Als vor zwei Jahren "Im Vertrauen“ vom Julia Kadel Trio erschien, lasen sich einige Albumrezensionen fast wie Filmkritiken. Von Bildern war da die Rede, die am inneren Auge vorbeizogen, mal als Skizzen, dann wieder als ganz große Panoramen. Eine ungewöhnliche Reaktion auf das Debüt eines jungen Jazz-Trios, dessen Mitglieder alle ihren Dreißigsten noch vor sich haben.
Mit den Lorbeeren und dem damit verbundenem Erwartungsdruck sind Julia Kadel und ihre beiden Mitmusiker so lässig und souverän umgegangen, wie ihre Musik von Beginn an klang. Sie wissen, was sie wollen: "Als Trio sind wir unserer Vorliebe treu geblieben, einerseits meine Kompositionen zu spielen und andererseits frei zu improvisieren, dabei aber auch Spielkonzepte zu entwickeln, die sich irgendwo dazwischen bewegen“, sagt Kadel. In dieses Wechselspiel sind die Drei beim neuen Album noch tiefer eingetaucht, dessen Bandbreite sich dadurch hörbar erweitert hat: "Es gibt diesmal sehr unterschiedliche Stimmungen und Klänge. Wir haben dabei Höhen und Tiefen erkundet und uns darin immer wieder neu orientiert.“ Und zum Albumtitel: "Wenn man einen imaginären Horizont ziehen würde, befänden sich die Dinge, von denen unsere Musik erzählt, darüber und darunter. Das ist für mich diesmal das Thema“.
Die Kompositionen von Julia Kadel stellen für sie und ihre Bandkollegen Karl-Erik Enkelmann (Bass) und Steffen Roth (Schlagzeug) Klänge dar, die aus Bildern und Erlebnissen entwickelt werden. "Diesmal haben viele meiner Stücke eine ganz eigene Geschichte, aus der sie konkret entstanden sind“, sagt die Berlinerin. "Ich bin von so Vielem beeinflusst. Am Ende des Tages ist es mir nicht wichtig, wie man das nennt, was ich gerade spiele“. Auch Vergleiche mit Ensembles wie e.s.t. oder dem Tingvall Trio machen Kadel eher ein wenig ratlos: "Uns Drei verbindet vor allem die große Leidenschaft zu spielen. Da geht es weniger darum, in einer spezifischen Art zu performen oder formatierte Erwartungen zu erfüllen“.
Das lässt bisweilen und zum Glück sogar Raum für Humor. Der Opener des Albums etwa trägt den Titel "Held“, und das sei ja, so Julia Kadel, "ein durchaus pathetischer Titel. Doch ’Held’ ist für mich irgendwie ein kurzes, starkes Wort, das man im alltäglichen Leben interessanter-weise fast gar nicht benutzt, so als ob es keine Helden mehr gäbe. Für mich gibt es sie auf jeden Fall!“
Julia Kadel ist überzeugt, es sei "zu kurz gedacht anzunehmen, Jazz wäre zu kompliziert oder komplex für den alltäglichen Musikhörer. Die Leute können durchaus mit immer wieder neuen Ohren zuhören und sich in jeder Form von Klang zu Hause fühlen.“ Seit ihrem Vorgängeralbum haben Julia Kadel und Trio viele Konzerte gegeben und enorm positive Reaktionen des Publikums erfahren, sowohl bei kleinen Club-Gigs als auch bei großen Festivalauftritten wie beim renommierten Jazzfest Berlin oder dem Überjazz-Festival Hamburg.
Bei ihren Live-Performances wird das Publikum Zeuge der erstaunlichen Spontaneität der Drei, die sich nicht nur musikalisch, sondern auch in körperlicher Interaktion wie dem Austausch von Blicken äußert. Das kann Jeder hören, sehen und empfinden, ganz gleich welcher musikalischen Vorbildung oder Ausrichtung. "Ich möchte nicht behaupten, dass ich meine Musik wirklich durch und durch verstehen will“, sagt Julia Kadel, "sie ist einfach das, was ich liebe und was sich für mich gut anfühlt. Sie passiert“.
Die Interaktion mit dem Publikum hat das Trio diesmal auch auf dem neuen Album verewigt. So wurden einige Tracks im Beisein von Zuhörern, also semi-live, aufgenommen. "Wir wollten ein Studioalbum produzieren und uns gleichzeitig von unserem Publikum pushen lassen, so wie es auf unseren Konzerten eben auch der Fall ist – und nebenbei auch sehr viel Spaß macht.“