Chris Martin findet ihre Stimme fantastisch, Lionel Richie behauptet, dass ein so großes Talent nicht lange unentdeckt bleiben kann, und Burt Bacharach hätte sie beinahe „Close To You“ in der Royal Albert Hall performen lassen – stattdessen ließ er ihr „One Less Bell To Answer“. In der Zwischenzeit brachte sie Liberty X zum hüpfen, spielte Lotto mit Gary Barlow und ließ Rachel Stevens als „Funkydory“ dastehen.
Es war ein atemberaubender Ritt, den die Singer/Songwriterin Lucie Silvas hinter sich gebracht hat, um nun, gegen Ende 2004 unsere Herzen und die Charts zu erstürmen. Die Sängerin Lucie, die weitaus reifer wirkt, als ihr Alter es erwarten lässt, sagt dazu, es sei alles ein lang angelegter Plan gewesen. „Heute habe ich endlich herausgefunden, was es eigentlich bedeutet, Lucie Silvas zu sein,“ lächelt sie. „Das hat zwar ein Weilchen gedauert, aber jetzt kann ich endlich behaupten `Das hier bin ich. So bin ich.´ Ich bin überglücklich.“
Na dann wollen wir mal erklären, wie wir da eigentlich hinkamen:
Lucie Silvas war schon immer von Musik umgeben. Der richtigen Musik natürlich: „Als alle Mitschüler gerade Bros hörten, gab es für mich nichts Spannenderes als Gospel Musik, Stevie Wonder, Nat King Cole und The Carpenters,“ erzählt sie. „Besonders die Carpenters. Karens Stimme hat mich weggeblasen.“ Lucies Eltern lebten in Neuseeland, so dass Lucie eine Kindheit mit reichlich Sonne verlebte.
Mit fünf Jahren begann sie, Klavier zu spielen. Schon früh in Filme vernarrt – besonders Musical-Filme und alles mit Barbara Streisand – schrieb sie, davon inspiriert, ihren ersten Love-Song im zarten Alter von zehn Jahren. Sie wollte schon immer auftreten, auf Bühnen sein: Schauspielen, Singen, Tanzen… aber natürlich wird ein kleines Mädchen nicht allzu ernst genommen, wenn es mit solchen Wünschen ankommt. Anders verlief es im Fall eines Mannes, dem sie bei einer Ferien-Talent-Show in Tahiti begegnete: „Es war mein elfter Geburtstag und ich wurde gebeten, einen Song vorzutragen. Da ich aber ziemlich klein bin, wirkte ich noch jünger als ich war. Ich glaube, der Mann ging davon aus, dass ich `Twinkle, Twinkle, Little Star´ singen würde.“ Stattdessen sang sie Whitney Houstons „The Greatest Love Of All“. Als sie von der Bühne kam, wollte ein Zuhörer sie gleich unter Vertrag nehmen – doch Lucie hatte von ihren Eltern gelernt, dass man Plattenverträge nicht von Fremden annimmt. Von diesem Moment an stand fest, welche Art von Karriere Lucie machen wollte.
Einmal nach England zurück gekehrt, studierte sie Musik, am College. Eines Tages machte eine Freundin den Vorschlag, dass Lucie doch einmal die Stiefmutter jener Freundin treffen sollte. Sie war nämlich ebenfalls eine Sängerin. Wie sich schon bald herausstellen sollte, war diese Stiefmutter niemand Geringeres als Judie Tzuke – ein Profi in Sachen Balladen. Lucie und Judie verstanden sich sofort perfekt. So gut sogar, dass Lucie sie von nun an auf Tour begleiten sollte, als Background-Sängerin.
So tourten sie also durch das gesamte Land, und die gerade erst 17jährige Lucie entwickelte zunehmend den Wunsch, ihr eigenes Ding auf die Beine zu stellen. Der (klassische) „Freund eines Freundes“ empfiehl sie daher Gary Barlow, der einst bei Take That ganz vorne stand. Gary brauchte nämlich ebenfalls eine Background-Sängerin. Und Lucie passte perfekt auf die Position. So kam es, dass sie – bevor sie es überhaupt richtig realisieren konnte – bei „The National Lottery Live“ vor Millionen von Menschen auftrat und jeden Tag in einem anderen Land aufwachte, als sie Gary auf seiner „Open-Road-Tour“ begleitete.
Als Lucie ihm dann eines Tages einen ihrer eigenen Songs vorspielte, war er begeistert. Durch den Manager von Gary wurde Lucie schon bald beim Label vorgestellt und bekam sofort einen Deal. „Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich sie gefragt habe, ob ich dann auch Songs für andere Künstler schreiben darf,“ lacht sie heute.
Mit ihrem Plattenvertrag ging es schon bald weiter mit Support-Auftritten für Macy Gray und M People. „Macy ist eine unglaubliche Künstlerin. Und sie ist durchgeknallt. Jedes Mal, wenn ich an ihrer Garderobe vorbei kam, kam da eine dicke Rauchwolke raus.“ Außerdem traf sie Chris Martin im Rahmen eines gemeinsamen Auftritts. Er sang „Trouble“ und sagte Lucie, dass ihre Stimme das Allergrößte sei.
Aber der Deal verlief nicht sonderlich positiv, so dass Lucie, als sie endlich wieder aus der Vertragsbindung raus war, auf eigene Faust weitermachte. Glücklicherweise hatte ihr Name schon die Runde gemacht, und ihr Telefon hörte nicht mehr auf zu klingeln. Alle wollten ihre Songs: Rachel Stevens, Gareth Gates, Liberty X, eine ganze Reihe von American Pop Idols und zu guter Letzt sogar die Popkönige Merlin, die sonst für Britney oder Danni Minogue schreiben. Sie war so beschäftigt, dass ihre Hände konstant in die Tasten hauen mussten. Alles was sie tat war schreiben, schreiben, schreiben.
Sehr stolz ist sie zum Beispiel auf „Jumpin`“ von Liberty X: „Es ist ein fantastisches Gefühl, in einen Club zu gehen, in dem alle die Wörter mitsingen, die du geschrieben hast, auf die Melodien abgehen, die du erfunden hast.“ Außerdem freut sie sich wahnsinnig darüber, mit Lionel Richie ein Radiokonzert gegeben zu haben: „Wir haben `Endless Love“ gesungen. Er wollte mir vorher noch schnell den Text erklären, aber das brauchte er gar nicht – das ist schließlich einer meiner Lieblingssongs. Jeder Sänger möchte wenigstens eine Ballade schreiben, die auf der ganzen Welt gehört wird. Er hat cirka 50 davon geschrieben!“ Und dann wäre da noch ein Konzert mit Burt Bacharach, auf das sie ebenfalls besonders stolz ist.
Ansonsten entwickelte sich Lucie Silvas Leben zu dem, was es früher schon gewesen war: Sie hing in Londons berühmten Kashmir Klub ab, ließ sich von der Atmosphäre dort inspirieren: „Da ich ja viel für andere Leute geschrieben habe, machte ich viele R&B-Stücke. Schließlich war das gerade gefragt. Dabei hatte ich leider ganz vergessen, was für Stücke ich für mich eigentlich schreiben wollte.“
Und dann ging’s los: Als bei Mercury Records bekannt wurde, dass sie wieder in Songwriter-Stimmung war, wurde ihr sofort ein neuer Deal angeboten, so dass Lucie wieder da war, wo sie einst angefangen hatte: Es ging darum, ein Album aufzunehmen, das aus Klavier-Stücken bestehen und ihr Innerstes widerspiegeln sollte. Lucie versammelte dafür ihr persönliches Dream-Team: den Produzenten Mike Peden (Des’ree und Shara Nelson) und, um ihr beim Schreiben zu assistieren, die gute alte Judie Tzuke.
In dieser Formation gelang es Lucie, ein Album aufzunehmen, dass voll von Gefühl, Glauben und Freundschaft ist. Es geht um die unvergänglichen Dinge des Lebens: „Davon handelt mein Album. Von wahren Dingen, von echten Ereignissen, so, wie sie entweder mir oder meinen Freunden geschehen sind.“ Man kann sie zum Beispiel auf „Forget Me Not“ hören („Es liegt an einem selbst. Jeder Mensch, selbst jemand, dem man nur ganz kurz begegnet, kann einen beeinflussen, einen auf neue Ideen bringen.“). Oder auch in „Breathe In“ („Da geht’s darum, alles immer mit der richtigen Distanz zu betrachten, so hart das manchmal auch sein mag.“) und „The Game Is Won“ („Der Song handelt davon, wie es sich anfühlt, wenn man einen Zustand erreicht hat, der sich gut anfühlt. Wenn man da ist, wo man hingehört.“)
Letzterer („The Game Is Won“) hat sogar eine doppelte Bedeutung für Lucie Silvas. Denn in einem musikalischen Klima, in dem Amy Winehouse und Jamie Cullum beweisen, dass die Leute gute Sänger/innen und echte Songwriter/innen hören wollen, vereint Lucie beide Bereiche mit ihrer kräftigen Stimme und ihrem Können als Songschreiberin. In einem Klima, in dem die Verkaufszahlen von Platten im Keller sind – Konzerte aber angesagt sind, denkt Lucie Silvas, dass ihre Zeit jetzt gekommen ist.
„Danke für all die Erfahrungen, die ich sammeln durfte. Und ich bin doch wieder da gelandet, wo ich angefangen habe. Ich glaube, dass alles, was auf dieser Welt geschieht, einem größeren Plan unterliegt. Man wird irgendwann immer an einem Ort ankommen, wenn es denn sein soll.“
Dann zeigt sie uns noch einmal ihr eroberndes Lächeln. „Aber natürlich ist es manchmal ein ganz schön bescheuerter Weg, den man dafür hinter sich bringen muss.“