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Ingolf Wunder
Ingolf Wunder

Magische Momente

15.07.2014
Im Sommer 2012 ist der junge Pianist Ingolf Wunder auf dem Weg nach Sankt Petersburg. Am 29. Juni wird er in der Philharmonie im strahlend weißen Saal mit den mächtigen Säulenreihen das Erste Klavierkonzert von Tschaikowsky spielen. Der Komponist selbst ist hier seinerzeit regelmäßig als Klaviersolist aufgetreten und später wurde die Philharmonie das Stammhaus der Leningrader Philharmoniker, die unter ihrem Chefdirigenten Jewgeni Mrawinski viele Jahrzehnte lang weltweit auf nahezu konkurrenzlosem Niveau musizierten. Das 1991 in Sankt Petersburger Philharmoniker umbenannte Orchester ist es auch, das mit Ingolf Wunder gemeinsam das Podium besteigen wird, dirigiert von Altmeister Vladimir Ashkenazy, der ebenfalls zu den renommiertesten Pianisten unserer Zeit zählt.
»Ich liebe das Orchester seit meiner Kindheit. Mit ihm zu spielen und eine Aufnahme zu machen, war eine unglaubliche Erfahrung für mich«, schwärmt der 1985 in Klagenfurt geborene Pianist. Nervös blickte er der ersten Begegnung mit dem fast fünfzig Jahre älteren russischen Stardirigenten entgegen. Unnötigerweise, denn Maestro Ashkenazy erwies sich als »ein so herzlicher Mensch, dass man die Aufregung schnell vergaß«, und überdies als idealer musikalischer Partner: »Schon nach der ersten Probe wusste ich, wir passen perfekt zusammen. Er war genau auf meiner Linie.« Diese Linie bedeutet für Wunder eine Abwendung von ausladendem Pathos und künstlicher Gespreiztheit, mit denen allzu viele Interpreten dieses populäre Klavierkonzert überfrachten, zugunsten formaler Klarheit und Frische.
Für die Klarheit im Kopf unternimmt Wunder Streifzüge durch das prunkvolle Sankt Petersburg: »Die Woche mit Proben, Konzert, Fotoshooting, Interviews und Musikaufnahmen war sehr stressig. Wenn es einmal nichts zu tun gab, bin ich einfach durch die Stadt gegangen und habe die grandiose Architektur, die Straßen, Kanäle und Menschen, die ganze Atmosphäre auf mich wirken lassen.« Und die ist bis heute vom Geist Tschaikowskys durchdrungen, der hier seine jungen Jahre verbrachte und seine letzte Ruhe fand: »Es ist stark zu spüren, dass Tschaikowsky in Sankt Petersburg eine Heimat hat. Ich bin jeden Tag an seinem Stamm-Restaurant vorbeigegangen. Diese wunderschöne Stadt hat ihn sicher inspiriert, denn seine Musik wurzelt tief in der russischen Kultur.«
Neben dem Konzert erwartet den jungen Pianisten fernab der Heimat noch eine weitere Herausforderung, eine, die für ihn in musikalischer Hinsicht allerdings ein Heimspiel ist: Für die CD-Veröffentlichung soll auch Chopins Opus 11 eingespielt werden, jenes Konzert, mit dem Ingolf Wunder beim Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau 2010 den Zweiten Platz belegte. Die Schlussakkorde waren kaum verklungen, da brachen schon Jubel und Applaus los. Seither kommen so viele Konzertanfragen, dass Wunder freie Wahl hat – auch was das Repertoire anbelangt: »Ich habe das Glück, alles spielen zu dürfen, was ich wirklich liebe, und ich spiele nur Werke, zu denen ich eine sehr intime Beziehung habe.« Das gilt in besonderem Maße für die Erstlinge von Tschaikowsky und Chopin: »Chopin ist der beste Klavierkomponist, den es je gegeben hat, und wahrscheinlich wird es nie einen besseren geben. Seine Kompositionsweise ist einzigartig, deshalb ist seine Musik auch so schwer zu interpretieren. Und Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 gehört ohnehin zu meinen Favoriten. Die große Herausforderung besteht darin, das Werk nicht in einzelne Teile zerfallen zu lassen, sondern als ein zusammenhängendes Ganzes vorzustellen.«
Diese Begeisterung des Pianisten übertrug sich auch auf das Sankt Petersburger Publikum, das bei Tschaikowsky natürlich sehr genau hinhört und die Leistung des Solisten und der Philharmoniker unter Vladimir Ashkenazy mit frenetischem Applaus belohnte. Da waren kleinere Zwischenfälle schnell vergessen: »Der Saal war ständig belegt, sodass der Steinway-Techniker keine Zeit fand, das Instrument zu stimmen. Also musste der arme Kerl das Klavier in der Nacht von 2 bis 7 Uhr morgens herrichten.« Ein aufopfernder Arbeitseinsatz, begünstigt vielleicht von der Tatsache, dass es in Sankt Petersburg Ende Juni niemals richtig dunkel wird und der gewohnte Lebensrhythmus ohnehin mitunter aus dem Ruder läuft. Für Wunder, der schon zum dritten Mal die Stadt an der Newa-Mündung bereiste, aber das erste Mal während der »Weißen Nächte«, eine faszinierende Erfahrung: »Man wird einfach nicht müde und muss die Vorhänge im Hotelzimmer gut zuziehen, damit man überhaupt schlafen kann. Es ist aber wunderschön, in dieser Zeit auf der Straße spazieren zu gehen. Das sind magische Momente, die man auch körperlich spürt.« Genau wie jene, in denen man dem inspirierten, außergewöhnlich belebenden Spiel dieses Ausnahmepianisten lauscht.

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