Laing „Fotogena“
Wie wichtig jemand ist, merkt man oft erst, wenn er dann
fehlt. In diesem Sinne: Viel zu lange nichts mehr von Laing
gehört. Doch alles Warten hat ein Ende, die Berliner Band um
Songschreiberin Nicola Rost veröffentlicht ihr drittes Album.
Fans von smarter Pop-Poesie atmen auf, ein neuer Sherriff ist
in der Stadt. Jetzt knallt’s wieder.
„Tut mir leid, wenn’s manchmal schlecht
übersetzt ist / aber mein Herz ist des
Deutschen nicht mächtig“ (Laing, 2018)
Als Laing Anfang 2013 mit ihrem Debüt-Album „Paradies Naiv“
inklusive der Single „Morgens immer müde“ nicht nur auf der
Bildfläche, sondern auch in den Top Ten der Charts
auftauchten, sah Pop mit deutschen Texten besser aus denn je.
Das geschmeidig widerspenstige Kollektiv führte
muttersprachliche Lyrics auf‘s nächste Level.
So gestaunt und getanzt wurde selten bei einem Erstlingswerk.
Ein Jahr und ein bisschen später dann bereits das
Nachfolgewerk, Laing „Wechselt die Beleuchtung“. Alles klar,
so konnte es weitergehen.
Tat es aber nicht.
Die Band der Produzentin und Songwriterin Nicola Rost brauchte
eine Pause. Denn die Alternative wäre gewesen: Wie viele
andere bloß noch Pop-Dienstleister ihrer selbst zu werden,
Machen, Tun und Liefern. Für tatsächlich kreative Künstler
kein guter Zustand. Give me a break, Musikindustrie!
Irgendwie stellte sich in Laings Abwesenheit aber auch ein
allgemeiner Kater ein. Aus der neuen Lust, auf Deutsch zu
texten, war ein amtlicher Hype geworden. Die Songs wurden mehr
– und immer egaler. Wie sehr das „Menschen Leben Tanzen Welt“-
Gulasch alle Kanäle verstopft, merkt man aber erst, wenn
Laings dritte Platte „Fotogena“ sie endlich wieder freispült.
Man muss wirklich kein Sprach-Nerd sein, um die neuen Stücke
zu genießen. Jedes Wortspiel triggert dich, man will es sich
merken, am besten gleich notieren oder es unbedingt abends auf
dem Mäuerchen den Anderen weitererzählen. Wenn Rost den
notorischen Selfie-Flashmob unserer Zeit auf lauter kleine
„Fotogenas“ und „Fotogenos“ runterbricht, erreicht Pop seine
Meisterschaft: Er kann gleichsam verweisreich durch die
Historie gleiten – bis hin zu Mozarts „Zauberflöte“, und
trotzdem ganz im Jetzt verwurzelt bleiben. Das Märchenhafte,
das Glamouröse, das Irrwitzige mit dem Konkreten verknüpfen,
hier liegt die große Stärke dieser Pop-Chansons.
Der Trend dagegen, aus Pop eine Art horoskop-besoffenes
Lebenshilfe-Blabla zu machen, kriegt hier endlich mal eine
aufs Maul. Zeit wurde es.
Ein Song wie beispielsweise „Du bist dir nicht mehr sicher“
erzählt in samtig gruseliger Beiläufigkeit, wie die ganz große
Liebe nach einiger Zeit im Alltag und mitunter im Nichts
aufgeht – ohne dass es einem so wirklich bewusst wurde. In
diesen bittersüßen Zeilen steckt mehr Kraft und Erkennen als
in den ganzen „Du schaffst das“- und „Glaub an dich“-Lyrics
der jüngsten Zeit.
Das von Nicola Rost produzierte „Fotogena“ untermauert dabei
gerade auch musikalisch den Ausnahmestatus von Laing. Es ist
vielschichtiger Pop von großer Klarheit. Smoothe Elemente in
bestechender Eleganz wechseln sich mit tanzbaren Sounds ab.
Mehr denn je besitzen letztere auch eine Anmutung von R’n’B.
So wirkt dieses Album in all seiner verschmitzten, deutschen
Romantik sehr international – ein Umstand, der seinen Peak in
dem Stück „Ich auf Whatsapp“ findet.
Angriffslust, Textvergnügen, Spielfreude – all das findet sich
auf dieser Platte versammelt. Doch dafür gebührt auch noch
einem anderen Projekt Respekt… Denn fast zeitgleich zu
„Fotogena“ kommt der Film „Safari“ (Ratpack Filmproduktion) in
die Kinos. Regisseur Rudi Gaul engagiert Rost für den
Soundtrack, sehr guter Move. Diese Aufgabe überwand nämlich
die ausgeuferte Findungsphase von Laing nach „Mit wechselnder
Beleuchtung“ – und bereitete so den Weg zu diesem neuen,
eigenen Album.
Laing mischen wieder mit, genau rechtzeitig. Für den
mehrstimmigen Gesang sorgen neben Nicola Rost noch Johanna
Marschall und Josefine Werner, ebenfalls zur festen Crew
gehört die Tänzerin Marisa Akeny. Bühnenshow und Live-
Bedingungen? Nur her damit! Denn wer diese Band kennt, weiß,
welcher Schwerpunkt auf die Performance gelegt wird. Einfach
seine Songs abspulen ist woanders, aber auf keinen Fall hier.
Die Tour startet Januar 2019.
Pop-Poesie auf Zucker – und mit Pfefferspray in der
Handtasche. Willkommen zurück!
Text: Linus Volkmann