Als Jam & Spoon 1994 in einem Doppelschlag ihre bahnbrechende Alben „Tripomatic Fairytales 2001 & 2002“ veröffentlichten, waren sie – nicht nur im Albumtitel – ihrer Zeit weit voraus, sie hatten tatsächlich einen Blick in die Zukunft geworfen. Denn mit ihrer stilprägenden Verfeinerung von Techno an der Schnittstelle zwischen Underground und Charts nahmen sie die Dance-Entwicklung ab Mitte der 90er Jahre vorweg und stießen gleichzeitig die Pforte zur Ambient-Welt auf, wo sich ihre Auswirkungen bis hin zu den heutigen Chill-Out-Klängen und Danceproduktionen nachverfolgen lassen.
Und auch wenn es wie ein Klischee klingt: Mit „Tripomatic Fairytales 3003“ sind sie noch immer ihrer Zeit voraus – ihre visionäre Kraft hat sie weit getragen. Denn bei der offenen Melange des neuen Albums, die nicht fragt, ob sie Dance, ob sie Pop oder einfach nur eine exotische Reise durch Beats und Sounds ist, geht es allein um die Möglichkeiten die Zukunft –aufregend, bunt und offen. Und aus der Zukunft haben Jam El Mar und Mark Spoon, die beiden Köpfe hinter Jam & Spoon, etwas Zeitloses abgeliefert.
So schöpfen die neuen Tracks auf „Tripomatic Fairytales 2003“ aus der Erfahrung von nun 13 Jahren gemeinsamer Arbeit und bilden doch etwas Neues, Eigenständiges. Die Entwicklung, die sich auf dem Vorgängeralbum „Kaleidoscope“ 1997 bereits angedeutet hatte, steht auf der aktuellen CD nun in voller Blüte: der Weg der beiden Elektronik-Pioniere führt weiter vom repetitiven, hypnotischen Track hin zum strukturell meisterhaft gebauten Song, ohne das Erbe des Club-Sounds zu verraten. Das zeigt sich bereits, wenn der Opener des Albums, das majestätische „Moment Gone“ anhebt. Über ein akustisches Gitarrenmotiv, das zu den schönsten gehört, die der klassisch ausgebildete Konzertgitarrist Rolf Ellmer alias Jam El Mar bislang komponiert hat, formiert sich ein jazziger Groove, der das Club-Feeling von einst transportiert in das innere Erleben der Hörer. Und dieses wird weiter stimuliert, wenn hierzu die immer etwas melancholisch anmutende Stimme der Sängerin Plavka, die bereits Jam & Spoon-Hits, wie „Right In The Night“ in andere Sphären getragen hat, einsetzt und den Song in den Klassikerkatalog einträgt.
Dass menschliche Stimmen zu diesem Konzept gehören, war für Jam & Spoon beim Produktionsprozess sehr schnell klar. Das hatte zur Folge, dass erstmals eine Vielzahl von Sängern – von deutschen Kollegen wie Xavier Naidoo oder Rae von Reamonn bis zu Weltstars wie Jim Kerr von den Simple Minds, Tricky oder Dolores O’Riordan von den Cranberries – ein Album von Jam & Spoon zieren. Doch statt Scheckbuch-Willkür beim Verpflichten möglichst klangvoller Namen steckt hinter dem Einsatz der verschiedenen Stimmen ein homogenes Konzept, weil sich die verwendeten Vocals perfekt in die elektronisch-digitale Sound-Welt von Jam & Spoon einfügen, in der jedoch analoge Flächen aus zumeist akustischen Gitarren immer mehr Land gewinnen. So trifft Jim Kerrs schwermütig-fordernder Gesang auf „Cynical Heart“, der ersten Single des Albums, auf treibende Rockgitarren, die das rhythmische Fundament setzen für dynamische Elektronik-Eruptionen. Kongenial auch die intensiven Leistungen von Xavier Naidoo, der für das berührende „None Of This“ hinterm Mikro stand. Ohne überflüssige Schnörkel beschreibt er in einem Arrangement, in dem die gebrochenen Beats von modern-abstraktem R&B mit einem erneut bestechenden Gitarrenriff von Ellmer kommunizieren, das ewige Leiden an der Liebe.
Die Gefahr, beim Einsatz von weltbekannten Stimmen wie dem dunklen Raunen von Tricky in Klischees zu verfallen, bestand für Jam & Spoon nicht für eine Sekunde. Bei der gemeinsamen Arbeit im Frankfurter Studio, wo bis „Mirror Lover“ mit Dolores O’Riordan alle Stücke entstanden, ergänzten sich die charakteristischen Stimmen mit den musikalisch offenen Angeboten der beiden Dance-Pioniere zu etwas völlig Eigenständigem. Bei den zwei Songs mit Rae, bei denen Jam & Spoon ihre Zusammenarbeit mit dem Reamonn-Sänger fortsetzen, die 2001 mit der Single „Be.Angeled“ aus dem Soundtrack zum gleichnamigen Loveparade-Film begann, mischen sich rockig-raue Vocals mit einem Dancefloor-Bass und klassischen Offbeat-Rhythmen („Set Me Free“) und einem sphärisch-schwebenden Afterhour-Lamento („Why“).
Mit diesem Ausbau ihrer stilistischen Mittel haben Rolf Ellmer und Mark Spoon, die weder vor Gitarren aller Art noch treibenden Synthie-Bässen zurückschrecken, ihre musikalisch reifste Arbeit verwirklichlicht. Denn der Blick in die Zukunft speist sich aus den Erfahrungen der Vergangenheit, so dass aus der Arbeit mit den Sounds und Stimmen der Gegenwart die Musik von Morgen spielend ins Heute fließt.