Die Musik von MarieMarie regnet förmlich auf ihre Hörer nieder, Ton für Ton, wie Regentropfen für Regentropfen. Keiner gleicht dem anderen. Doch zusammen bilden sie eine unverkennbare Einheit. Natürliche Stimmen und analoge Instrumente, die klanglich beinahe bis zur Unkenntlichkeit manipuliert werden, verschmelzen auf ihrem neuen Album mit elektronischen Beats. Was bleibt, ist ein echter Aufschrei, ein echtes Leiden. Etwa wenn eine klang-modulierte Gitarre in den Sirenengesang von MarieMarie regelrecht hinein röchelt, schreit, weint – wie in „Do It Like A Ninja“. Oder wenn ein sich geradezu aufbäumender Rhythmus in die stoische Repetition einer Klavierfigur hineinwirkt, als wolle er die erlöschende Liebe wiederbeleben, die MarieMarie zum Beispiel in „The Chorus Is Dead“ besingt. Mit einem Text, der hier bildhaft das Ende einer Liebe und ihr schmerzendes Nachbeben in Szene setzt, während der vermeintlich wiederbelebende Rhythmus immer mehr der Trommelbegleitung einer Hinrichtung gleicht.
Dramaturgisch geschickt entwickelt MarieMarie auf solche Weise eine Musik, die einem Soundtrack gleicht, der keinen Film mehr braucht, denn die Bilder werden im Kopf der Hörer evoziert: flüchtig, nicht greifbar, aber stark in ihrer Wirkung. Und so verhält es sich auch mit Maries Musik. Sie ist intim und bleibt zugleich unnahbar. Es ist eine Musik, die zwar mitten im pulsierenden Leben scheint, die Protagonistin aber immer mit einem Gefühl der Einsamkeit zurücklässt.
Regen fällt, wie auch die Protagonisten des Albums, die fallen, ohne je den Boden zu berühren. Das ist nicht zuletzt den sehr fein ausgearbeiteten Arrangements zu danken, deren Opulenz in den zahlreichen kleinen Akzenten begründet ist, die so manches Instrument und so manche Stimme im Chor nur ganz kurz aufblitzen lässt. Stimmen übrigens, die den Gesang als weiteres Instrument in einem großen Orchester verwenden. Wie weit sie dieses Spiel mit dem Material beherrscht, zeigt sich auch in „Machine“ und „Machine.My Inner Echo“: zwei Mal derselbe Song, in seinem Echo jedoch entleert, geradezu obszön einfach, berührt MarieMarie mit einer gebrochenen Intimität.
Formvollendet schließt MarieMarie ihr neues Album dann auch mit großem Orchester, dessen Streicher die Hörer mit einem intonierten Happy End zu entlassen scheinen. Als wäre der Regen aus dem Eröffnungssong längst schon zum beruhigten Fluss gewachsen, aus welchem die Protagonistin des Albums endlich die Kraft gewinnt, loszulassen. Doch die Rückbesinnung auf eine kleine Klavier-Figur, ein Schumann Zitat, in jenem Finale deutet bereits eine neue Gefahr des Rückfalls an, so wie ja auch das gesamte Album die Liebe immer wieder auch als Fluch verhandelt, von welchem sich die Liebende vergebens zu lösen versucht. Raffiniert weiß darum auch die Musik von den Brüchen und Dissonanzen zu erzählen, die in ihren verführerischen und umschmeichelnden Harmonien schlummern. Denen man sich dann aber nicht aus einer enttäuschten Harmoniesucht hingibt, sondern aus einem Gefallen an jenen schrägen Tönen, die eben nicht nur die Wirklichkeit der Harmonien in Frage stellen, sondern vielmehr sogar eine andere, nicht minder erstrebenswerte Wirklichkeit aufzeigen, die an Schönheit und Erhabenheit kaum noch zu überbieten ist. Solche Schönheit wäre dann jener Fluss am Ende des Albums, „Future“ in welchem sich bereits die nächsten verdunkelnden Wolken spiegeln, die bald schon in ihn hineinregnen werden.
So wie das Album quasi aus dem Nichts in „Favorite Rain“ erwächst, endet es darin, entführt uns ins Ungewisse. Dazwischen erleben wir eine facettenreiche, fast schizophrene Klanggeschichte zwischen Down-Beat Pop, R&B, Elektro und Kunstmusik. In einer Zeit in der nur Tracks und Klicks zählen, ist dies ein kunstvoll gemachtes Album, das es lohnt vom ersten bis zum letzten Song durchzuhören.