Lawson haben es geschafft: Soeben erst ist die britische Band von einem fünfwöchigen Aufenthalt in Los Angeles zurückgekehrt, wo sie ihr Debütalbum gemeinsam mit Starproduzent John Shanks (ein Mann mit sechs Grammy-Nominierungen!) aufgenommen hat. Kurz davor hatten Lawson eine durchweg ausverkaufte UK-Tour als Headliner absolviert – nicht übel für eine Band, die noch nicht einmal eine einzige Single veröffentlicht hat –, und davor waren sie ebenfalls unterwegs gewesen, auf Stadiontournee, um genau zu sein, und zwar im Vorprogramm von The Wanted.
“Zwei oder drei Mal sind wir abends richtig lang um die Häuser gezogen mit The Wanted”, berichtet Gitarrist Joel Peat. “Aber der größte Moment von der Tour war definitiv unsere Ankunft in der O2-Arena in London: Wir waren alle echt aufgeregt vor dem Konzert, aber es war die beste Show, die wir je gespielt haben. Alles daran hat sich einfach nur perfekt angefühlt.”
Dabei können sich die Jungs von Lawson auch an ganz andere Auftritte zurückerinnern: An jenen Pub in Cambridge zum Beispiel, wo das Publikum aus drei Leuten bestand – und das auch nur, wenn man den Mann am Mischpult mitgerechnet hat. Oder den Club in Manchester, mit dem abgemacht war, dass die Anlage gestellt wird – nur hatte leider niemand erwähnt, dass diese Anlage allenfalls für einen Bingo-Abend geeignet war; so blieb der Band denn auch nichts anderes übrig, als sich zu betrinken, was Schlagzeuger Adam Pitts auch mit so viel Gusto in die Wege leitete, dass er sich hinterher zwischen den einzelnen Songs regelmäßig entleeren musste…
“Wir haben so viele schlimme Abende zusammen erlebt, dass uns das gewissermaßen als Band definiert und zusammengeschweißt hat”, meint Bassist Ryan Fletcher, wobei in seinen Worten fast schon Wehmut mitschwingt.
“Aber bestens amüsiert haben wir uns irgendwie ja doch jedes Mal”, sagt Joel. “Sobald klar war, dass kein Mensch kommen würde, haben wir zum Beispiel einfach ganz andere, falsche Texte gesungen. Und uns zwischen den Songs ordentlich einen eingeschenkt.”
Anders gesagt: Diese Konzerterlebnisse waren so mies, dass sie einfach grandios waren. Und Lawson, die zum Teil aus alten Buddys bestehen, aber auch aus College- und Myspace-Bekanntschaften hervorgegangen sind, lernten so nach und nach die Grundlagen des Band-Daseins kennen; sie wuchsen an diesen Erfahrungen und arbeiteten zugleich an ihrem Können als Songwriter und Live-Musiker.
Und natürlich gab es auch Abende, die sich einfach nur richtig, richtig grandios angefühlt haben: Zum Beispiel, sich die Bühne mit Avril Lavigne zu teilen, eine der Musikerinnen, die Frontmann Andy Brown überhaupt erst dazu inspiriert hat, Gitarre zu lernen. Oder auch die erste UK-Tour im Vorprogramm von The Wanted, die schon im Frühjahr 2011 stattfand. Damals hatten Lawson noch keinen Plattenvertrag – und so mussten sie Abend für Abend vor rund 5000 The-Wanted-Fans eine Feuerprobe über sich ergehen lassen.
“Das fühlte sich fast schon wie ein Vorsingen an”, erinnert sich Joel zurück. “Das Ganze lief so à la: Kommt doch mit, schaut einfach mal, ob ihr das schafft, auf so großen Bühnen, ob euer Sound gut genug ist für diese riesigen Hallen…”
Doch nicht nur das, denn Lawson mussten Akustik-Gigs spielen. “Wir waren vollkommen fassungslos, als uns das mitgeteilt wurde”, so Andy. “Wir hatten die ganze Zeit in normaler Bandbesetzung geprobt, fleißig neue Songs gelernt und so. Und dann mussten wir plötzlich wieder ganz von vorne anfangen und herausfinden, wie man es schaffen kann, nur mit Akustikgitarren und einer Kistentrommel in solch riesigen Hallen vor kreischenden Fans zu spielen.”
Doch auch diese Herausforderung meisterten Lawson – und laut Adam war es “der größte Spaß überhaupt”.
“Das alles wurde voll zu unseren Gunsten ausgelegt”, meint Ryan, “denn die Leute sagten hinterher: Wenn die schon als Akustik-Band so klingen, stell dir doch mal vor, wie das mit richtiger Instrumentierung klingen wird…”
Gleich nach dem Ende ihrer Tour mit The Wanted spielten Lawson ihr erstes Konzert als Headliner, und zwar in Brighton. Auf der angrenzenden Straße hatte sich eine Menschenmasse gebildet. War das etwa schon das Ende der Schlange, waren es also alles Leute, die für ihre Show gekommen waren? Allerdings: Und im Publikum befand sich an diesem Abend auch jemand aus dem Hause Polydor. So kam es, dass Lawson im Juli letzten Jahres einen Plattenvertrag unterzeichneten. Zwei Jahre existierte die Band an diesem Punkt, und der Raketenstart schien geglückt.
Nur war dem doch nicht so: Heute wissen Lawson, dass der Plattenvertrag an sich nur ein erster Schritt von vielen ist. Der Weg vor ihnen war noch lang und arbeitsintensiv, doch wenn man Songs im Gepäck hat, die so gut sind wie die von Lawson – eine melodische Gitarrenpop-Hymne nach der anderen –, dann ist eine der größten Hürden natürlich trotzdem schon genommen.
Joel wuchs in Mansfield auf, und seine Mutter, eine Musiklehrerin, legte ihm schon früh diverse Instrumente ans Herz, während sein Dad ihn mit Songs aus dem Motown-Universum beschallte. Adam stammt aus Brighton; schon als 10-Jähriger saß er hinter dem Schlagzeug und tat alles dafür, um seine Liebe zu Bands wie Coldplay, Foo Fighters und Paramore irgendwie zu kanalisieren.
In Chesterfield wurde Ryan geboren, und schon als Teenager spielte er in diversen Schülerbands, deren Repertoire seine unterschiedlichen Einflüsse umfasste – mal waren es Eric-Clapton-Songs, dann Guns N’ Roses, dann wieder Taylor Swift.
Schließlich wäre da noch Andy aus Liverpool, der aufwuchs mit der Straßenmusiker-Gitarre seines Vaters und einer Überdosis Sixties-Sound: The Beatles, The Searchers, The Stones. “Ich stand auf alles, was eine Gitarre hatte”, erzählt er. “Alles von Sum 41 über The Eagles bis hin zu Lady Antebellum.”
Im Sommer 2009 versuchte Andy sein Glück als Sänger und Songwriter in der Szene von Merseyside. Nach und nach hatte er immer mehr eigene Songs und geniale Coverversionen – unter anderem von Kanye Wests “Heartless” und Daniel Merriweathers “Red” – bei Myspace und YouTube ins Netz gestellt und so tatsächlich ein Online-Following von mehreren Zehntausend Fans aufgebaut. Dann bekam er aus heiterem Himmel eine E-Mail von einem „schrägen Vogel“: Dieser hörte auf den Namen Adam, und er wollte nur kurz loswerden, wie toll er die Songs von Andy doch fand, und wenn er denn jemals mit dem Gedanken spielen würde, vielleicht eine Band zu gründen, ja wie wäre es denn dann eigentlich, wenn man…
Ein paar Monate später griff Andy – inzwischen daran interessiert, seine Songs mit etwas mehr Druck und größer instrumentiert zu präsentieren – schließlich zum Hörer und rief an bei diesem Adam. Es folgte eine erste Jam-Session in London, bei der auch Ryan vorbeischaute: Andy hatte ihn kurze Zeit zuvor bei einem Vorspielen kennen gelernt, in dessen Rahmen Musiker für die Band einer jungen Sängerin gesucht wurden; sie hatten sich auf Anhieb blendend verstanden, und zwar vor allem, weil sie beide große Fans von John Mayer sind.
Zu dritt nahmen sie die Sache in einem heruntergekommenen Proberaum unter den Eisenbahnbögen von Shepherds Bush, im Westen der Stadt, in Angriff: Sie spielten unter anderem Songs von Stevie Wonder, aber auch von Duffy und Lady Gaga.
“Es lag einfach auf der Hand, dass das richtig gut funktionieren würde”, berichtet Andy. "Nur ein bisschen Edge fehlte vielleicht noch. Aber The Edge hatte sich da ja schon andere Bandkollegen ausgesucht.v
The Edge hatte das gewiss, und schon vor 30 Jahren, aber Ryan, der studierte ja schließlich noch an der Musikhochschule in Guildford. Und dort gab es einen Typen im Gitarrenkurs, den er auch noch von damals aus Teenie-Band-Zeiten aus den Midlands kannte: Ryans Band Superfox („Ob wir eine hübsche Mieze als Sängerin hatten? Nix da, das war ein übel aussehender Kerl!“) war damals gemeinsam mit Joels Band Red Lemons aufgetreten. Und diesen Joel rief Ryan nun also an und fragte ihn, ob er in ein paar Wochen bei der nächsten Bandprobe dabei sein wollte.
Als dann die vier Jungs zum ersten Mal in einem Raum standen und loslegten, stimmte die Chemie, so Andy, “wirklich vom ersten Moment an. Nur klang das alles trotzdem scheiße!”, fügt er lachend hinzu. “So rein menschlich passte das sofort perfekt. Was die Musik jedoch anbelangte, würde das alles schon noch ein Weilchen brauchen, das war klar.”
Also legten sie sich ins Zeug: Sie stellten haufenweise Songs, sowohl eigene als auch Coverversionen, bei YouTube ins Netz, und aus einem kleinen Online-Buzz wurde schon bald eine richtige Online-Fanbase. Dann suchten sie die Management-Firmen derjenigen Bands raus, die ganz wie sie auf überdimensional-ehrliche Pophymnen setzen – also von Bands wie The Script, The Feeling oder Maroon 5. So landeten sie bald darauf einen Deal mit 19 Entertainment und gingen erst mal auf Tour und spielten live… und spielten live… und spielten gleich noch mehr live.
Und dann änderten sie ihren Bandnamen – schließlich hatten sie sich zuvor The Grove genannt, und selbst wenn das ein recht schickes Einkaufszentrum in Los Angeles ist, ist es eben doch nur ein Bandname, der auf eine derartige Einkaufsmeile verweist… und das geht natürlich nicht. “Und dann”, so Andy, “haben wir uns einfach nach dem Chirurgen benannt, der mich ein paar Jahre zuvor operiert hatte.”
“Nun spiel das mal nicht so herunter”, wirft Ryan ein, “er hat dir doch schließlich das Leben gerettet!”
Besagte OP war tatsächlich ein 18-stündiges Unterfangen, bei dem der Chirurg Dr. Lawson einen Gehirntumor entfernen musste, an dem Andy, nun ja, in der Tat beinahe gestorben wäre. Selbst die Operation war mit diversen Risiken verbunden: Taubheit, Blindheit, Absterben der Gesichtsnerven – das alles hätte ohne weiteres passieren können. Doch nach drei Monaten im Krankenhaus war Andy wieder vollkommen auf dem Damm. Seine geliebte Band daher nach diesem Dr. Lawson, seinem Lebensretter, zu benennen, lag irgendwie auf der Hand.
Zudem fühlte sich auch Adam vom neuen Namen und dieser Story inspiriert: In schönster DIY-Manier schnappte er sich einen Stift und kritzelte ein neues Logo auf einen Briefumschlag, die Buchstaben und dazu diese Linie im EKG-Stil darunter. Fertig.
An diesem Punkt kam die Sache richtig ins Rollen, und das pausenlose Touren schien sich bezahlt zu machen. Auch die Songideen sprudelten förmlich aus ihnen heraus. Inspiriert von der Nachricht, dass seine Ex einen neuen Typen hatte, schrieb Andy den Track “Standing In The Dark” sowie die erste Single “When She Was Mine” – ausgelassene, optimistische Melodien, deren Vibe ganz klar im Kontrast zum Inhalt steht. “Jeder dieser Songs basiert auf tatsächlichen Erfahrungen”, so der Frontmann. “Ich kann irgendwie nur über wahre, ehrliche Gefühle schreiben. Und ganz offen gesagt handeln wohl auch rund 80 Prozent des Albums von dieser einen Frau.”
Allerdings handelt “You Didn’t Tell Me”, mit seiner sanften Gitarre, die dann in eine radiotaugliche Klavier-und-Gitarren-Ballade anschwillt, ausnahmsweise nicht von dieser Frau – denn der Song handelt stattdessen von Ryan und seiner ganz eigenen Liebeskummerphase: “Er hat da so eine zweimonatige Phase durchgemacht, in der er immer wieder von Mädels versetzt wurde, die, ganz offen gesagt, auch eine Nummer zu groß für ihn waren”, meint Joel lachend.
Weiter geht’s mit “Stolen”, einem massiven Stück, das noch größer wird dank reichlich Streichern, die hier zum Einsatz kommen: “Wir alle lieben die Streicher auf ‘Greatest Day’ von Take That”, sagt Andy. “Ja, der Effekt ist einfach der Hammer”, meint auch Joel. Es ist daher auch kein Zufall, dass Lawson für die Arbeit an ihrem Debüt den Produzenten John Shanks ins Boot geholt haben – jenen Gitarren- und Streicher-Experten, der auch Take That bei der Arbeit an deren “Beautiful World” – und “The Circus”-Alben unter die Arme gegriffen hat. Denn Lawson haben viel vor; sie haben große Pläne, und noch größere Songs – also brauchten sie auch einen Mann mit großen Ideen und einem großen Soundverständnis, um den eigenen Traum zu verwirklichen.
“Sein Studio war unglaublich”, meint Ryan und muss lachen."Mitten in Hollywood liegt das, gleich neben den Studios von Jim Henson mit seinen Muppets. Du gehst rein, und Van Halen gibt dir die Klinke in die Hand. Einen Tag war Drake da, am nächsten Tag schneite Justin Bieber rein." Für die Jungs von Lawson “war das einfach verrückt, all diese Megastars zu sehen.”
“Als wir den Song ‘The Girl I Knew’ aufgenommen haben, war das schon ein ganz schön ergreifender Moment”, so Andy. “Ich hatte die Nummer ein Jahr davor in meinem Schlafzimmer auf der Gitarre geschrieben, und dann zu hören, wie John all diese Streicher darüber legte – es klang einfach zu gut! Als ich dann meinen Part einsingen wollte, klappte das überhaupt nicht, weil das Gefühl einfach so intensiv war. Aus dem Nichts zu kommen und dann plötzlich mit einem Grammy-Gewinner in so einem Megastudio in L.A. zu sitzen – das war schon ein unglaublich großer Moment für uns alle.”
“Na ja, man kann ja nur ein Mal sein erstes Album aufnehmen, oder?”, meint Ryan, “also muss man auch dafür sorgen, dass es richtig, richtig groß wird.”
Erst im Frühjahr war die Band schon wieder in Los Angeles, um dort das Video zu “When She Was Mine” zu drehen; danach spielten sie ein Konzert in London, dessen Tickets binnen 10 Minuten ausverkauft waren. Betrachtet man das Tempo, mit dem die Fanbase von Lawson momentan wächst, kann man durchaus sagen, dass sie die erste Hälfte ihres Wegs bereits hinter sich gelegt haben. Nur können sie es kaum abwarten, endlich auch den zweiten Teil, die zweite Hälfte dieses Wegs zu gehen…