In Nottingham, der Heimatstadt von Jake Bugg, sagt man anstelle von “on my own” das leicht gedoppelt wirkende “on my one”: “Wie beispielsweise in: ‘Whadya leave me on my one for?’”, versucht sich der Sänger und Songwriter mit einer Erklärung. “So sagt man das nun mal in Notts. Und dieser Titel bringt in mehrfacher Hinsicht die Essenz des neuen Albums auf den Punkt, weil ich tatsächlich vieles im Alleingang erledigt habe. Es ist das erste Album, für das ich ausnahmslos jeden Song selbst geschrieben habe, und produziert habe ich auch den Großteil selbst. Es gibt ein paar Tracks, bei denen andere Musiker beteiligt waren, aber im Großen und Ganzen spiele ich alle Instrumente, auch Bass und Schlagzeug. Wie eine richtige Ein-Mann-Band also. Was die Arbeit zu einem ziemlich einsamen Unterfangen gemacht hat.”
Mit gerade mal 21 Jahren geschrieben und aufgenommen, legt Bugg (der inzwischen 22 geworden ist) mit “On My One” sein bis dato unmissverständlichstes und persönlichstes Statement vor: Ein Album, das vom ersten bis zum letzten Ton untermauert, weshalb er längst zu den größten Songwritern zählt, die Großbritannien in diesem Jahrzehnt hervorgebracht hat. Schlagartig im Rampenlicht landete Bugg, als sein gleichnamiges Debütalbum im Jahr 2012 auf Anhieb die Spitze der UK-Albumcharts erstürmte (er selbst war da noch 18: der jüngste britische Musiker (männlich), dem das jemals gelingen sollte!) und ihm danach nicht nur doppeltes Platin bescherte, sondern auch eine Nominierung für den Mercury Prize. Der Erfolg gab ihm auch in kreativer Hinsicht Rückenwind, denn gerade mal 12 Monate später legte Bugg den facettenreichen Nachfolger “Shangri La” (2013) vor, den er im sonnigen Malibu mit Producer-Legende Rick Rubin aufgenommen hatte. Wieder war sein Name in den britischen Top−5 vertreten, zum zweiten Mal schon war er damit bei den BRITs nominiert, und nach einer bahnbrechenden Show in der Londoner Royal Albert Hall absolvierte er nun bereits eine Stadiontournee durch Großbritannien, die im ausverkauften Alexandra Palace endete. Durch die vielen Kollaborationen mit Musiker- und Produzentengrößen war zugleich der Grundstein für alles Weitere gelegt: Als es also darum ging, das dritte Album aufzunehmen, fühlte er sich bereit, nun die Sache im Alleingang – on his one – anzugehen..
“Ich war ja schließlich erst 18 bzw. 19, als ich meine ersten beiden Alben aufgenommen habe”, erläutert der Sänger. “Und ja, ich habe mit unglaublich vielen extrem guten Leuten gearbeitet: Produzenten, Co-Songschreibern, und natürlich habe ich viel von ihnen gelernt, sei’s nun im Studio oder einfach beim Umgang mit neuen Songideen. Ich betrachte diese Alben insofern als meine College-Zeit: Das war meine musikalische Ausbildung. Als ich dann Ende 2014 die Tour zu ‘Shangri La’ beendet habe, fasste ich bereits den Entschluss, mir ein ganzes Jahr Zeit zu nehmen – und das nächste Album komplett allein zu machen. Ich wollte damit nichts beweisen, sondern einfach für mich wollte ich das machen. In meiner Entwicklung als Songschreiber war das für mich nun mal der logische nächste Schritt. Es war sicherlich keine leichte Aufgabe, aber ich hatte das Gefühl, diesen Schritt einfach machen zu müssen.
Während der Arbeit an ”On My One", das in London, Los Angeles und in seiner Heimatstadt Nottingham aufgenommen wurde, hatte Bugg zudem erstmals die Gelegenheit, so etwas wie eine persönliche Bestandsaufnahme zu machen, schließlich hatte er, seit er als Teenager durchgestartet war, pausenlos entweder in Studios gesessen oder auf Bühnen gestanden. Ein paar Zeilen aus dem Eröffnungs- und Titelstück belegen das: “Three years on the road/Four hundred shows/Where do I call home?/No place to go.” Selbst Anflüge von Hank Williams' “Ramblin' Man” klingen in dieser eindringlichen, autobiografischen Blues-Anekdote über diesen “poor boy from Nottingham” an, und tatsächlich hätte der Eröffnungssong genauso gut “The Loneliness Of The Long-Distance Troubadour” (zu Deutsch etwa: “Die Einsamkeit des Langstrecken-Musikanten”) heißen können. “Eines Tages nahm ich meine Gitarre zur Hand, spielte ein paar Akkorde, und dann kamen diese Worte wie von selbst aus meinem Mund”, erinnert er sich. “Das ist ein Gefühl, das immer wieder auf dem neuen Album anklingt, deswegen funktioniert der Titel auch so gut als Albumtitel. Es war also in vielerlei Hinsicht ein einsames Unterfangen; aber mir persönlich gefallen gerade derartige Stücke immer am besten: die traurigen, etwas düsteren.”
Am traurigsten und düstersten klingt ganz klar “The Love We’re Hoping For”, ein Stück, mit dem Bugg sich akustisch in Richtung Neil Young während der “Harvest”-Ära bewegt – oder vielleicht doch nicht? “Genau genommen war’s Ozzy Osbourne”, antwortet er lachend. “Ich hatte ein Zimmer im Le Parc Suite in West Hollywood, jenem Hotel also, wo Ozzy bekanntermaßen drei Monate am Stück in seinem Zimmer verbracht hat und dabei fast verrückt geworden ist. Irgendetwas muss da in der Luft gelegen haben, während ich in dem dunklen Zimmer saß und diesen düsteren Song komponierte. Er handelt von einer spezifischen Person, die nicht rausgehen will, die Vorhänge zugezogen hat. Dabei glaube ich, dass wir alle mal so Tage haben, an denen wir uns so fühlen – insofern könnte es wohl doch jeder von uns sein, um den’s da geht.”
Sehr viel erträglicher wirkt die Einsamkeit, von der “All That” handelt, eine sanfte Ballade über Schiffe, die in der Nacht vorbeiziehen. “Der handelt davon, wo und wie Mädchen tatsächlich leben – und an was für Orten sie später einmal leben wollen. Um den alten Traum vom perfekten Haus direkt am Meer geht’s also.” Sein extrem ausgeprägter Hang zu Folk, Blues und Country schimmert auch im ansteckenden “Livin' Up Country” durch, wie auch im Skiffle-Track “Put Out The Fire” und dem abschließenden “Hold On You”. “Ich hab während der Aufnahmen viele ganz, ganz alte Country-Sachen gehört, The Louvin Brothers zum Beispiel. Es macht extrem viel Spaß, solche Sachen zu spielen, und ich fand’s auch gut, dass ein paar Stücke gewissermaßen an meine alten Aufnahmen anknüpfen. Der Rest von diesem Album klingt allerdings vollkommen anders. Ich wollte einfach experimentieren; es war einfach so spannend, vollkommen neue Sachen auszutesten. Ich gehe davon aus, dass viele Leute ganz schön überrascht sein werden, wenn sie das Album hören.”
Der satte Groove von “Gimme The Love”, zugleich die erste Single, ist ganz klar eine dieser (angenehmen) Überraschungen: Über wilden (funky!) Schlagzeugeinlagen und Wah-Wah-Gitarren zieht Bugg ganz offen über die Musikindustrie her. “Oh ja, der handelt in der Tat von der Musikindustrie! Ich habe mich ja schon immer ziemlich negativ und zynisch über die zeitgenössische Poplandschaft geäußert, und der Song handelt auch von diesem Frust, vom Wunsch, die Dinge wären anders. Und ehrlich gesagt basiert der Song auch auf einem Insider-Witz, denn die von meinem Label haben zu mir gesagt, ich solle losgehen und einen echten Singlekandidaten schreiben. Also ging ich zurück nach Nottingham und sagte mir: ‘Allerdings werde ich eine Single schreiben, und zwar über euch alle miteinander!’” In derselben Session entstand übrigens auch das bislang mutigste klangliche Statement seiner Karriere – der vom Blues unterfütterte Rap-Song “Ain’t No Rhyme”. “Ich hatte diese Idee, eine Art Hip-Hop-Track um einen Gitarren-Groove zu stricken. Ich machte dann eine Aufnahme, bei der ich selbst den Rap beisteuerte, plante aber eigentlich, später jemand anderen dafür anzufragen, einen richtigen MC. Doch anstatt meine Vocals zu ersetzen, blieb die Nummer hinterher einfach so wie sie war. Der Text handelt schlicht und einfach von meiner Heimat, Clifton in Nottingham, was ja schon auf meinem Debütalbum ein großes Thema war. Seither hat sich da auch nichts verändert. Jedes Mal, wenn man dorthin zurückkehrt, hört man sofort von irgendwelchen Horrorstorys, von irgendwelchen Messerstechereien in den Nachrichten und so. Geschrieben habe ich den Song, während ich gerade dort war und genau diese Dinge um mich herum vorfielen.”
Ähnlich überraschend sind sicherlich auch das in Soul getränkte “Never Wanna Dance” und das stampfende, druckvolle “Bitter Salt” (inklusive E-Gitarren-Solo, das laut Bugg von “Jefferson Airplane inspiriert ist”). Beide Songs entstanden ausnahmsweise in L.A., und ausnahmsweise mit einem externen Produzenten: Jacknife Lee. “Er ist einfach unglaublich gut darin, Streicher und andere Elemente zu dem zu ergänzen, was ich schon geschrieben hatte”, so Bugg. “‘Bitter Salt’ hatten wir eigentlich eher als Folk-Ding eingespielt, aber dann verließ ich das Studio, und als ich am nächsten Tag zurückkam, hatte Jacknife alle möglichen Dance-Sounds und Synthesizer drübergelegt. War zwar nicht mehr wirklich das, was ich mir vorgestellt hatte, aber es klang super – also ließ ich es so.” Lee war auch an der üppigen Atmosphäre von Album-Highlight “Love, Hope And Misery” beteiligt, einer klassischen Popballade, in der schillernde Melancholie à la Abba auf melodramatische Passagen à la Gene Pitney trifft. “Ich wollte etwas mit einem epischen Pop-Refrain machen, weil ich so etwas ja noch nie gemacht hatte. So in Richtung Nilsson sollte das gehen, oder Bill Withers. Das Beste daran war, dass wir tatsächlich den Schlagzeuger von Bill Withers, James Gadson, dafür gewinnen konnten. Er ist schon über siebzig und einfach mal der coolste Typ, den es gibt. Er sitzt da, chillt vor sich hin, isst ein wenig Fish & Chips, und danach setzt er sich ans Schlagzeug und legt die krassesten Beats hin. Er ist mein Lieblingsschlagzeuger, und ihn auf dem Album zu haben war für mich persönlich echt ein Highlight.”
Weil Jake Bugg auf “On My One” eine ganze Reihe von Genres und Stilen zusammenbringt, liegt seine größte Errungenschaft wohl darin, wie schlüssig und “rund” dieses Album trotzdem klingt. Es mag daran liegen, dass der Herzschlag dieses Albums, unabhängig vom jeweiligen Sound, doch jedes Mal auf dem Blues basiert. “So sehe ich das auch”, meint Bugg. “Der Blues ist einfach mein Lieblingsgenre. Soul, Hip-Hop und all diese anderen Sachen stammen ja schließlich auch vom Blues ab. Für mich bedeutet Blues einfach: seine Gefühle in Gesang zu verwandeln, seine Schmerzen so auszudrücken, dass andere sie auch spüren können. Das ist doch das Schöne, das Besondere an Musik. Und ich würde sagen, dass mir das zumindest schon mal mit diesem Album gelungen ist.”
Drei Studioalben im Kasten zu haben, bevor man seinen 22. Geburtstag feiert – das schaffen nicht viele. Doch ein Album wie “On My One” mehr oder weniger im Alleingang aufzunehmen und als Songwriter dermaßen mühelos vom Blues zum Pop, vom Rap zum Folk und vom Country zum Soul überzugehen – das ist ehrlich gesagt einzigartig und kaum zu glauben. Der bescheidene Jake Bugg würde es so ausdrücken: Gar nicht übel für einen “poor boy from Nottingham”…
“ON MY ONE” (VÖ: 17. Juni 2016)