Ganz egal, ob im Flieger, im Zug, im Bus – Lady Antebellum haben in den letzten Jahren unzählige Stunden in allen erdenklichen Fortbewegungsmitteln verbracht. Überhaupt scheint ein Begriff wie Stillstand ein Fremdwort für das US-Country-Trio zu sein: Entweder entwickeln sie ihren Sound weiter, erkunden musikalisches Neuland, oder aber sie besteigen eines der besagten Verkehrsmittel, um die Welt für ihre nächste Tour zu umrunden. Gelegentlich passiert bei ihnen sogar beides zugleich…
Mit “
747”, ihrem aus 11 Songs bestehenden fünften Album, fängt die Band das Tempo, den Nachdruck und überhaupt den ganzen Spirit ihrer gefeierten Live-Shows ein. Man darf nämlich nicht vergessen:
Charles Kelley, Hillary Scott und Dave Haywood haben ihre Band zwar in Nashville gegründet – genau genommen am Klavier von
Haywood, wo sie erstmals zusammen sangen –, ihre sprichwörtlichen Sporen haben sie sich jedoch definitiv unterwegs, on the road verdient. Erst auf Tour sind Lady Antebellum zu dem Ausnahmephänomen geworden, das sie heute sind, indem sie den stampfenden Beat von scheuklappenfreiem Country-Sound mit den Harmonien ihrer Stimmen vermählten – drei Stimmen, die einfach mal füreinander bestimmt waren.
Und während die Konzerte, die sie entlang ihrer Tour-Route spielten, immer größer wurden, so wuchsen auch die Ziele und Ansprüche des Trios: Das während der diesjährigen “Take Me Downtown”-Tour geschriebene neue Album, “747”, dessen Titel bereits nach massivem Schub klingt, der einen an einen schöneren Ort befördert, ist in vielerlei Hinsicht als Metapher für ihre Entwicklung zu verstehen. Mehr Schub, größere Distanzen, aber auch mehr Höhe: Nach Jahren, in denen sie die Spitzenposition der US-Countrycharts fest im Griff hatten, fahren sie das Laufwerk endgültig ein, um in noch luftigere Höhen aufzusteigen. “Wir sind irgendwann bei diesem krassen, echt druckvollen Sound gelandet, den wir so noch nie gemacht hatten, und dann schrieben wir immer mehr Songs, die in diese Richtung gingen”, berichtet Charles Kelley, der im nächsten Atemzug davon erzählt, wie er eines Abends nach einem Lady-Antebellum-Konzert in einen Dance-Schuppen kam und plötzlich wusste, dass seine Band schnellere, tanzbarere Songs machen musste – Songs, die sogar in einem Club wie diesem funktionieren könnten.
Um diesen Schritt jedoch zu vollziehen, mussten sie sich wohl oder übel von den guten alten Midtempo-Balladen, ihrem Markenzeichen, trennen – wobei zwei ruhigere Songs (“One Great Mystery” und das nächtlich-nostalgische “Damn You Seventeen”) es hinterher dann doch auf ihr neues Album geschafft haben –, und stattdessen auf wildere, explosivere Arrangements setzen. Während sie also unterwegs waren, luden Kelley, Scott und Haywood eine ganze Reihe von Songwritern zu sich ein, mit denen sie spätnächtliche Songwriting-Sessions im Tour-Bus abhielten, während ihr Fahrer ein ausverkauftes Konzert nach dem anderen ansteuerte…
“Als wir dann unterwegs an diesen neuen Stücken arbeiteten, wurde uns recht bald klar, dass wir unbedingt mehr von diesen schnelleren, energiegeladenen Songs machen wollten”, erinnert sich Haywood. „Und so entstanden dann Songs wie ‘Bartender’ und ‘Long Stretch of Love’, so richtig massive Hymnen, die besonders im Stadion unglaublich klingen werden."
Wann immer ihr (permanent gut gefüllter) Konzertkalender es der Band erlaubte, kehrten Lady Antebellum kurz nach Nashville zurück, um dort die neuen Songs sofort mit ihrem Produzenten, dem Grammy-Gewinner Nathan Chapman aufzunehmen. Für die Alben davor hatten sie so gut wie ausnahmslos mit Paul Worley gearbeitet, der als Co-Produzent von Platin-Hits wie “Need You Now”, “Just A Kiss” oder auch “I Run To You” ihre bisherige Karriere entscheidend mitgeprägt hatte: Unter Worleys Fittichen wurden sie selbst zu Hit-Garanten und Grammy-Gewinnern… doch müssen auch die erfolgreichsten Bands irgendwann alte Erfolgsrezepte über den Haufen werfen, um Platz für Neues zu machen. “Das macht schon einen gewaltigen Unterschied, wenn man plötzlich in einem anderen Studio arbeitet und sich mit einem anderen Produzenten austauscht”, meint Kelley. "Und natürlich klingen dadurch auch die Resultate ganz anders. Was bei Nathan sofort auffällt: Er arbeitet unglaublich schnell, und er arbeitet eigentlich rund um die Uhr.“
Kein Wunder also, dass Lady Antebellum ihr “747”-Album in recht kurzer Zeit fertigstellen konnten. Chapman spornte die drei immer wieder dazu an, am Mikrofon alles zu geben – und zwar ohne Umwege: Meistens waren die Gesangsspuren schon nach vier oder fünf Takes im Kasten. Darüber hinaus hat er den Sound der Band ganz subtil durch vereinzelte digitale Elemente erweitert, indem er zum Beispiel auch Loops und programmierte Passagen ins Spiel brachte. Als die Gruppe zum Beispiel drauf und dran war, den Song “Sounded Good at the Time” gänzlich zu verwerfen, weil ihnen das Gitarrenriff zu Beginn des Stücks nicht mehr gefiel, zerlegte Chapman besagtes Riff in kürzere Passagen, änderte die Reihenfolge dieser Schnipsel und kreierte so eine neue Hook, die dem Song neues Leben einhauchte – ohne dessen Wurzeln über den Haufen zu werfen.
Auch mit “Bartender”, der ersten Single von “747”, bewegen sich Lady Antebellum auf Neuland: Während Banjo, Percussions und ein massiver, eingängiger Refrain den Song vorantreiben, denkt Hillary Scott im Text an jene Tage zurück, wo sie, damals noch Single, nur einen doppelten Whiskey trinken musste, um einen nutzlosen Ex-Lover vergessen zu können. “Gerade als erste Singleauskopplung ist dieser Song ein perfektes Statement”, meint sie. “Ich bin Mutter, und ich liebe mein Leben als Mutter mehr als alles andere, aber natürlich bin ich auch eine Frau, die in der Zeit davor wahnsinnig viel erlebt hat. Der Song ‘Bartender’ hat es mir erlaubt, für den Moment aus meiner jetzigen Haut zu schlüpfen – und es macht so unglaublich viel Spaß, dieses Stück live zu spielen! Auch dass dieser Song auf Anhieb so gut bei den Leuten angekommen ist, zeigt letztlich, dass unsere Fans unbedingt mehr von diesen lockeren, ausgelassenen Songs hören wollen.”
“Der Song ist toll, er macht echt Spaß”, meint auch Kelley. "Wir mussten uns selbst erst mal daran erinnern, dass wir nicht mit jeder Single so ein großes Statement machen müssen, wie das bei ‘Hello World’ oder ‘Need You Now’ der Fall war. Manchmal reicht es vollkommen aus, wenn es dabei einfach nur ums Spaßhaben und eine gute Zeit geht. ‘Bartender’ und ‘Downtown’ haben uns gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns auch einfach mal ein bisschen gehenlassen. Und wenn man danach dann Songs wie ‘Lie With Me’ oder ‘One Great Mystery’ vom neuen Album hört, dann hoffe ich mal, dass die durch den Kontrast um so gewichtiger klingen.
Auch Hillary Scott ist auf “Lie With Me” besonders stolz, ein bewegendes Duett, das Marc Beeson und Abe Stoklasa geschrieben haben. Indem sie und Charles Kelley sich am Mikrofon abwechseln, entfaltet sich die Geschichte eines zerstrittenen Paares, das sich jedoch darauf einigt, noch eine letzte Nacht miteinander zu verbringen – obwohl beide sehr wohl wissen, dass das Feuer zwischen ihnen längst erloschen ist…
“Einer unser absoluten Lieblingssongs ist ‘I Can’t Make You Love Me’ von Bonnie Raitt”, berichtet die Sängerin. “Ein perfekter Song ist das, er ist wirklich mit nichts vergleichbar. Wenn man ihn hört, ist man automatisch ganz woanders, man kann sich dieser Stimmung einfach nicht entziehen. Wenn ich ihn höre und die Augen schließe, dann läuft in meinem Kopf ein richtiger Film ab. Bei ['Lie With Me'] ging’s mir genauso: Wenn man sich den Text genau anhört und die Augen schließt, sieht man die ganze Situation wirklich vor sich.”
Und natürlich dürfen auf einem Album, das “747” heißt – ein Longplayer über die Liebe, über Nostalgie, über alles, was uns emotional und körperlich antreibt und bewegt –, auch ein paar schnellere Hymnen nicht fehlen, die genau dieses Transit-Gefühl thematisieren. Die erste von ihnen heißt “Long Stretch of Love”, ein epischer Track, der die lässig-rotzige Haltung des Rock & Roll und die entspannte Bodenhaftung des Country unter einen Hut bringt. Und auch der Titelsong “747” ist so ein Fall, bei dem das Zusammenwirken der drei Gesangsstimmen ganz klar im Mittelpunkt steht: “This 747 can’t go fast enough”, heißt es denn auch im Refrain, und obwohl es hier strenggenommen um einen niedergeschlagenen Mann geht, der so schnell es geht zurück zu seiner Frau fliegen will, beschreiben diese Worte auch die Karriere von Lady Antebellum: Sie sind schon ganz oben angekommen – aber sie geben trotzdem noch ein bisschen mehr Gas, um noch höher aufzusteigen.
“Wir haben wirklich bei jeder einzelnen Gesangsaufnahme, bei jedem noch so kleinen Aspekt alles gegeben im Studio”, sagt Hillary Scott abschließend über das Album, das nur knapp ein Jahr nach der Deluxe-Version des “Golden”-Vorgängers erscheint. “Und genau das sollen die Leute auch spüren: Diese Spannung, diese Energie. Die Elektrizität, die neue Beziehungen, neue Musik, neue kreative Ansätze auslösen können.”
“'747′ ist eine Momentaufnahme: Das Album zeigt, wo wir als Band heute stehen”, meint Kelley. “Und es zeigt, was wir wollen und wo die Reise hingehen soll: Wir wollen unsere Position festigen und weiter in der Top-Liga mitspielen, wenn man das so sagen kann. Wenn man nämlich beginnt, in Stadien und Amphitheatern aufzutreten, und die Fans genau diesen Sound hören wollen, dann funktioniert das wie eine Droge. Man will mehr davon. Man will da oben bleiben. Wir sind auf jeden Fall bereit, diesen Höhenflug fortzusetzen.”