Nur die wenigsten Künstler verstehen es, sich in mehr als einem Stil wirklich gewandt, virtuos und ehrlich auszudrücken. John Scofield ist einer von ihnen, und das stellt er seit rund 35 Jahren auf beinahe jedem neuen Album beeindruckend unter Beweis. Inspiriert von den Rock- und Bluesgrößen der 60er Jahre, begann der 1957 in Ohio geborene und im kleinbürgerlichen Connecticut aufgewachsene Scofield im Alter von elf Jahren Gitarre zu spielen. Durch seinen Gitarrenlehrer lernte er die Musik von Wes Montgomery, Jim Hall und Pat Martino kennen. So “verfiel” John Scofield dem Jazz, dem er bis heute die Treue hält. Nach Abschluss der Schule ging Sco ans Berklee College of Music, um schon wenig später an der Seite von Bandleadern und Musikern wie Charles Mingus, Herbie Hancock, Chick Corea, Joe Henderson, Airto Moreira, Billy Cobham/George Duke, Gerry Mulligan, McCoy Tyner, Jim Hall und Gary Burton ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu treten. 1982 holte ihn der wieder auf die Szene zurückgekehrte Miles Davis in seine Band, mit der Sco dreieinhalb Jahre durch die Welt tourte und drei wichtige Alben (“Star People”, “Decoy” und “You’re Under Arrest”) einspielte.
Als Leader hatte Scofield schon in den späten 70ern Aufnahmen gemacht. Eines der ersten Alben, das Scofield unter eigenem Namen veröffentlichte, war die 1979 erschienene Platte “Who’s Who?”, die den Gitarristen auf dem Cover mit seinem Spiegelbild zeigte. Schon damals verleugnete der Gitarrist seine “schizophrene” musikalische Veranlagung nicht: Neben vier funkigen Titeln, die er mit einer Fusion-Band eingespielt hatte, präsentiert er in einer Quartettbesetzung mit Saxophonist Dave Liebman, Bassist Eddie Gomez und Schlagzeuger Billy Hart auch zwei absolut jazzige Stücke mit reichlich Spielraum für freie Improvisationen.
Das 1980 mit dem Bassisten Steve Swallow und dem Schlagzeuger Adam Nussbaum gegründete John Scofield Trio nahm drei fantastische Alben für Jive/Novus und das Münchener Enja-Label auf, die seitdem in der Plattensammlung von Nachwuchs-Jazzgitarristen einen Sonderplatz einnehmen: “Bar Talk”, “Shinola” und “Out Like A Light”.
Zwischen 1984 und 1988 nahm Scofield sechs Alben für Gramavision auf, darunter progressive Funk-Jazz-Klassiker wie “Electric Outlet”, “Still Warm”, “Blue Matter” und “Pick Hits Live”. In seinen Blue Note-Jahren, von 1989 bis 1995, widmete sich der Gitarrist mit großem Erfolg erst dem modernen Straight-Ahead-Jazz und dann dem Soul-Jazz.
1995 unterschrieb Scofield schließlich bei Verve. Seitdem ergänzte er seine umfangreiche Diskographie um “Quiet” (1996), einen kammermusikalischer Überraschungsstreich, der Scofield als Akustik-Gitarristen präsentierte, die beiden schrägen Funk-Jazz-Alben “A Go Go” (1998 / eingespielt mit dem Trio Medeski Martin & Wood) und “Bump” (2000 / u.a. mit Soul Coughing-Keyboarder Mark De Gli Antoni), bevor er Anfang 2001 mit “Works For Me” (featuring Kenny Garrett, Brad Mehldau, Christian McBride und Billy Higgins) wieder lupenreines Jazzterrain betrat. Auf den ebiden Alben “Überjam” (2002) und “Up All Night” (2003), die ihm ein jüngeres Publikum erschlossen, erkundete er danach überaus erfolgreich moderne Grooves, flirtete u.a. mit House, Drum’n’Bass und Acid-Jazz. In den folgenden zehn Jahren wurde der Gitarrist dann seinem Ruf als “stilistisches Chamäleon” mehr denn je gerecht: u.a. suchte er mit Mark-Anthony Turnage eine Schnittstelle zwischen zeitgenössischer Klassik und Jazz (“Scorched”, 2004), interpretierte Songs von Ray Charles (“That’s What I Say”, 2005), jammte mit Medeski Martin & Wood (“Out Louder”, 2006), tauchte in die Musik von New Orleans ein (“Piety Street”, 2009) und zeigte auf “A Moment’s Peace” (2011), dass man Balladen auch süßstofffrei und mit viel Witz spielen kann. Zehn Jahre nach dem sensationellen Funk-Album “Überjam” meldet sich John Scofield mit derselben Band, aber noch grooviger auf “Überjam Deux” zurück. Diesmal zündet er ein rhythmisches Feuewerk aus Rhythm’n'Blues-, Funk-, Afrobeat-, Reggae- und House-Grooves und beweist en passant, dass er es mittlerweile auch versteht, absolut ohrwurmverdächtige und zum Tanzen animierende Songs zu schreiben.