“Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr”, besagt ein deutsches Sprichwort. Der Pianist Kenny Barron könnte davon ein Lied singen. Über Jahrzehnte hinweg galt er als Begleitmusiker par excellence und so etwas wie ein moderner, innovativer Garant für den solide in der Geschichte und Tradition verankerten Jazz. Aber so vielseitig wie die Talente Barrons sind, so bekannt ist er auch für seine ungewöhnliche Bescheidenheit. Dass er seit 1973 parallel auch immer ein ungemein produktiver Solokünstler war, wurde lange nicht wahrgenommen. Erst gegen Ende der 80er Jahre begann man in Barron endlich den brillanten Pianisten zu erkennen, der er wirklich ist.
Zu verdanken hatte er dies vor allem seiner engen Zusammenarbeit mit dem Tenorsaxophonisten Stan Getz, mit dem er von 1986 bis zu dessen Tod 1991 spielte. Zwischen den beiden entwickelte sich so etwas wie ein telepathisches Verständnis, das Getz ermöglichte in seinen letzten Jahren noch einmal zu einem atemberaubenden künstlerischen Höhenflug anzusetzen. Die in dieser Zeit entstandenen Alben – allen voran das bei Verve erschienene Duo-Doppelalbum “People Time” – gehören mit zu den besten, die Getz in seiner gesamten Karriere gemacht hat. Und sie rückten endlich auch Barron ins verdiente Scheinwerferlicht.
Der am 9. Juni 1943 in Philadelphia geborene Kenny Barron hatte Ende der 1950er Jahre erste professionelle Erfahrungen in den Bands von Mel Melvin, Philly Joe Jones, Jimmy Heath, Yusef Lateef, James Moody und Lee Morgan gesammelt. Danach experimentierte der Pianist – an der Seite von Größen wie Dizzy Gillespie, Chet Baker, Ron Carter, Freddie Hubbard, Joe Henderson, Ella Fitzgerald, Abbey Lincoln, Helen Merrill, Chico Freeman, George Benson, Yusef Lateef, Lee Konitz und James Moody – mit nahezu allen Spielarten des zeitgenössischen Jazz. Die aufgeführte Namensliste ist zwar weit davon entfernt vollständig zu sein, reicht aber aus, um ein erstes Bild von Barron zu entwerfen: Es ist das eines Musikers, der in jedwedem Kontext ein ideales Klima schaffen kann, der eine Atmosphäre erzeugt, die für die Künstler, die er begleitet, sowohl beruhigend ist, sie gleichzeitig aber auch subtil stimuliert.
Fakt ist aber auch, dass Kenny Barron seit 1973 und parallel zu seinen schier unüberschaubaren Aktivitäten als Begleitmusiker zudem eine erstaunlich intensive Karriere als Solist und Bandleader vorangetrieben hat. So gründete er 1981 gemeinsam mit Tenorsaxophonist Charlie Rouse die Gruppe Sphere, die sich ganz und gar der Interpretation der Musik von Thelonious Monk widmete – Barron nahm als Pianist und musikalischer Leiter nicht wenig als sieben Alben mit diesem Ensemble auf. Danach überraschte er die Jazzwelt mit Soloalben, auf denen er mit so unterschiedlichen Sidemen wie Toninho Horta (“Sambão”, 1992), Bobby Hutcherson (“Other Places”, 1993), Charlie Haden (“Wanton Spirit”, 1994, und “Night And The City”, 1998), Mino Cinelu (“Swamp Sally”, 1996), John Scofield (“Things Unseen”, 1997) oder Regina Carter (“Freefall”, 2001) immer wieder neue musikalische Facetten offenbarte.
Als 2014 das Label Impulse! Records von Barrons früherem Verve-Produzenten Jean-Philippe Allard reaktiviert wurde, nahm der Franzose den Pianisten als einen seiner ersten Künstler unter Vertrag. Barron bedankte sich mit dem Album “The Art Of Conversation”, auf dem er wunderbar mit dem Bassisten Dave Holland dialogisierte. Zuletzt legte der Pianist 2016 das Album “Book Of Intuition” vor, auf dem er mit dem japanischen Bassisten Kiyoshi Kitagawa und Schlagzeuger Johnathan Blake zu hören ist, mit denen er schon seit zehn Jahren ein traumhaft eingespieltes Trio bildet.