Where The Wild Things Are
Ein Kinderbuch, das aus nur neun Sätzen besteht, veränderte 1963 die Welt. Maurice Sendak erfand in „Where The Wild Things Are“ (deutscher Titel: „Wo die wilden Kerle wohnen“) ein faszinierendes Traumland mit Tieren, magischen Wesen und Kindern. Sendak provozierte, brach Tabus, denn „Where The Wild Things Are“ handelt von Wut und Rebellion, nimmt die destruktiven Gefühle und Machtfantasien eines Neunjährigen ernst. Seine grundehrlichen, kompromisslosen Bücher sprengten den Rahmen. Sendak hat so ziemlich jeden internationalen Preis gewonnen, der im Kinderliteratur-Genre vergeben wird, darunter den "Living Legend“-Award der American Library of Congress.
Natürlich leben seine Bücher von ihren einmaligen, expressiven Illustrationen, stundenlang kann man sie betrachten. Sendaks Charaktere zeigen ihre Gefühle ganz offen, seine Monster sind eher liebenswert als wirklich schrecklich, seine Landschaften voller Details und wunderschön. „Where The Wild Things Are“ handelt von den Abenteuern eines rebellischen Jungen namens Max. Max lungert zu Hause herum, rennt in einem Wolfskostüm durch die Wohnung, eine Gabel schwingend verfolgt er den Hund durchs Zimmer und schockiert seine Mutter, die ihn ohne Abendessen auf sein Zimmer schickt. Dort wachsen aus seiner Fantasie ein wildes Meer und ein mysteriöser Wald. Max segelt in das Land der wilden Kerle. Es sind furchterregende Monster, aber Max besiegt sie, indem er ihnen in die gelben Augen schaut, ohne zu blinzeln, und sie machen ihn zum König. Später vermisst Max aber sein Zuhause und kehrt ins Kinderzimmer zurück, wo das Abendessen schon auf ihn wartet. Später gab Sendak zu Protokoll, dass ihn seine Onkels und Tanten zu den Monstern von „Wild Thing“ inspiriert hätten. „Ich verabscheute sie. Diese Leute konnten einen auffressen, sie behandelten mich so roh, zogen mich am Nacken, kniffen meine Wangen, schrecklich, schrecklich…“
Seit einigen Wochen macht „Where The Wild Things Are“ wieder Schlagzeilen, durch eine Verfilmung von Spike Jones, am 17. Dezember startet sie bei uns im Kino. Jones wollte einen Film darüber machen, „wie es sich anfühlt, neun Jahre alt zu sein. Er habe das Buch als Kind geliebt, beteuert der Regisseur von „Being John Malkovich“ und „Adaptation“: „Die Bilder haben sich in mein Gehirn eingebrannt.“ Grundstein des Films ist die langjährige Freundschaft zwischen Jones und Maurice Sendak. Sie begann 1995 mit einem anderen Verfilmungsprojekt, aus dem nichts wurde. Als Jones 2003 mit „Wild Things“ startete, gab ihm Sendak Carte Blanche: „Mach´ es Dir zu eigen. Mach´ es persönlich. Mach es gefährlich“, soll er gesagt haben. Er wollte lieber „gar keinen Film“ als einen „Kiddie-Movie“. Jones blieb dem naturalistischen Ansatz des Autors treu, erweiterte allerdings den Plot, machte aus Max so etwas wie den kleinen Bruder von John Connor aus „Terminator 2“. „Schon im ersten Monat der Produktion wurde uns klar: das wird kein traditioneller, leicht vermarktbarer Kinderfilm“, vertraute der Drehbuch-Co-Autor Dave Eggers dem Magazin „Entertainment Weekly“ an. Bis März 2008 zogen sich die Dreharbeiten hin, immer wieder unterbrochen von Diskussionen mit dem Verleiher Warner Brothers, bis die gut 80 Millionen Dollar schwere Produktion als Familienfilm durchging – kontrovers für manchen Filmkritiker.
In der selben Spur wie das Buch und der Film fährt der Soundtrack von „Where The Wild Things Are“, geschrieben und eingespielt von Karen O and the Kids. Die Grammy-nominierte Leadsängerin der Yeah Yeah Yeahs ist da genau auf der richtigen Wellenlänge, vereint kindliche Unschuld, naiven Charme und ungebändigte Abenteuerlust, man denke an ihre physisch herausfordernden Performances und Show-stoppenden Bühnenoutfits der letzten Jahre. Genau wie Max, versteht sich die frühere Kunststudentin auf die Kraft der Fantasie, auf die Möglichkeit, öde Alltäglichkeiten in etwas Spektakuläres zu transformieren. Für den Soundtrack suchte die aufregendste Sängerin des heutigen Indie-Rocks sich eine illustre Schar von (wilden) Rockern zusammen, bestehend aus Tristan Bechet (Services), Tom Biller (Afternoons), Bradford Cox (Deerhunter), Brian Chase (Yeah Yeah Yeahs), Dean Fertita (Queens of the Stone Age, The Dead Weather, The Raconteurs), Aaron Hemphill (Liars), Greg Kurstin (The Bird and the Bee), Jack Lawrence (The Dead Weather, The Raconteurs, The Greenhornes), Oscar Michel (Gris Gris), Imaad Wasif (New Folk Implosion, Alaska), Nick Zinner, (Yeah Yeah Yeahs), neben einem Kinderchor. Sie wollte keine Musik machen, die einen erschlägt oder die platt auf den Gefühlsknopf drückt, erklärte die 31jährige. „Ich wollte so etwas machen, wie Cat Stevens bei „Harold & Maude“, ganz schlicht, aber saumlos und unvergesslich mit dem Film verwoben“, sagt die Halb-Koreanerin, Halb-Polin aus New Jersey. Und auch hier gilt, es ist keine Musik für Kinder, sondern Musik wie Kinder sie machen würden.
Zusammen kreierten sie 14 manchmal gigantisch- übermächtige und dann wieder minimalistische, bittersüße Tracks, vereinen sie Fantasy mit Folk, immer wieder durchbrochen von Adrenalingeschwängerten Hooks zum Mitsingen, etwa auf „All Is Love“. Spike Jonze drängte seine Ex-Freundin immer wieder dazu, soviel Herzblut wie nur möglich in „Wild Things“ zu pumpen, würde die Musik doch eine Schlüsselrolle im Film spielen. „Capsize“ und „Animal“ könnten als Yeah Yeah Yeah-Songs durchgehen (letzterer in einer Unplugged-Session). Kein wirkliches Kinderlied ist die vernebelte, melancholische Ballade „Hideaway“. Geschmackssicher hat Karen O schließlich eine anrührende Reinterpretation des Songs „Worried Shoes“ des US-Songwriters Daniel Johnston eingebaut. Johnston, lebende Legende des US-Alternative-Rocks, inspirierte Kurt Cobain, schwebt immer wieder zwischen Genie und Wahnsinn. „So wie Johnston dringt Karen O in eine Welt vor, die aufregender ist als unsere gewöhnliche Welt“, schreibt Stuart Berman auf Pitchfork.com. „Johnstons Exzentritäten brachten ihn in die Psychiatrie, Karen Os Exzentritäten brachten sie auf die Titelseiten der Magazine. Aber ihre Aufnahme von „Worried Shoes“ auf diesem Soundtrack unterstreicht, dass die Unsicherheiten, die unsere wildesten Fantasien provozieren, universell sind – so einmalig und persönlich unsere Fantasien auch sein mögen.“ Für Karen O ist „Wild Things“ weit mehr als nur ein Soundtrack-Job, sie wird dort zur Chefin eines Freak-Folk-Dreamteams.