1970 vollzog die amerikanische Popkultur eine Kehrtwende. Die Sechziger waren mit Gewaltexzessen ausgeklungen. Rassenkrawalle und der Vietnamkrieg dominierten die Nachrichten und die Diskussionen der Familien beim Abendessen. Die Rockmusik, eine Art Kanarienvogel im kulturellen Kohlenbergwerk, war, die in der Luft liegende allgemeine Bedrückung widerspiegelnd, lauter und disharmonischer geworden. Wenn wir an die Musik der Jahre 1968 und 1969 zurückdenken, fallen uns Hendrix, The Who und Led Zeppelin, “Helter Skelter” und “Revolution”, “Street Fighting Man” und “Gimme Shelter” ein.
Die Siebziger leiteten einen Moment der Selbstreflektion ein. Eine enorme Anzahl junger Leute verspürte das Verlangen, die Lautstärke herunterzufahren und ein bisschen Raum für klare Gedanken zu schaffen. Es war auch der Zeitpunkt, als die Gegenkultur ihren Exodus aufs Land begann. Rock’n’Roll, Beatniks und Hippies hatten sich in den Sechzigern in den Städten konzentriert. 1970 zog der Zeitgeist aufs flache Land. James Taylors “Sweet Baby James” und Carole Kings “Tapestry” waren Alben, die in dieser Zeit Zeichen setzten. Diese Platten waren symbolisch für das Verlangen, in stürmischen Zeiten ein ruhiges Fleckchen zu finden.
King und Taylor begründeten – zusammen mit Joni Mitchell und Crosby, Stills, Nash & Young – eine neue Singer/Songwriter-Bewegung, die in den folgenden vierzig Jahren mal mehr, mal weniger in Mode war, aber nie ganz verschwand. Der Einfluss von Carole King und James Taylor pflanzte sich fort: bis zu Norah Jones, John Mayer, Ben Harper, Diane Birch und den Dixie Chicks. Die erste – nur kurze – Begegnung zwischen King und Taylor fand in den Sechzigern im Night Owl Café in Greenwich Village statt. James trat dort gemeinsam mit seinem Jugendfreund Danny “Kootch” Kortchmar und einer Rockband namens The Flying Machine auf, als Carole mit zwei Mitgliedern der Band Myddle Class, die ebenfalls in dem Club spielte, vorbeischaute.
James war ein scheuer Teenager. Und Carole war, obwohl erst Mitte 20, schon eine legendäre Songschreiberin. Als eine Hälfte des Songwriter-Teams Goffin & King hatte sie Hits für die Shirelles (“Will You Love Me Tomorrow?”), Drifters (“Up On The Roof”), Everly Brothers (“Crying In The Rain”, mit Howard Greenfield), Beatles (“Chains”), Byrds (“Wasn’t Born To Follow”), Monkees (“Pleasant Valley Sunday”), Aretha Franklin (“Natural Woman”) und Dutzende andere geschrieben. James war mit ihren Songs aufgewachsen. Die beiden lernten sich bei dieser ersten Begegnung nur flüchtig kennen, aber Kootch, der mehr aus sich herausging und kontaktfreudiger war, freundete sich mit Carole an. Diese lud ihn daraufhin ein, bei ihren Demosessions Gitarre zu spielen.
“Es war, als würde man Harvard besuchen”, erinnert sich Kortchmar. “Carole war die großartigste Bandleaderin aller Zeiten. Sie konnte dir genau sagen, was du spielen solltest, wie man ein Arrangement aufbaut. Von all diesen Dingen verstand sie mehr als jeder andere, den ich davor oder danach getroffen habe.”
Aber King hatte noch keine Bühnenerfahrung. Seit Bob Dylan und den Beatles wurden die alten Trennlinien zwischen Songwritern und Sängern ausradiert. Carole verspürte schon den Drang, ins Scheinwerferlicht zu treten und ihre Songs selber zu singen. Aber noch war sie dafür nicht bereit. Sie, Kootch und Charles Larkey machten sich zusammen zur Westküste auf und gründeten eine Band namens The City. Carole war das kreative Zentrum der Gruppe, aber immer noch nicht bereit, als Solokünstlerin hervorzutreten. Taylor war es.
Als Flying Machine auseinanderbrach, ging er nach London und spielte seine Songs einem anderen Freund von Kootch vor: Peter Asher, der einst eine Hälfte des singenden Duos Peter & Gordon gewesen war und nun als Talentsucher für Apple Records arbeitete, das neue Label der Beatles. Asher war von Taylor beeindruckt, so wie auch Paul McCartney und George Harrison, die auf seinem ersten Album “James Taylor” mitspielen sollten. Es war eine feine Platte, die aber in dem Chaos unterging, das durch die Trennung der Beatles ausgelöst wurde.
Da die Zukunft bei Apple Records durch diese Turbulenzen unsicher war, kehrten Taylor und Asher nach Kalifornien zurück und unterschrieben einen Vertrag bei Warner Bros. Records. Carole und Kootch waren bereits da. Und es war nur natürlich, dass sie den Kern der Band bilden würden, die Taylor bei der Einspielung seiner zweiten Platte, “Sweet Baby James”, begleitete.
“Carole versetzte mich in Erstaunen und flößte mir Ehrfurcht ein”, sagt Taylor heute. “Aber ich hatte mit den Beatles gearbeitet und dies brachte mein Gefühl dafür, was möglich war, wieder in Balance. Die Hauptsache war, dass Carole und ich, wenn wir zusammenspielten, dieselbe Sprache sprachen. Wir hatten das gleiche musikalische Vokabular. Es war, als wären wir ab Werk mit den gleichen Informationen ausgeliefert worden.” Carole spielt die Erfolgsunterschiede, die zwischen ihnen herrschten, als sie ihre Zusammenarbeit begannen, herunter. “Er war nicht völlig unbekannt”, sagt King. “Es gab ja bereits das ‘James Taylor’-Album. Zum damaligen Zeitpunkt herrschte zwischen den Musikern in Laurel Canyon und Umgebung eine spezielle Kameradschaft. Wir spielten alle miteinander, jammten einer mit dem anderen. Ich betrachtete mich nicht als jemand, der den anderen überlegen war. Ich empfand dies nicht so und ich dachte es auch nicht. Keiner von uns tat das.”
“Sweet Baby James”, Anfang 1970 veröffentlicht, war nicht gleich ein Hit. Die LP kletterte dank Mundpropaganda und durch das Abspielen im UKW-Rundfunk im Laufe des Jahres langsam die Charts hoch. Im Herbst kam die Single “Fire And Rain” heraus und traf den Nerv der Zeit. “Sweet Baby James” wurde ein Hit-Album und James Taylor der erste neue Rockstar der Siebziger. Bei Konzerten, die Taylor gab, um “Sweet Baby James” zu promoten, begleitete ihn der Kern der Studioband – inklusive Kootch und Schlagzeuger Russell Kunkel. Bassist Randy Meisner war zu sehr mit seiner Band Poco beschäftigt, so dass Asher sich nach einem anderen Bassisten umsehen musste. Er fand ihn in Leland Sklar.
Carole: “Als ich die Einladung erhielt, mit James auf Tour zu gehen, hatte ich nur wegen meiner beiden Kinder Vorbehalte. Ich wollte sie nicht zurücklassen. Aber Peter sagte, wir würden nur an Wochenenden unterwegs sein, so dass es machbar war.” – “Alles entwickelte sich zwanglos”, erinnert sich James. “‘Kommst du mit?’ ‘Na klar.’ Danny ermutigte Carole dazu, ihre eigenen Sachen vorzutragen. Ich bestand darauf, dass sie bei meinen Shows ‘Up On The Roof’ sang.”
“Man sollte sich vor Augen halten, dass dieses Singer/Songwriter-Ding damals irgendwie neu war”, erläutert Kortchmar. “Carole war klar, dass sie in diese Schiene passen müsste. James gab ihr eine Gelegenheit, auf die Bühne zu steigen, sich auszudrücken und das Publikum zu unterhalten.”
Und so begann Carole King, die Songschreiberin, sich als Teil von James Taylors Band mit ihrer neuen Rolle als Bühnenkünstlerin anzufreunden. James erinnert sich, wie er sie beim Soundcheck einen neuen Song vortragen hörte und ihr sagte, wie gut er ihn fand. Das Lied war “You’ve Got A Friend”. James weiß noch, dass Carole ihm sagte, er solle das Stück aufnehmen. Carole wendet ein, dass dies so gewesen sein mag, aber dass es so beiläufig passiert sein müsse, dass sie es gleich wieder vergessen habe.
Als Peter Asher ihr bei einer Aufnahmesession für James’ nächstes Album dessen Version ihres Songs vorspielte, war sie überrrascht. “Ich war bei dieser Session als Pianistin dabei”, sagt Carole. “Peter meinte: ‘Ich hab’ hier was, das du dir anhören musst.’ Und dann spielte er mir James’ Version von ‘You’ve Got A Friend’ vor. Es war einer der freudigsten Momente meines Lebens, als ich sie hörte. Ich war hin und weg. Als sie das Lied als Single herausbringen wollten, war ich überglücklich.”
Taylors Version von “You’ve Got A Friend” wurde im Sommer 1971 ein Nummer−1-Hit und brachte ihm einen Grammy ein. Aber zu diesem Zeitpunkt erreichte schon ein anderes Projekt der kleinen Freundesgruppe die Spitze der Charts. Parallel zu James’ “Mudslide Slim And The Blue Horizon” hatten sie Caroles “Tapestry” aufgenommen – wobei viele der Musiker zwischen den beiden Sessions hin- und herpendelten.
“Ich bin mir sicher, dass es mich beeinflusste, die Musik von James zu hören”, meint Carole. “Jeder, der wusste, dass ich im Jahr davor und in dem Jahr, in dem das Album aufgenommen wurde, mit James gearbeitet hatte, konnte, als er ‘Tapestry’ hörte, sagen: ‘Ja, ich ich höre da einen gewissen Einfluss von James aus ihrer Arbeit heraus.’” “Tapestry” entpuppte sich als Meilenstein. Es enthielt sowohl neue King-Hits wie “So Far Away”, “It’s Too Late” (geschrieben mit Toni Stern), und “I Feel The Earth Move” als auch Caroles eigene Versionen von den beiden Goffin/King-Klassikern “Natural Woman” und “Will You Love Me Tomorrow?”.
Die LP erreichte den ersten Platz der Charts und hielt sich dort bemerkenswerte fünfzehn Wochen lang. Die Platte sollte sich – und das ist kein Druckfehler! – sage und schreibe 302 Wochen lang in den Billboard-Album-Charts halten und schließlich 22 Millionen Mal verkaufen. Mitte 1971 war Carole King der größte Star der Musikszene, aber sie gebärdete sich nicht wie ein solcher. Sie tourte weiterhin mit Taylor und teilte mit ihm die Bühne. Im Frühjahr traten sie als zwei Wochen lasng Seite an Seite im Troubadour in Los Angeles auf. “Wir sprachen nur ganz wenig über den Erfolg”, erzählt Taylor. “Ich kann mich allerdings daran erinnern, dass ich Peter Asher einmal ins Telefon brüllen hörte: ‘Er kostet 10.000 Dollar pro Nacht und du kannst ihn nicht haben!’ Aber das war’s auch schon. Unser Fokus war auf anderes gerichtet. Carole und ich gewannen in diesem Jahr Grammys und keiner von uns beiden tauchte bei der Verleihung auf.”
“Es war bemerkenswert”, schwärmt Carole King in Erinnerungen. “Eine erstaunliche Zeit. Wir lebten in einer musikalischen Gemeinschaft. In Laurel Canyon und bei Sunset Sound passierte eine Menge; Joni, Jackson Brown, die Eagles, Linda Ronstadt, Bonnie Raitt. Es war eine freudig-kreative Zeit.” – “Carole und ich arbeiteten 1970 und 1971 und noch ein bisschen bis ins Jahr 1972 zusammen”, ergänzt James Taylor. “Es war eine sehr kurze Zeitspanne, aber in diesen zwei Jahren erreichten wir viel. Unserer Freundschaft trug eine Menge Früchte – und sie gab uns beiden mächtigen Auftrieb. Wir dienten uns gegenseitig als Sprungbrett.”
An Thanksgiving im Jahr 2007 kehrten James, Carole und die übrigen Originalmusiker der Band (die damals als The Section bekannt gewesen war) in den Troubadour zurück, um das Publikum auf eine wehmütige Reise durch ihre altes Repertoire mitzunehmen. Danach waren sich alle Beteiligten einig, dass es einfach zuviel Spaß gemacht hatte, als dass es ein einmaliges Event bleiben sollte.
“Carole und ich sind über all die Jahre hinweg gute Freunde geblieben”, sagt James, “und wir treffen uns regelmäßig – aber wir haben zusammen eine intensive Phase unseres Lebens verbracht und das war es dann. Seit Jahrzehnten sagten wir uns: ‘Wir sollten wirklich mal wieder zusammenkommen.’ Kootch, Russ und Lee sind in Topform und spielen wunderbar. Wir müssen mit unserem Programm auf Tournee gehen, so lange wir noch dazu in der Lage sind.”
In Erinnerung an ihre ersten Zusammenarbeiten mit James und mit Hinblick auf die anstehende Reunion-Tournee sagt Carole: “In dem Moment, als ich mit James zu spielen begann, hatte ich das Gefühl, als spielte ich schon immer mit ihm zusammen. Und genau so ging es mir auch jetzt wieder. Es stimmte an dem Tag, als wir uns das erste Mal trafen, und es stimmt immer noch jedesmal, wenn wir zusammen spielen.”
* Bill Flanagan ist der Autor der Bücher “Written In My Soul” (eine Sammlung mit Gesprächen, die er mit Songwritern führte) und “U2 At The End Of The World”. Er ist Senior-Vizepräsident und Chefredakteur des Musiksenders VH1 und schreibt u.a. für Vanity Fair, Rolling Stone, GQ, Esquire, Spy und zahlreiche andere Publikationen.