Sand”, aufgenommen von Rocklegende
Robert Plant und Country-Sängerin
Alison Krauss. Hier war T-Bone Burnett nicht nur Produzent, sondern spielte auch Gitarre. Genau genommen ist die Liste der Musiker, mit denen Burnett in den letzten Jahrzehnten im Studio war, unfassbar lang. Von
Roy Orbison über
Elton John bis hin zu
Elvis Costello sind etliche Schwergewichte darauf vertreten – wie ab sofort auch der Name einer Holländerin:
Ilse DeLange.
Ihr neues Album “
Gravel & Dust” ist beides: Ein konsequenter nächster Schritt – und eine Rückkehr zu ihren Wurzeln, das Wiederentfachen einer alten Flamme. Indem sie erstmals mit jenem Mann zusammengearbeitet hat, dessen Arbeiten vor inzwischen 21 Jahren die womöglich wichtigste Inspirationsquelle für ihr Debütalbum “
World Of Hurt” waren, schließt sich ein Kreis für DeLange. “Ich habe mich im Studio immer wieder auf seine Aufnahmen bezogen; sie waren eine Art konstanter Orientierungspunkt”, so die Sängerin. “Um beispielsweise zu beschreiben, wie ein gewisser Song für mich klingen sollte, hab ich öfter mal auf das Album von Robert Plant und Alison Krauss verwiesen.”
Den Kontakt stellte der Produzent Patrick Leonard her, mit dem Ilse DeLange ihr Album “The Great Escape”aufgenommen hatte. Ilse bekam die Mailadresse von Burnett, schrieb ihn an, schrieb auch ein paar Zeilen darüber, wie ähnlich ihre musikalischen Vorlieben doch waren. Schon in dieser ersten Mail schrieb sie ihm auch, dass sie das Gefühl hätte, in keine der gängigen Genreschubladen so recht hineinzupassen. “Ich würde dich gerne zum Kaffee treffen, wenn du das nächste Mal in Nashville bist”, lautete seine Antwort. Und als sie sich dann schließlich begegneten, war Ilse nicht nur aufgeregt, sondern ihre Nerven lagen regelrecht blank. “Ich war so überdreht, dass ich am Ende unseres Gesprächs doch glatt vergessen hatte, ihm die entscheidende Frage zu stellen – ob er nämlich mein Album produzieren wollte!” Burnett lud sie direkt zu sich in die House Of Blues Studios ein, um zusammen ein wenig Musik zu hören. Schon während Burnett mit seinem Auto durch Nashville raste und die aufgeregte DeLange versuchte, ihm zu folgen, rief sie ihren Freund und ihre Bandkollegen an. “Du wirst nie im Leben drauf kommen, wessen Auto ich gerade verfolge.” Im Studio angekommen, hörten sie sich die unterschiedlichsten Sachen an, und die Atmosphäre an jenem Morgen war genauso entspannt wie während der Arbeit an “Gravel & Dust”, die nur wenige Wochen später beginnen sollte. “Indem er im Studio ein Aufnahme-Setting kreiert, wo er wirklich absolute Kontrolle über alles hat, bleibt er während des gesamten Prozesses vollkommen locker und entspannt.”
Das Resultat der gemeinsamen Sessions ist mehr als eine bloße Ansammlung von 10 Songs, sondern ein absolut kohärentes, in sich schlüssiges Ganzes – der Inbegriff von einem Album, wenn man so will. Dabei funktioniert “Gravel & Dust” letztlich wie ein gefühlvoller, etwas scheu wirkender Liebesbrief an eine musikalische Inspirationsquelle. Ein Liebesbrief, der natürlich auch auf Vinyl erhältlich sein wird. Es klingt, als ob T-Bone Burnett die Holländerin mit ihrer Gitarre auf einen Hocker gesetzt und dann ein einziges Spotlight auf sie gerichtet hätte, während ihre Band im leuchtenden Zwielicht spielt, das Ilse DeLange umgibt.
Es gibt Künstler, die so gut sind, dass sie es gar nicht nötig haben, sich andauernd zu beweisen. Die es schaffen, stets nur diejenigen Töne, diejenigen Worte zu verwenden, die ein Stück wirklich braucht. Frei von virtuosem Gehabe und angeberischen Einlagen. Auf “Gravel & Dust” ist jeder einzelne Akkord und jede Zeile so gewählt, dass sie ins Gesamtbild passen – etwas beitragen zu jener Südstaaten-Melancholie, die dieses Album versprüht.
“Back to the ashes and the rust / Back to that ancient rolling storm of desire that once was us / Back to the gravel and the dust.”
Während der Arbeit im Studio hat Ilse DeLange einmal heimlich ihr Telefon rausgeholt und T-Bone Burnett gefilmt. Der kurze Clip zeigt einen Mann hinter seinem Mischpult, einen Mann, der komplett versunken ist in die Musik, die er gerade hört. Er hat die Augen geschlossen, und ein Song von Ilse DeLange und ihrer Band füllt den gesamten Raum aus. Er hört genau zu, genießt die Sounds, konzentriert sich voll und ganz auf die Musik und den Moment. Er atmet sie regelrecht ein. Ein Bild, das Burnetts Ansatz und sein ganzes Wesen sehr gut beschreibt, wie Ilse findet. “Nichts zu erzwingen, sich auf den Flow einzulassen, einfach den Songs zu vertrauen… Ihm war wichtig, dass alles so natürlich wie möglich klingt. Schon mit Spuren zu arbeiten, sie zu schichten, aber alles ganz übersichtlich zu halten. Nur einfache Akkorde zu benutzen”, sagt die Sängerin und muss lachen. “Er war genau genommen sogar dagegen, hier und da mit Streichern zu arbeiten, aber ich wollte das, um die Songs größer und filmischer wirken zu lassen. Er ist quasi ein grandioser Schwarz/Weiß-Fotograf, und ich bin nun mal jemand, der auch gerne etwas Farbe ins Spiel bringt. Trotzdem wusste ich natürlich die ganze Zeit, was ich an seinem Sound so sehr liebe. Alles scheint zu atmen, der jeweilige Song selbst steht permanent im Mittelpunkt. Ja, alles, wirklich alles basiert auf einem Gefühl. Und genau das sieht man in diesem kleinen Video, das ich mit meinem Telefon gemacht habe. Er saugt die Musik in sich auf.”
Mit dem grandios zurückhaltenden “Gravel & Dust” ist es T-Bone Burnett gelungen, die introvertierte Seite von Ilse DeLange einzufangen. “Ich mag Popmusik. Ich liebe sie sogar! Ich finde es auch toll, meine ausgelassene Seite in der Musik zu präsentieren. Aber wenn man etwas tiefer geht und schaut, was mein Herz wirklich bewegt, dann sieht man, dass das nun mal eher diese Art von Songs ist. Alles, was rootsy klingt. Pop ist nach außen gerichtet, und diese Songs hier gehen nach innen. Es ist einfach die Musik, die mir wirklich im Blut liegt. Es ist die Musik, mit der ich alt werden will. Denn letztlich ist es die Art von Musik, mit der man überhaupt würdevoll älter werden kann.”
Während ihrer Headliner-Show beim diesjährigen Tuckerville Festival in Enschede (am 7. September) wird Ilse DeLange die Songs von “Gravel & Dust” erstmals live präsentieren. Danach geht es weiter mit ihrer Herbsttournee 2019, in deren Rahmen sie in ausgewählten Theatern auftritt. Und genau hier liegt auch der Unterschied zwischen der Sängerin und ihrem Producer: Während sich Burnett in seinem Studio sehr viel wohler fühlt, blüht Ilse DeLange erst auf der Bühne richtig auf. Die Bühne ist der Ort, an den sie gehört.