Die Musik von Jonathan Jeremiah stammt aus einer anderen Welt, von einem Ort, an dem es keine schnellen Hits gibt, kein Songwriting am Fließband. Hier geht es gemächlich zu, hier haben die Dinge Zeit, um zu reifen: Jonathan hat fast ein ganzes Jahrzehnt an einem Sound gefeilt, an seiner ganz eigenen und doch urbritischen Mischung aus Folk und Soul. Seine Stimme klingt von Natur aus tief, durchdringend und dramatisch, die Instrumentierung dazu ist eindrucksvoll und opulent, auch wenn er die Gitarre oftmals nur zupft und nicht anschlägt. In einem Wort: Sein Sound ist das Resultat einer langen Reise, die mit dem Gitarrenunterricht eines Sechsjährigen begann – und mit „A Solitary Man“ ein erstes großes Ziel erreicht hat.
Nach ausgedehnten Gesangsabenden im Kreis der Familie, gemeinsam mit seinen fünf Geschwistern, zum Beispiel während verschiedener Reisen nach Tipperary, in den Heimatort seiner Mutter, entdeckte er schließlich die gewaltige Plattensammlung seines Vaters, die immer neue Einflüsse bereithielt. Ein paar Beispiele: Künstler wie Scott Walker, Cat Stevens, Serge Gainsbourg und John Martyn entpuppten sich als nachhaltig prägend – und das hört man sofort. Während seine Freunde sich also mit den jeweils angesagten Hits der Popwelt bzw. irgendwelcher Indie-Szenen befassten, arbeitete er sich immer weiter in die Vergangenheit zurück und schuf damit jenen Nährboden, auf dem sein ganz eigener Ansatz sich entwickeln konnte. Mit 21 machte Jonathan dann eine Reise durch die Staaten: In der Lobby eines New Yorker Hotels malte er ein pointillistisches Werk und sang abends für Kost und Logis, um sich danach in Richtung Westküste aufzumachen. „Ich dachte immer, dass ich in Los Angeles bestimmt Carole King oder Carly Simon treffen würde, aber dieser Crew aus den Sechzigern bin ich leider nie begegnet – die Mamas & Papas waren ausgeflogen. Überhaupt war das alles ganz anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Ich war dort hingegangen, weil ich glaubte, im Westen bestimmt gleich Gesinnte zu treffen, aber als ich dann ganz allein dastand, wusste ich mit einem Mal viel mehr zu schätzen, was ich zuvor gehabt hatte, in der Heimat.“
Klingt enttäuschend, doch sein Abstecher in die USA war nicht vollkommen umsonst: Die Inspiration kam zwischenzeitlich, und zentrale Stücke wie „Happiness“ und „Solitary Man“ entstanden dort – letzterer wurde von einer 90-jährigen Großtante inspiriert, die er in Kalifornien traf. Zurück in der Heimat entpuppte sich dann die Entdeckung eines analogen Studios in Dollis Hill als die Art von Impuls, die ihm nun noch gefehlt hatte. Mehr noch: Kurze Zeit später lernte er auch die Musiker vom Heritage Orchestra kennen, ein junges Orchester, dessen Ansatz sich bestens mit seinen Kompositionen vereinen ließ – und die überhaupt auf seiner Wellenlänge waren. Während sich Jules Buckley um die Streicher-Arrangements kümmerte, machte sich Jonathan daran, die Tracks eigenhändig zu produzieren und abzumischen.
„Mir war wichtig, dass ich das Album im Alleingang produziere. Wenn ich mit einem anderen Produzenten arbeite und ihm sage, dass ich ein 24-köpfiges Orchester mitsamt Flügelhorn brauche, dann bekomme ich als Antwort darauf eher zu hören, dass man das ja auch mit einem Keyboard hinbekommt. Die Leute können sich oftmals einfach nicht vorstellen, was für Ideen man hat, deswegen ist es am besten, die Dinge selbst in Angriff zu nehmen. Jules hingegen wusste schon am ersten Tag, was für ein Sound mir vorschwebte.“
Ein paar Nachtschichten beim Sicherheitsdienst, der für die Londoner Wembley Arena zuständig ist, bescherten ihm schließlich das nötige Kleingeld, um die Produktion in Eigenregie zu finanzieren: „Eine Nachtschicht, und ich konnte mir wieder einen Geiger leisten. Die nächste Nacht war dann der Kontrabassist abbezahlt.“
Was die eigentliche Produktion anging, nahm er sich die Beach Boys oder Veröffentlichungen aus dem Hause Motown zum Vorbild: organische, analoge Aufnahmemethoden schienen der beste Weg zu sein, um seinen Kompositionen gerecht zu werden. Alles sollte so klingen, wie er sich das immer vorgestellt hatte. Ohne Kompromisse. Ohne Abstriche.
Das Kernstück seiner Musik ist definitiv Jonathans Gesang – diese durchdringende, sonore, zeitlose und kräftige Stimme. „Ich muss wohl 14 gewesen sein, als meine Stimme diesen unglaublich tiefen Bariton ausgebildet hat. Damals war das nicht so toll, um ehrlich zu sein, weil alle wie Jeff Buckley klingen wollten. Ich fühlte mich demnach zunächst etwas deplatziert, aber im Laufe der Jahre habe ich den Bariton dann schätzen gelernt.“ Zu diesem Bariton gesellt sich sein flüssiges, warmes Gitarrenspiel, das zweite Kernelement seiner wunderschönen Songs: „Ich kann es mir gar nicht vorstellen, wie man ohne Gitarrenbegleitung überhaupt singen kann. Ich hab das sogar mal probiert, aber keine Chance. Selbst als ich die Gesangsparts für das Album eingesungen habe, hatte ich die Gitarre dabei und hab dazu mitgespielt. So mussten wir die Gitarrenspuren für die Instrumentals schließlich alle noch einmal aufnehmen, weil man meine Stimme im Hintergrund noch hören konnte!“
Inhaltlich befasst sich Jonathan Jeremiah auf seinem Debütalbum mit unterschiedlichen Facetten der Gefühlswelt – den Regungen des Herzens, mit menschlichen Sehnsüchten. Allerdings beginnt er seine emotionalen Landkarten mitunter an Orten, mit denen wohl nur die wenigsten rechnen würden: Der Song „That Same Old Line“ geht beispielsweise auf den schrägen Fantasy-Filmklassiker „Talon im Kampf gegen das Imperium“ (1982) zurück: „Da habe ich mir einen König vorgestellt, der Ärger mit seiner Königin hat, woraufhin der Hofnarr ihm ins Ohr flüstert: ‘tell her the same old line, like you used to.’ Die Zeile wird’s schon richten.“
Nach all der Sucherei, den Nachtschichten, den Lektionen, die er sich bei den Altmeistern abschauen konnte, steht Jonathan Jeremiah mit einem Album in den Startlöchern, das in erster Linie auf dem basiert, was schon ganz am Anfang seiner Reise da war: „Ich hatte das Bedürfnis, die Musik so unangetastet wie möglich, also sie eigentlich so wie damals zu präsentieren – sie also nicht mit irgendwas zu besudeln, was es sonst noch gibt.“ Das gilt auch für die Konzerte: Seine Live-Band besteht zwar neuerdings auch aus Blechbläsern und Perkussionisten, aber im Mittelpunkt steht doch immer er allein, seine Stimme, seine Gitarre. Ohne Firlefanz. Und: Die Schichten am Wembley-Stadion waren nicht nur gut für sein Konto. Auch sein nächster großer Traum nahm während dieser Nachtschichten immer konkretere Formen an…
„Ich habe Konzerte schon immer als eine Art Konversation verstanden, als einen Dialog mit dem Publikum. Als ich in der Wembley Arena arbeitete, konnte ich Leute wie Bruce Springsteen und Neil Diamond aus nächster Nähe sehen. Das hat mich sehr beeindruckt. Mitten in der Nacht nach dem Springsteen-Gig war ich da, das Stadion war leer, die Tore wurden gerade verschlossen. Ich bin dann rauf auf die Bühne und hab mir das Publikum vorgestellt – und wie bitte soll einen dieser Gedanke, dieser Traum kalt lassen?“
„A Solitary Man“ ist ein Album, das über Jahre hinweg entstanden und gereift ist. Es ist ein Beweis dafür, dass ganz große Dinge manchmal einfach Zeit brauchen. Es war wohl die richtige Mischung aus Entschlossenheit, Leidenschaftlichkeit, Hingabe und Liebe zum Detail. Denn jetzt ist der große Moment gekommen: Jonathan Jeremiah lädt uns ein in seine Welt. Die Welt von „A Solitary Man“.