Teenystar und Bravo-Girl. Die erfolgreichste deutsche Pop-Sängerin der 70er. Ikone der Schwulenbewegung. Hausbesetzerin in High-Heels. Musical-Sängerin. TV-Moderatorin. Buchautorin. Sintezza und Aktivistin. Jazzsängerin. Liebling des Feuilletons. Gut gepflegter Kult.
Mit ihren Top−10-Singles „Fremder Mann“, „Er ist nicht wie du, „Jeder Weg hat mal ein Ende“, „Er gehört zu mir“ „Lieder der Nacht“ und „Marleen“ sang sich Marianne Rosenberg in die deutsche Popgeschichte der 70er.
Niemand ist so lang in der deutschen Musikszene präsent geblieben wie sie. So oft sie sich immer wieder neu erfunden hat – eines war Marianne Rosenberg immer: Berlinerin, wie Marlene Dietrich.
Man kann darüber diskutieren, ob ihre Musik Schlager ist oder Chanson oder Pop oder die deutsche Version des Philadelphia-Sounds, des Schmuse-Souls von Barry White.
Rosenbergs Autobiografie „Kokolores“ (2006, List Verlag, München) beginnt mit einer Szene, in der sie als kleines Mädchen mitten in der Nacht auf einem Tisch in einer Berliner Kneipe singt. Ihr Vater möchte es, aus Sehnsucht nach der Stimme seiner Mutter, die immer auf Festen gesungen hat, deren Lieder er Marianne beigebracht hat. Er hat zu Hause angerufen. Ihre Mutter ein Taxi bestellt, das die Fünfjährige durch die Nacht zur Kneipe fährt. „Sing, mein Mädel“.
Marianne nimmt es hin wie die tätowierte Nummer auf dem Arm ihres Vaters. In der Schule wird sie als „dreckige Zigeunerin“ beschimpft. Sie möchte unsichtbar sein in den ärmlichen Verhältnissen, eisern hält die Großfamilie zusammen, bis die Mauer sie 1961 auseinander reißt.
1969 nimmt die Vierzehnjährige an einem Talentwettbewerb teil, es wird der Startschuss ihrer Karriere. Marianne Rosenberg gewinnt und bekommt einen Plattenvertrag. Die Schlager-Branche der späten 1960er nimmt sie in die Mangel. Marianne bekommt Benimmunterricht und Sprachunterricht, wird auf Diät gesetzt, muss mit einem Buch auf dem Kopf herumlaufen, um Haltung zu bewahren.
In den Hansa-Studios am Potsdamer Platz (berühmt durch spätere Sessions von David Bowie, Iggy Pop, Depeche Mode oder U2), nimmt das unsichere Mädchen mit den dunklen Augen seine erste Single auf „Mr Paul McCartney“ – echte Beatles-Fans können 1969 über das naive Liedchen nur lachen.
Als ihre Karriere abhebt, darf keiner wissen, dass sie Sintezza und die Tochter eines Auschwitz-Überlebenden ist. Kein deutscher Musikliebhaber soll Schuldgefühle beim Namen Marianne Rosenberg empfinden. Ihr Vater, der später ihr Manager wird, schärft Marianne ein zu sagen, dass sie aus Ungarn komme, wenn Journalisten fragen, warum sie und speziell ihr Vater so dunkel aussehen.
Die Chefs der Plattenfirma bestimmen ihre Garderobe und Frisur, schicken sie zu Schlagerwettbewerben und auf Ochsentour durch halbseidene Diskotheken in der deutschen Provinz.
Marianne Rosenberg tritt in der Hitparade auf, sitzt danach am Bühnenrand in Minirock und Stiefelchen und beobachtet die anderen. „Das Gefühl, nicht dazuzugehören, zieht sich durch mein Leben. Ich blieb immer fremd“, sagte Rosenberg 2007 im Interview mit der „Zeit“.
1973 nimmt Rosenberg den Schlager „Fremder Mann“ auf: „Fremder Mann, schau mich an, du bist schuld daran…“. Ihr Produzent „testet“ den noch unveröffentlichten Song in einem Schwulenclub, wo er wie eine Bombe einschlägt. Marianne wird zur Gay-Ikone. Eine Verlobung 1975 mit Ilja Richter wird totgeschwiegen. Der Filmemacher Rosa von Praunheim dreht 1976 einen Kurzfilm über sie.
30jährige Männer schreiben ihre Fantasien in die Songs, die sie singt, erfinden Marianne Rosenberg. Viele ihrer Songs aus der kompositorischen Feder Joachim Heiders mit Texten von Christian Heilburg (alias Gregor Rottschalk) beschwören das schüchterne Mädchen, das den angebeteten Jungen nicht bekommt und traurig ist: „Liebe kann so weh tun“, „Wären Tränen aus Gold“, „Nein, weinen werd ich nicht“ – eine Rolle, die Rosenberg Ende der 1970er zum Hals heraus hängt.
Mit 25 habe sie mit dem Schlager-Stempel gehadert, sagte Marianne Rosenberg 2008 im Interview mit der „Welt“. Heute bereue sie nichts. „Ich habe ja den ganzen Unsinn, den ich gesungen habe, geglaubt. Wenn jemand das Recht hatte, solche Texte zu singen, dann diese junge Frau, die ich damals war.“
Auf ihrem Album „War es wirklich gestern?“ versucht Rosenberg 1977, mal textlich etwas anderes zu bringen. Sie gibt einem Mann den Laufpass, singt selbstbewusst über Medikamentenmissbrauch oder Flugangst. Das Album floppt.
Warum hat sie später diverse Blondie-Cover im Repertoire? Warum hat später Rio Reiser für sie geschrieben? Warum fand sie in Mousse T einen Seelenverwandten ihres Disco-Ideals? Weil Marianne Rosenberg unbeirrt ihren Weg weiterging, dem deutschen Mainstream immer eine Nasenlänge voraus.