Was könnte noch geheimnisvoller sein als ein Revolutionär? Genau: Ein Nonkonformist. Jemand also, der nicht bloß einmal formulierten Philosophien nachgeht, sondern sie auch einfach mal über Bord wirft und seiner inneren Stimme folgt. In der neueren Musikgeschichte gibt es für solch ein Verhalten kaum ein besseres Beispiel als jenes, das Madeleine Peyroux abgegeben hat. 1974 in Athens, Georgia geboren, verschlägt es sie bereits mit 16 nach Paris, wo sie mit der „Lost Wandering Blues & Jazz Band“ zur Straßenmusikerin wird. Sechs Jahre später entdeckt sie dort Yves Beauvais von Atlantic Records und nimmt sie unter Vertrag. Ihr erstes Album „Dreamland“ wird zum Überraschungserfolg, verkauft sich eine Viertelmillion Mal und verschafft ihr Auftritte beim Lilith Fair, in Montreux und im Vorprogramm von Sarah McLachlan.
Doch der Schanzenrekord als Überfliegerin gleich im ersten Jahr ist zuviel für Madeleine Peyroux. Erst verliert sie zeitweilig ihre Stimme, dann den Plattenvertrag und schließlich die Lust auf allen Ruhm und Reichtum und tritt wieder auf der Straße auf. Acht Jahre lang währt das Intermezzo, bis sie sich erneut einem Label anvertraut und mit „Careless Love“ ein fulminantes Comeback hinlegt. Unter der Ägide von Joni Mitchells einstigem Ehemann Larry Klein interpretiert sie Cover-Versionen von Leonard Cohen, Bob Dylan, Hank Williams oder Elliott Smith im Jazz-Sound. Das Album verkauft sich über eine Million Mal.
Sein Nachfolger „Half The Perfect World“ von 2006 mit Songs unter anderen von Tom Waits, Charlie Chaplin oder Serge Gainsbourg wiederholt den Erfolg, und dieses Mal packt die medienscheue Künstlerin nicht die Angst vor der Vereinnahmung ihrer selbst.
Auf ihrem dritten Album in gut vier Jahren – angesichts der achtjährigen Schaffenspause zwischen Debüt und Nachfolger fast schon ein Schnellschuss zu nennen – hält sich die Künstlerin erneut und zum Glück an den hehren Grundsatz, sich keinesfalls ohne Not zu wiederholen. Ergo verzichtet Madeleine Peyroux jetzt auf ihre hoch gelobten Cover-Versionen namhafter Kollegen und singt sich schwer beseelt durch eigenes, bald sicherlich ebenso verehrtes Song-Material. „Für mich“, sagt sie, „war das wirklich eine ganz neue Erfahrung. Es war beinahe so, als nähme ich erst jetzt mein wirklich erstes, eigenes Album auf.“ Larry Klein sei dabei der erste gewesen, der jemals zu ihr gesagt habe, „lass uns jeden Song für dieses Album selbst schreiben – am besten tust du es ganz allein. Für mich war das nicht bloß das Ende der Suche nach zweifelhaften Ereignissen, sondern eher wie der Moment, in dem du hinter all die Dinge zu schauen beginnst; der Moment eben, wenn der Regen aufhört und die Sonne sich wieder heraus traut.“
Bilderreich und wie nach dem genialischen Drehbuch eines Independent Road Movie entwirft Peyroux auf „Bare Bones“ höchst persönliche, manchmal auch erkennbar autobiographisch geprägte Texte, die mitunter eine überraschende Leichtigkeit demonstrieren, welche von einer doch offenbar tief in der Melancholie verwurzelten Artistin niemand so unbedingt erwartet hätte. „Ich weiß halt inzwischen sehr genau“, erläutert Madeleine Peyroux ihr famoses Werk, „dass es kein Drama ohne die Komödie geben kann. Sie brauchen einander, damit sie echt und vollständig sind. Also versuche ich, in meinen Liedern die raffinierte Hochzeit der Gegensätzlichkeiten zu vollziehen, von fröhlich und traurig, tragisch und komisch oder auch Kummer und Erneuerung.“
Madeleine Peyroux verbindet hier noch zwei weitere Welten: „Bare Bones“ ist auch die Zusammenkunft höchst moderner, inhaltlicher Ansätze mit dem zuweilen fast nostalgisch anmutenden Sound längst versunkener Jazz-Zeitalter. Wobei sich beide manchmal auch auf halber Strecke treffen, etwa wenn, wie im Titelstück „Bare Bones“, Komponist und Mitmusiker Walter Becker den typischen Sound seiner Formation Steely Dan reaktiviert.
Kein Song dieses herrlichen Albums hat mehr als fünf Takes im Studio gebraucht, viele sind mit nur einem ausgekommen. Fast so, wie dereinst die Großen des Jazz in Rudy van Gelders Studios. Wenn sie den hierbei erreichten Sound beschreiben soll, hält Madeleine Peyroux für Sekunden inne. „Der Sound und die Texte“, sagt sie dann irgendwann, „sind beide sehr ehrlich. Wir erforschen mit diesem Album manchmal beinahe die Stille, die entspannte Atmosphäre, auch weil wir uns ganz bewusst von all den Maßstäben entfernen, die Popmusik sonst so bestimmen.“
Mit „Bare Bones“ ist Madeleine Peyroux – fernab aller Verdächtigungen, die Norah Jones für Profi-Bügler sein zu können oder zu wollen – endgültig zur Hoffnung für ein Genre geworden, das definitiv keine selbstverliebten Solisten mehr braucht. Gönnen wir ihr also das Schlusswort dieses Textes: „Ich war umgeben von wundervollen Sounds, ehrlichen Musikern, wirklich originärem Musikertum; Für mich klingt das Ergebnis jetzt ganz und gar nach Musik.“ Und doch noch mal wir: Recht hat sie.