Die 28-jährige R&B-Sensation aus Georgia („I Like“) definiert mit ihrem zweiten Album „No Boys Allowed“ das Bild einer selbstbewussten Frau im 21. Jahrhundert. Erster Vorgeschmack ist die Single „Pretty Girl Rock“, in deren Videoclip sich Keri Hilson vor den ganz großen weiblichen Musik- und Stilikonen der letzten 100 Jahre verneigt.
Keri Hilson steht am Rand der noch im Dunkeln liegenden Bühne und betet: „Bitte, Gott, lass meine Stimme jetzt nicht versagen.“ Die letzten 48 Stunden waren mehr als hektisch für sie: Studioaufnahmen, Videodreh, Live-Performances, keine Zeit zum Durchatmen – und insgesamt höchstens vier Stunden Schlaf für die Sängerin aus Georgia. Vor ihrem Auftritt im Paradise Theater in NYC, wo sie ihr neues Album „No Boys Allowed“ präsentieren wird, nun also dieses kurze Gebet. „Großartig nervös bin ich eigentlich nie“, meint sie jedoch, „aber ich bin heute so übermüdet, dass ich mir schon ein wenig Gedanken mache, ob meine Stimme das auch alles mitmacht.“ Dann atmet sie ganz tief durch und tritt hinaus auf die Bühne. Im nächsten Moment sind alle – Boys, Girls, alle zusammen – außer sich: die Menge jubelt, unzählige Handykameras sind auf sie gerichtet. Dann beginnt Keri zu singen: ihre Stimme ist kristallklar, durchdringend, sie klingt gefühlvoll und aggressiv zugleich. Das Publikum hört gebannt zu. „Wow“, flüstert einer der Anwesenden in der Menschenmenge. „Ihre Stimme ist der Wahnsinn.“
Dabei war sie zu Beginn ihrer Karriere gar nicht für ihre Stimmgewalt bekannt: Hilson machte sich zunächst als Songschreiberin einen Namen, als sie diverse Hits für Größen wie Britney, Ciara, Ludacris, Kelly Rowland, Mary J. Blige oder auch Usher komponierte. Später war sie dann als Gast auf Timbalands Riesenhits zu hören (z.B. „The Way I Are“). Heute hat sie über drei Millionen Facebook-Likes auf ihrem Konto. Keine Frage: Keri Hilson hat viel erreicht in den letzten Jahren. Gerade in den letzten beiden.
Denn rund zwei Jahre ist es her, dass ihr Debütalbum „In A Perfect World…“ die internationalen Charts erobert hat: Allein die Single „I Like“ machte dem Songtitel alle Ehre; sie hielt sich drei Wochen lang auf Platz #1 in Deutschland (sowie ein Vierteljahr in den Top−3!). Mehr noch: Gold gab’s schon nach vier Wochen, „I Like“ lief auch im Radio rauf und runter (ein halbes Jahr in den Top−10; dazu drei Wochen lang Platz #1 der Airplay-Charts) und entpuppte sich schließlich sogar als einer der zehn größten Hits des Jahres 2010. Während „In A Perfect World…“ auch in die Top−5 der Billboard-Charts ging und ihr zwei Grammy-Nominierungen (Best New Artist, Best Rap/Sung Collaboration) bescherte, lehnte sich die 28-Jährige jedoch nicht etwa zurück, sondern machte sich schon bald daran, ihren Nachfolger aufzunehmen: „No Boys Allowed“.
Ein sehr persönliches Album, wie sie sagt, und ein provokanter Titel, der jedoch nicht das bedeutet, was man vielleicht auf den ersten Blick vermuten könnte. „Ich will die Männer damit nicht kategorisch ausschließen. Mir geht es dabei eher um den Punkt im Leben einer Frau, an dem man einen Mann braucht. Einen richtigen Mann, meine ich. Einen Erwachsenen. Keine kleinen Jungs mehr.“ Genau genommen ist das gesamte Album – angefangen mit dem poetischen „Beautiful Mistake“ (was schon ein Single-Hit in den Staaten war) bis zum krassen „The Way You Love Me“, wobei Polow da Don in diesem Fall für den fetten Club-Beat gesorgt hat – ein Aufruf zu mehr Selbstbewusstsein.
Ihre Message ist nirgends so deutlich wie im Fall von „Pretty Girl Rock“, der ersten Singleauskopplung: Keri artikuliert sie über einem von Ne-Yo und Chuck Harmony produzierten Midtempo-Track, in den sie sich sofort verliebt hat. „Ich weiß noch genau, wie Ne-Yo mir den Beat im Studio vorgespielt hat“, erzählt sie. „Und ich war sofort hin und weg. Mir ist sehr wichtig, dass die Frauen, die das Stück hören, nun nicht denken, dass ich einen auf großspurig machen will. Im Gegenteil: Ich will damit sagen, dass keiner das Recht hat, uns Frauen zu sagen, wie wir uns in unserem Körper zu fühlen haben. Denn ehrlich gesagt fühlen sich die meisten doch erst dann gut, wenn andere sie schön finden. Dabei sollte man sich auch unabhängig davon schön fühlen dürfen!“
Das phänomenale Video zu „Pretty Girl Rock“ von Regisseur Joseph Kahn (U2, Gwen Stefani) ist dermaßen großartig, dass Perez Hilton und das Billboard-Magazin schon längst erklärte Fans sind: Keri schlüpft in dem Clip in die Rollen diverser weiblicher Ikonen der letzten 100 Jahre, von den 1920ern bis heute, von Jazz-Sängerin Josephine Baker über Diana Ross, Donna Summer, Janet Jackson bis hin zu T-Boz von TLC – um schließlich einfach nur sie selbst zu sein und die Tradition starker, erfolgreicher Frauen im Hier und Jetzt fortzuschreiben. „Mit dem Video wollte ich mich vor diesen weiblichen Ikonen verneigen, die so viel Mut bewiesen und damit andere Frauen inspiriert haben. Ich hoffe, dass mir das auch gelingt.“
Auch der von Timbaland produzierte Track „Breaking Point“, ein absoluter Airplay-Hit in den Staaten, ist ein Appell an die Ladys dieser Welt: Hoffnungslose Beziehungen braucht kein Mensch, so die Aussage, genug ist genug. „Buyou Music“, von Hilson geschrieben und produziert von Boi−1da, handelt von gewissen Standards, die Frauen bei der Männerwahl an den Tag legen: „Ich kann zum Beispiel Typen nicht ausstehen, die Schnorrer sind. Solchen Typen sage ich: Mach dein eigenes Ding“, so Keri. „Allerdings soll das jetzt nicht so wirken, als würde ich auf der LP generelles Männer-Bashing betreiben.“ „All The Boys“ hingegen, ein Song aus der Feder von John Legend, geht sofort unter die Haut, so romantisch ist die Story: „Da geht’s um eine Frau, die gar nicht wusste, was die Liebe eigentlich ist – bis sie dann irgendwann doch den Richtigen gefunden hat. Das Stück fühlt sich einfach unglaublich gut an.“
Unter der Schirmherrschaft von Timbaland und Polow da Don als Executive-Producer-Team entstanden, ist „No Boys Allowed“ in allererster Linie ein Album, das Weiblichkeit in all ihren Facetten zelebriert – und zugleich das gesangliche Können von Keri Hilson. Es ist bewusst kein Longplayer geworden, auf dem eine Kollaboration die nächste jagt, auch wenn sich auf der Liste der Gastmusiker Namen wie Ne-Yo, John Legend, Boi−1da, Stargate und Chuck Harmony finden – und sich Kanye, Chris Brown und Rick Ross doch in wenigen Ausnahmefällen das Mikrofon mit ihr teilen durften. Stattdessen begegnet man einer reiferen Hilson, die sich für das schöne Geschlecht stark macht: „Ich schreibe Songs, die Frauen den Rücken stärken sollen. New-Age-Girlpower-Songs, wenn man so will.“ Und Songs, die auch Männern gefallen: „Meine Perspektive ist schon die der Frauen, aber die Männer erfahren daraus, was Frauen denken, wie sie ticken, und was sie wirklich von den Männern halten“, sagt sie abschließend.
Apropos männliche Fans: Polow da Don ist einer von ihnen. „Dieses neue Album ist unglaublich inspirierend“, so der Produzent. „Timbaland und ich können uns beide eine Scheibe davon abschneiden, denn dieser Longplayer zählt auf jeden Fall zu den besten Alben des Jahres 2011.“