Blickt man auf das bisherige, vier Alben (davon die letzten zwei in den Top10 der Offiziellen Deutschen Album-Charts) umfassende Oeuvre der westfälischen Band Luxuslärm, ragen aus dem umfangreichen Fundus besonders die Songs, die in einer Schnittmenge aus vielschichtigen Hooklines, klug dosierten Arrangements und emotionalem Tiefgang münden. Eine Basis, die jetzt ein ganzes Album trägt. “Fallen und fliegen”, das neue – fünfte – Album, erinnert an die Anfangstage der Band. Nach dem eher rockigen “Alles was du willst” nehmen sich Luxuslärm ein Stück weit zurück. Ein Song ist immer dann ein guter Song, wenn er sich auf das Wesentliche herunterbrechen lässt. Songs, deren Faszination nicht vergilbt, wenn der Griff in die Trickkiste ausbleibt.
Doch nicht falsch verstehen, auch wenn “Fallen und fliegen” gut und gern als Pop-Produktion bezeichnet werden kann, ist Luxuslärm immer noch eine Rockband. Es geht nicht ungebremster zur Sache, dem vermeintlichen Manko wird mit Leidenschaft, Ideenreichtum und Liebe zum Detail begegnet. Die Rückbesinnung auf die eigentlichen Stärken ist dabei kein theoretisch entstandener Schlachtplan, sondern organisch gewachsen. Luxuslärm geht es – wie schon immer – darum, Gefühle zu transportieren, ihre ganz eigenen Reflektionen, die dennoch immer verschieden interpretierbar sind, auf die Fragen des Lebens preiszugeben. Das mag pathetisch klingen, ist es aber ganz und gar nicht. Viel mehr sind die zwölf neuen Songs ihres bisher besten Albums sehr persönlich. Kreisten die Lyrics früher vornehmlich ums Suchen und Finden, handeln die neuen Lieder ebenso vom Ankommen und Rückblicken. Noch nie waren Luxuslärm so nahbar.
Das wird besonders in Songs wie “Kein Geld der Welt”, der von Menschen von seltenem Schlag, die nötiger denn je sind, handelt, “Solange Liebe in mir wohnt”, ein gelungenes Statement, dass Veränderungen immer bei sich selbst anfangen, sowie das mit Max Mutzke im Duett gesungene “Bis es wehtut” mit hohem Gänsehautfaktor deutlich. “Solange Liebe in mir wohnt” ist auch die erste Singleauskopplung, zudem werden Luxuslärm damit beim nationalen Vorentscheid zum Eurovision Songcontest 2016 zu erleben sein. Nicht die schlechteste Wahl für Stockholm, denn das Lied hat alles, was einen Luxuslärm-Song ausmacht: qualitativ immer höchstes Niveau, doch gleichzeitig durchzogen von diesem einzigartigen Pop-Appeal, mit dem die Band ihre Fans scheinbar ganz mühelos abholen.
Songs, von denen es auf “Fallen und fliegen” etliche gibt. Etwa “Nichts zu verlieren” und “Himmel aus Gold”, die Stärke und Zusammenhalt thematisieren, “Heute Nacht”, das vom Zauber des Augenblicks erzählt, oder “Bitte rette mich nicht”, dem ultimativen Aufruf zum Umwege gehen, zum Träumen – gekoppelt mit der Erkenntnis, dass Plan B nicht die letzte Option sein muss. Berührend auch “Federleicht”, inspiriert durch das bereits fünfjährige Engagement für die Aktion “Bunt statt blau”, einer Initiative gegen Komasaufen – und freilich keine plumpe Mahnung an Trinker ist, das nicht mehr zu tun. Ebenso tiefgründig “Nur ein Herzschlag”, die kongeniale Absage an “höher, schneller, weiter”, ohne diese Worte zu nutzen. Und nicht zuletzt “Laufen zusammen” – dieser Song ist eine ganz besondere Liebeserklärung, vielleicht der Soundtrack funktionierender Beziehungen.
Kopf und Herz von Luxuslärm ist nach wie vor Frontfrau Jini Meyer, die mit ihrem umfangreichen Timbre und ihrer charismatischen Ausstrahlung die Band zu etwas Besonderem macht. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit: Mit Schlagzeuger Jan Zimmer, Keyboarder Christian Besch, Gitarrist Freddy Hau und Bassist David Müller an ihrer Seite führt die Luxuslärmerin eine perfekt eingegroovte Band. Nicht zuletzt profitieren Luxuslärm von der Zusammenarbeit mit Götz von Sydow – Produzent, Manager, Songmitschreiber; genau genommen das sechste Bandmitglied. Ging es beim Vorgängeralbum darum, die Takes gemeinsam und live einzuspielen (was sie als Band einmal mehr zusammenschweißte), gönnten sich die Lärmer auf “Fallen und fliegen” den Luxus, in gewohnter Atmosphäre aufzunehmen, sich auch einmal Zeit zu lassen. Die entspannte Herangehensweise zieht sich wie ein roter Faden durch das Album und trotz gelebter Detailverliebtheit wirkt nichts überfrachtet oder aufgesetzt.
Ein besseres Geschenk hätte sich die Band und ihren Fans nicht machen können: 2016 ist das zehnte Jahr von Luxuslärm. Eine Dekade voll unzähliger Tourneen, ECHO-Nominierung, 1LIVE Krone-Gewinn und den vierten Platz bei Raabs Songcontest, 42 Millionen Klicks in einschlägigen Internetportalen und 250.000 verkaufte Alben. Jubiläumsaktivitäten wird es jedoch keine geben, denn das alles ist erst der Anfang.