Im Juli 2007, vier Wochen bevor ihr Debütalbum “Made of Bricks” schon zwei Monate früher als geplant in England in die Läden kommen sollte, weil ihre Fans einfach nicht länger warten konnten, nahm sich Kate Nash einige Minuten Zeit, um über ihr neues und überaus hektisches Leben als Popstar nachzudenken: “Ich fühle mich ganz normal. Alles cool eigentlich. Ich fühle mich wie eine Außenseiterin, die sich gerade irgendwo reingeschlichen hat…”
Damals war Kate gerade zwanzig geworden, und was ihre Karriere betraf, befand sie sich schon längst auf der Überholspur: Im Sommer 2006, ein Jahr zuvor, war sie bereits zu einem der größten Myspace-Phänomene avanciert, und das ohne einen Plattenvertrag; im Februar 2007 waren die 2.000 Exemplare ihrer ersten Single “Caroline’s a Victim” im Handumdrehen ausverkauft; im April wurde der Vertrag mit Fiction Records unterzeichnet, zwei Monate später ging “Foundations” auch schon auf Platz #2 der britischen Singlecharts – und im August konnte sie schließlich auf die Erstplatzierung in den britischen Albumcharts anstoßen.
Gar nicht übel für ein junges Mädchen aus dem Londoner Stadtbezirk Harrow, dessen erste Gehversuche als Musikerin darin bestanden hatten, ihre Eigenkompositionen als Kind auf einem Kassettenrecorder zu dokumentieren, “bei dem man noch die Play- und die Aufnahme-Taste gleichzeitig gedrückt halten musste.” Heute, inzwischen stolze 22 Jahre alt, setzt Kate sofort ihr breites Grinsen auf, wenn man sie auf diese ersten Erfahrungen im Popzirkus anspricht: “Das alles war so unfassbar verrückt und hektisch und einfach nur extrem. Im August 2008 war ich daher ganz schön ausgebrannt. Ich musste mir erst mal ein Jahr frei nehmen.”
In erster Linie wollte sie die freie Zeit nutzen, um “ganz normale Dinge” zu tun. Sprich: einfach nur im Morgenmantel auf dem Sofa faulenzen und schauen, was tagsüber so im Fernsehen läuft. Oder mal wieder die alten Freunde treffen, ins Kino gehen, ins Theater, ein Buch aufschlagen. Und natürlich: Viel Zeit ihrem allerersten festen Freund verbringen, einem gewissen Ryan Jarman, bekannt als Sänger von The Cribs. Nun ist es aber so, dass Kate überhaupt nicht der Typ ist, der lange stillsitzen und nichts tun kann: Es gibt da diese Rastlosigkeit, eine Arbeitsmoral, die sie sicherlich auch von ihrer Mutter geerbt hat, einer Krankenschwester, die in einer Sterbeklinik arbeitet, und dazu kommt die Tatsache, dass sie einfach unwahrscheinlich große Energiereserven hat – so viel Energie, dass man sie besser nicht zu lange in einem Raum einsperrt.
Lange Rede, kurzer Sinn: Letztendlich verbrachte Kate ihr „freies Jahr“ dann doch nicht auf der Couch, sondern z.B. damit, gemeinsam mit Billy Bragg, Dave Rowntree von Blur und anderen Künstlern die Featured Artists Coalition ins Leben zu rufen, die sich für die Rechte von Musikern in Zeiten des Umbruchs in der Musikindustrie einsetzt. Dann wurde sie für die V-Day-Bewegung aktiv, eine globale Initiative, deren Ziel es ist, der Gewalt gegen Frauen ein Ende zu setzen: So arbeitete sie beispielsweise im Wish Centre in Harrow, einem Zentrum für Missbrauchsopfer, mit jungen Mädchen, die sich selbst Gewalt antun. Laut eigener Aussage nahm sie all diese Dinge letztlich nur darum in Angriff, um sich ihre Nachmittage nicht mehr mit der “Jeremy Kyle Show” um die Ohren schlagen zu müssen. “Und um endlich wieder etwas zu unternehmen, damit ich nicht vollkommen wahnsinnig werde.”
Man vergisst leicht, dass Kate – bekanntermaßen eine, die ohne Punkt und Komma redet und das auch gerne mal zehn Minuten lang ohne Luftholen – gerade mal 22 Jahre alt ist. Sicherlich ist da immer noch dieser fast schon kindliche Enthusiasmus, diese übersprudelnde Lebenslust, aber sie steht zugleich mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen, wodurch sie schon sehr viel reifer wirkt, als die Zahl 22 es erwarten lässt. “Das ist gar nicht so schwer”, sagt sie und zuckt mit den Achseln. “Man muss nur darauf achten, dass man sich nicht wie ein Vollidiot verhält.”
Kate ist laut eigener Aussage äußerst streng mit sich selbst. Sie lässt es nicht zu, dass ihre Songs als Werbemelodien für irgendwelche Marken eingesetzt werden; sie hat kein Interesse an derartigem Ausverkauf, und wichtiger noch: Sie will harte Arbeit leisten und sich ihr Geld auch wirklich verdienen. Sie ist “voll die” Feministin. “Ich glaube an Gleichberechtigung, also bin ich Feministin – so einfach ist das. Ich schaue in die Gesichter der Mädchen, die bei meinen Konzerten in den vorderen Reihen stehen, und ich sehe förmlich wie sie bei sich denken: ‘Sie ist ganz normal! Sie sieht ausnahmsweise nicht magersüchtig aus! Sie scheint sich in ihrer Haut wohl zu fühlen! Das ist cool!’”
Man kann ohne den geringsten Zweifel sagen, dass Kate Nash ein “girl’s girl” ist: Es gibt da eine ganz besondere Bindung zwischen ihr und ihren weiblichen Fans. Und doch geht es in einigen ihrer besten Textpassagen um dieses an Paranoia grenzende Eifersuchtsgefühl, das jeden von uns heimsuchen kann. Auf “Do-Wah-Doo”, der ersten Singleauskopplung von ihrem zweiten Album, singt sie über ein namenloses Mädchen, das einfältige Jungs an der Nase herumführt und ihnen schöne Augen macht. Dann fasst das Mädchen den Entschluss, sich einfach nicht mehr darum zu scheren – Zitat: “I’ll just read a book instead/I’ll hang out with myself” –, doch der Song endet mit einer überraschenden Wendung: “I think she’s a bitch”, knurrt Kate ins Mikrofon und verurteilt sie. Das Timing und die Pointe könnten nicht besser sein.
Obwohl sich Kate ja eigentlich eine einjährige Auszeit genommen hatte, legte sie den Stift dann doch nicht wirklich zur Seite: Schon vergangenen Sommer hatte sie so viel neues Material geschrieben, dass sie es für angebracht hielt, die ersten Demos Bernard Butler vorzuspielen, dem einstigen Gitarristen von Suede. Und wie immer ist ihre Ehrlichkeit einfach nur entwaffnend: “Zunächst war ich ein bisschen skeptisch, weil ich nicht wollte, dass die Leute hinterher sagen ‘Der Duffy-Produzent arbeitet jetzt mit Kate Nash’, aber wir trafen uns schließlich und haben uns sofort super verstanden. Mit Bernard im Studio zu sein bedeutet, dass man die Sache richtig anpackt und keinen Quatsch macht: Er ist genau wie ich ein Arbeitstier.”
Kate schreibt ihre Songs bekanntermaßen selbst – sie spielt Klavier, Gitarre, Bass und Schlagzeug –, doch war es Butler, der wusste, wie man sie richtig inszenieren muss, ohne den persönlichen Kate-Touch zu verlieren. Wie das zweite Album von Kate Nash nun eigentlich klingt? Bunt gemischt, abenteuerlustig und vor allem ehrlich. Und dazu auch ganz schön experimentell. Beispiele gefällig?
Da wäre zum Beispiel ein Song wie “Kiss That Girl”, mit dem Kate ganz klar an die Tradition der großen Sixties-Girl-Groups anknüpft (und im Text gibt’s noch mehr selbstironische Anflüge dieser paranoiden Eifersucht: “She’s instantly more pretty and interesting than me”, singt sie), oder auch das sanfte und wunderschöne “You Were So Far Away”, das in Richtung Folk-Song geht. Dann wären da Texte, die überraschend minimalistisch gehalten sind, z.B. auf dem ansonsten knallharten “I’ve Got A Secret” (hier wiederholt sie die Zeile „I’ve got a secret I can’t tell you“ in bester Punk-Manier immer und immer wieder) wie auch auf “I Just Love You More”: In diesem Fall geht es musikalisch in Richtung Sonic Youth mit viel Feedback, während sie zwischen jaulendem Gesang die Zeile “I just love you more than anything” singt, um am Ende des Stücks vollkommen außer Atem zu sein.
Ihr Debüt “Made of Bricks” handelte von einer Sache: dem sehnsüchtigen Wunsch nach Liebe. Kate Nashs zweites Album hingegen handelt von vielen Dingen; von Vertrauen, Sexismus, Homophobie und Ehrlichkeit – und davon, wie ihre erste richtige Beziehung ihr Leben verändert hat: Sie ist heute weniger egoistisch und fühlt sich viel erwachsener. “Ich will jetzt nicht zu sehr ins Schwärmen geraten und das soll jetzt auch nicht schräg klingen, aber es stimmt: Ich bin bis über beide Ohren verliebt! Und ich habe keine Angst, zu viele Gefühle zu zeigen und dadurch vielleicht angreifbar zu werden. Schließlich habe ich mein Herz als Sängerin schon immer auf der Zunge getragen. Wer das nicht tut, muss innerlich schon längst tot sein.”
So handelt “I Hate Seagulls”, der letzte Song des Albums, von dem Moment, “an dem man zugibt, dass man in einen anderen Menschen verliebt ist.” Sie präsentiert in diesem Fall Listen, die wie Bewusstseinsströme aus ihr heraussprudeln: Einerseits von Dingen, die sie hasst (Möwen, Krankheiten, am Toaster verbrannte Finger, Nissen), sowie von Dingen, die sie mag (Tee mit Kuchen, Lesen, “deine Hand in meiner”). “Im Grunde genommen will ich damit zum Ausdruck bringen, dass ich diesen ganzen Mist nicht ausstehen kann, mit dem man sich im Leben gezwungenermaßen herumschlagen muss, aber dass alles eigentlich auch nicht so schlimm ist, weil ich jemanden liebe und dieses Gefühl auch erwidert wird.”
Bleibt nur die Frage, ob Kate nun, da sie verdientermaßen auf ihr zweites Album stolz ist – O-Ton: “Wir haben nichts überstürzt, und als Songschreiberin bin ich viel besser geworden” –, sich immer noch wie eine Außenseiterin fühlt? “Oh ja, ich werde mich wahrscheinlich immer wie eine Außenseiterin fühlen, weil ich nun mal nicht in die klassische Sängerinnen-Schublade passe. Aber darüber mache ich mir ehrlich gesagt gar keine Gedanken. Das käme mir niemals in den Sinn! Ich habe die Dinge schon immer auf meine Art gemacht, und allein deshalb bin ich glücklich.”
Das zweite Album von Kate Nash wird am 23. April 2010 auf Fiction Records/Universal erscheinen
Die erste Singleauskopplung “Do-Wah-Doo” ist bereits ab dem 16. April 2010 erhältlich
Live wird man Kate Nash im Frühjahr und Sommer 2010 erleben können – exakte Daten und Festivalauftritte werden in Kürze bekannt gegeben