Der Multi-Instrumentalist, Komponist und Produzent John Cale hat die Musiklandschaft der letzten fünfzig Jahre umfangreich geprägt. Zwischen Art-Rock und Proto-Punk, orchestralem Pop-Rock, Klassik, Filmmusik und minimalistischer “Drone”-Musik definierte der Waliser sich von Album zu Album immer wieder neu.
Der Sohn eines Bergarbeiters begann seine Karriere in London, ging dann mit einem Stipendium nach New York, wo er Schüler des Avantgarde-Komponisten John Cage wurde. Vor allem zog ihn “das Subversive der Kunst an”, sagte Cale fünfzig Jahre später im Interview mit Spiegel-Online. “Die Botschaft war, dass Regeln dazu da sind, gebrochen zu werden, ideal also für einen Teenager.”
1965 gründete der damals 25-Jährige gemeinsam mit Lou Reed The Velvet Underground, neben den Beatles und Rolling Stones gehören sie zu den am meisten kopierten Bands der Rockgeschichte. “Jedes unserer Lieder hatte einen ernsthaften und finsteren Unterton. Das schloss kommerzielle Erfolge aus. Wir hassten Kommerz. Bei Konzerten wurden wir von den Veranstaltern gebeten, mindestens drei Songs aus den Top Ten nachzuspielen. Wir lehnten natürlich ab. Deshalb lebten wir auch von der Hand in den Mund”, erinnerte sich Cale im Gespräch mit dem Musikjournalisten Christoph Dallach. Nach seinem Abgang bei den Velvets drückte Cale als Produzent der Stooges, Happy Mondays, Jesus Lizards oder von Alejandro Escovedo der Punk- und Indie-Rockszene der 70er, 80er, 90er und 00er-Jahre seinen Stempel auf. Als Keyboarder ist Cale auf dem zweiten Album “Bryter Later” der Folk-Ikone Nick Drake zu hören.
Unter eigenem Namen reüssierte er “als sanfter Songwriter, der sich mit der Zärtlichkeit der Wölfe in der Stimme über delikate literarische Bilder beugte und sich dabei vom exquisiten Boogie-Rock der Little Feat oder seiner selbst ausgedachten Minimal-Symphonik begleiten ließ”, schrieb der Popliterat Diedrich Diedrichsen anlässlich Cales 70. Geburtstags in der Süddeutschen Zeitung. Sein drittes Solo-Album “Paris 1919” von 1974 gilt als zeitloser Meilenstein der Rockgeschichte. Das von Mike Thorne (Soft Cell, Nina Hagen) co-produzierte 1981er-Album “Honi Solt” zeigt Cales stilistische Unberechenbarkeit zwischen fröhlichem Pop und niederschmetterndem Noise, mit der er zum Guru der Independent-Szene wurde. 1987 produzierte er das zweite Album der Berliner Rockband Element of Crime. Die 1990er hindurch trat Cale vor allem als Sideman und Produzent verschiedenster musikalischer Peers in Erscheinung, darunter die Replacements, Marc Almond und Siouxsie and the Banshees oder von Patti Smith (deren epochales Debütalbum “Horses” er ebenfalls produzierte). 1996 zog er als Mitglied der Velvet Underground in die Rock and Roll Hall of Fame ein. 2005 wählte die Sunday Times die Single “Perfect” aus Cales vorletztem Album “Black Acetate” in ihre Jahres-Top−20. 2010 schlug Queen Elizabeth in zum Ritter.
Seinem alten Weggefährten Lou Reed hat Cale einen Song auf seinem jüngsten Album gewidmet. Einer der wenigen Künstler seiner Generation, mit dem er immer arbeiten wollte und woraus nie etwas wurde, ist sein persönlicher Freund David Bowie gewesen, dessen Tod im Januar 2016 Cale schockierte. Sich selbst sieht er noch lange nicht am Ende. Die Eckpfeiler seiner langen erfolgreichen Karriere: Talent, harte Arbeit und Ambition (so Cale im Interview mit dem Guardian) sind ungebrochen. “Meine klassische Ausbildung war mit viel harter Arbeit und Üben verbunden. Ich verstand, dass man Handwerkszeug braucht, um Avantgarde machen zu können. Gleichzeitig wollte ich als Instrumentalist immer aus dem klassischen Rahmen ausbrechen”. Seine stilistische Wandlungsfähigkeit beschrieb Cale der Welt gegenüber schlicht und ergreifend als persönlichen Reifeprozess.