Auch das vergangene Jahr hatte erstaunlicherweise wieder nur 365 Tage, aber entweder gehen die Uhren in Chemnitz anders – oder Kraftklub haben einen Deal mit dem lieben Gott. Wir tendieren zu letztere Vermutung, denn was die Brüder Felix und Till Brummer sowie Karl Schumann, Steffen Israel und Max Marschk seit September 2014 auf die Beine gestellt und erlebt haben, gehört vernünftigerweise auf mindestens drei Jahre verteilt.
Man muss sich das einfach noch mal klar machen: Vor ziemlich genau zwölf Monaten erschien das zweite Kraftklub-Album »In Schwarz«, das ebenso wie das Debüt auf Anhieb von null auf eins in die Charts einstieg. Seitdem wurden Kraftklub bei der 1LIVE Krone zur besten Band national gewählt, fuhren mit dem In-Schwarz-Konvoi durchs ganze Land, gewannen einen Echo, brachten die bereits dritte Ausgabe des bandeigenen Festivals Kosmonaut über die Bühne, bekamen Gold für mehr als 100.000 verkaufte Exemplare von »In Schwarz« verliehen.
Vor allem aber begaben sich Kraftklub auf mehrere Tourneen, während derer sie zahlreiche umjubelte Konzerte in den Clubs, Hallen und auf den Festivals der Republik spielten. Und weil so ein Kraftklub-Konzert im Rausch der Gefühle verdammt schnell vorbeigeht, gibt es jetzt »Randale«. Zur Erinnerung für alle, die da waren. Als Trostpflaster für jene, die keine Karten mehr bekommen hatten – vor allem aber als grandioses Dokument und Porträt einer einmaligen Band in Bild und Ton. Das komplette »Randale«-Set setzt sich aus zwei Tourdokumentationen und einem kompletten Live-Konzert aus der Berliner Max-Schmeling-Halle vom 06. März 2015 zusammen, außerdem erscheint »Randale« in abgespeckter Form als Live-CD.
Insbesondere die Dokus sind unbedingt zu empfehlen. Das mit der Band vertraute Produktionsteam Peter&DerWolf , zuvor bereits mit den Beatsteaks, Sonic Youth und zahlreichen anderen im Einsatz, hatte uneingeschränkte Einsicht in sämtliche Bereiche des Tourlebens. Mit bis zu 21 Kameras begaben sich Peter Domsch und sein Team 28 Tage lang auf die Spuren von Kraftklub, von den ersten Proben in den Berliner Black-Box-Music-Studios über die Club-Tour bis zum triumphalen Abschluss den großen Arenen.
So entstanden unter anderem zwei sehr unterschiedliche Dokumentationen, die den Tour-Alltag bei Kraftklub aus allen Perspektiven beleuchten. Vor allem die längere Doku ist ein echtes Highlight für die Fans. Die Club-Tournee wird parallel aus der Band- und aus der Fan-Perspektive erzählt, in einer brillant erzählten Mischung aus O-Tönen, Impressionen aus den Städten, von der Straße, aus den Clubs. Domsch und sein Team begleiten ein Pärchen, das repräsentativ für die vielen anderen Fans steht, die Kraftklub von Konzert zu Konzert hinterherreisen. Die Einblicke in die Infrastruktur dieser ergebensten aller Fans sind mindestens so interessant wie die Backstage-Szenen mit den Musikern. Und so beginnt der Film damit, wie die beiden Fans das Auto packen und Felix Brummer in seiner Wohnung abgeholt wird und schlaftrunken überlegt, ob er seinen Laptop mitnehmen soll. So geht es abwechselnd erzählt weiter: Die Fans schlafen im Auto, haben aber die schickere Wohnung als Felix Brummer, der im Nightliner Platz nimmt.
Kraftklub reisen nach Amsterdam, Frankreich, London, Tschechien – und schließlich zum großen Finale im Chemnitzer Atomino, jenem Club, den der Vater von Till und Felix betreibt. Der Schweiß tropft von der Decke, alles geht ineinander über, jedes Lied wird aus hunderten von Kehlen intoniert. Toll auch die kleinen und großen Routinen vor und nach den Auftritten: Felix Brummer geht überall essen und probiert regionale Spezialitäten. Die Crew erlaubt sich kleine Streiche, indem sie einmal bewusst den Vorhang zu spät fallen lässt und ein anderes Mal die Setlist manipuliert. In Leipzig löst der Kraftklub-Auftritt ein kleines Erbeben aus, London, genauer Camden saugen Kraftklub mit jeder Faser ihres Körpers auf. Sie erinnern sich an die Heydays des Indie-Rock und sind plötzlich selbst wieder Fans.
Wer wirklich ins Herz dieser Band vordringen will, wer verstehen will, wie Kraftklub ticken und was sie motiviert, der kommt an »Randale« nicht vorbei. Das größte Verdienst aller drei Filme ist die Tatsache, dass sie auf kongeniale Weise die Bandchemie anfangen. Nichts wurde beschönigt, zurechtgebogen oder nachträglich korrigiert. Der Vorteil von Langzeitdokumentationen ist ja ohnehin, dass man irgendwann die Anwesenheit der Kameras vergisst. Dass es auch hier so war, spürt man instinktiv. Wer Kraftklub kennt, wird bestätigen: So sind die wirklich.
Die Kameraarbeit beim großen Konzert in Berlin schließlich sprengt das Format des konventionellen Konzertfilms mit raumgreifenden Bildern, die zur gleichen Zeit enorme Tiefe wie Wärme und Intimität vermitteln. Die Kamera scheint überall gleichzeitig zu sein, man fühlt sich, als stünde man abwechselnd in der ersten Reihe, auf den Rängen, hinter der Bühne. So wird die Show in der Schmeling-Halle zu einem magischen Moment: Wanda, Casper und KIZ bestreiten Gastauftritte, Kraftklub agieren in absoluter Bestform, das Publikum hyperventiliert. »Ich will nicht nach Berlin«, »Unsere Fans«, »Scheißindiedisco« – jeder Song ein Hit, jede Zeile ein Slogan. Und am Ende tanzen alle halbnackt über die Bühne und es gibt Champagner.
Es war das beste aller Jahre!