The Art of Doing Nothing – 7. Juni 2013
Nachdem Take That im Jahr 2011 ihre gewaltige “Progress”-Tour beendet hatten, die sie rund um den Globus geführt und ihnen dabei so einige Rekorde beschert hatte, fassten sie gemeinsam den Entschluss, sich eine Auszeit von einem Jahr zu gönnen. Mark Owen hatte gemischte Gefühle beim Gedanken an dieses nächste Jahr, denn so sehr er es liebt, viel Zeit daheim mit der Familie zu verbringen, so schwierig fällt es ihm, gar nichts zu tun – nichts am Laufen zu haben, zu organisieren, auf die Beine zu stellen. Anders gesagt: Dieser Mann braucht immer zumindest einen Plan.
Allerdings hatte er sich nun ja für diese Pause entschlossen. Er wollte tatsächlich nichts Neues angehen, schon gar nicht überstürzt. Und so begab er sich ans andere Ende seines Gartens, wo eine kreisrunde Bank steht. Er setzte sich hin und ließ sich ein paar Ideen durch den Kopf gehen. Zunächst fertigte er ein paar Skizzen für einen Animationsstreifen an; dann versuchte er sich mit Farben, Pinsel und Leinwand, nahm schließlich ein paar Melodiefetzen auf. Derweil dachte er darüber nach, was es eigentlich bedeutet, die Vierzig hinter sich zu lassen. Er versuchte also, alles mal ganz offen und unvoreingenommen zu betrachten; sein Geist sollte freigeräumt werden, nicht zugeschüttet mit Terminen, hoch gesteckten Zielen, oder noch schlimmer: unnötigen Sorgen.
“Ich saß dann eine ganze Weile auf dieser Bank, und zwar ganz allein”, berichtet er schmunzelnd. “Das war eine Party nur für mich – nur dann kamen die Leute irgendwann doch noch vorbei!”
Die ersten, die kamen, waren alte musikalische Verbündete: Ben Mark und Jamie Norton. Owen wiegelte zunächst ab, sagte, er sei sich gar nicht sicher, ob er überhaupt arbeiten wolle; allerdings sei gegen ein bisschen gemeinsam verbrachte Zeit und ein wenig Ideenaustausch natürlich nichts einzuwenden… Die beiden Gäste sahen das ähnlich, und so wurde aus diesem Ideenaustausch schließlich doch ein richtiges Konzept – mit folgendem Titel: The Art of Doing Nothing. Die Kunst des Nichtstuns. Es ging um einen kreativen Prozess, bei dem nichts unter Druck geschieht. Nur der jeweilige Moment entscheidet, indem man sich spontan auf die jeweilige Situationen einlässt. Aus Momenten wurden erste Songs: unfertige Demos, kleine Schnipsel, nichts Konkretes, Definitives, aber eben Richtungen, Anflüge. „Besonders viel oder intensiv darüber nachgedacht haben wir nicht, um ehrlich zu sein“, berichtet Mark. Und das war Neuland für ihn: Früher hätte Mark seine Ideen genommen und fast schon obsessiv daran herumgefeilt, wegen kleiner Details kein Auge zugetan. Doch dieses Mal ließ er die Dinge einfach geschehen.
Irgendwoher kam dann der Vorschlag, die befreundeten Produzenten Charlie Russell und Brad Spence ins Boot zu holen, da ihr Ansatz genau dazu passen würde. Also kamen die Demos in die Post, dazu ein paar Anmerkungen. "Einfach mal schauen, was zurückkommt“, so Mark. "Sie sollten ohne unseren kontrollierenden Blick einfach mal machen und ihren Senf dazugeben.“ Die Ergebnisse klangen fantastisch, worauf Mark und Jamie und Ben wiederum ein paar Schichten hinzufügten…
Aber die Party war noch immer keine geschlossene Gesellschaft: Ein Freund erzählte von einer Sängerin, Ren Harvieu, die er im Fernsehen gesehen hatte. Mark hörte sich ein paar Sachen an und war auch sofort überzeugt: Also E-Mail, “Hallo, also…”, Zusage, und schon stand Ren in Marks Haus, genauer gesagt in seinem eigenen Studio: The Rabbit Hutch, am anderen Ende des Gartens gelegen. Nahm ihre Gesangsspur auf und war schon wieder aus der Tür. “Ihre Energie war toll, sie war der Hammer”, erinnert sich Mark. Als nächster kam Jake Emlyn. Mark erinnerte sich, dass Robbie ihm auf Tour ein paar YouTube-Clips von diesem unglaublich guten jungen Rapper ohne Vertrag gezeigt hatte. Ein wenig Recherche, und schon stand auch Jake bei Mark in der Tür, kaum zu stoppen, den Mund quasi schon geöffnet, um die ersten Raps ins Mikrofon abzufeuern. “Die Worte sprudeln richtig aus ihm heraus; ein Wahnsinnstyp, so charismatisch und lebendig.” So entstanden schon bald die Songs “S.A.D.” beziehungsweise “Heaven’s Falling” mit diesen Gästen.
Mark hat einen recht visuellen Ansatz: “Ich schreibe häufig einen Song und habe sofort das Video dazu im Kopf, noch während ich schreibe. Das wiederum kann echt nerven, wenn man dann irgendwann tatsächlich ein Video dazu dreht, weil ich immer sage: ‘Oh, Mann, nicht so, ihr habt überhaupt nicht verstanden, was ich im Sinn hatte.’” Schon aus diesem Grund musste auch das Artwork von The Art of Doing Nothing zwangsläufig ein interessantes Thema werden. Die Illustratorin Katie Halil (whatkatiedrew), eine alte Freundin von Mark, schaute während dieser Wochen und Monate ebenfalls einfach so bei ihm vorbei: Mark erklärte ihr die Bilder, die ihm vorschwebten, und so war sie schon bald ein weiterer Partygast und steuerte ihre intelligenten Illustrationen bei. Die Dinge nahmen immer konkretere Formen an.
“Das Wichtigste an dem ganzen Prozess war, das wirklich alles offen und undefiniert war”, erzählt Mark weiterhin. “Zwischenzeitlich sollten noch nicht einmal richtige Songs daraus werden, sondern Animationen. Und dann gab’s auch eine Phase, in der die Platte ganz ohne Gesang von mir auskommen sollte. Aber ich mache nun mal schon seit zwanzig Jahren Musik und ich weiß einfach nichts anderes mit mir anzufangen. Für mich ist die Musik immer beides – mein Hobby und mein Job zugleich. Und es fühlt sich für mich übrigens besser an, wenn ich das Ganze als Projekt bezeichne; der Begriff Soloalbum trifft es nicht mehr so wirklich, wo doch so viele Leute daran mitgewirkt haben. Ich wusste ja vorher gar nicht, wie gut das funktionieren kann; ich dachte immer, wenn man etwas nicht alleine erledigt, fühlt es sich hinterher irgendwie weniger wirklich an.”
Also kein wirkliches Soloalbum, wenn’s nach ihm geht, wobei die Blicke natürlich auf Mark Owen gerichtet sein werden (“Damit kann ich umgehen. Ich sehe das alles inzwischen sehr viel lockerer. Ich weiß, wo ich stehe.”) Stattdessen ist The Art of Doing Nothing ein kollektives Cheers auf spontane Zusammenarbeit, ein Toast auf die Entschleunigung und auf die Philosophie, nach der sich Dinge auch mal entfalten und entwickeln dürfen, anstatt immer übers Knie gebrochen werden zu müssen. Es ist ein Album voller Überraschungen, mit reichlich Tiefgang, vielen verschiedenen Sichtweisen, viel Optimismus und ein paar Lektionen über all unsere so “unglaublich wichtigen und zugleich winzigen Leben.”
Den Anfang nahm dieses “Projekt” auf einer kreisrunden Bank. Ein Kreis entspricht einer Null, einem Nichts. Es ist ein Album aus dem Nichts: Vielleicht sollten wir alle mal tief durchatmen, raus aus der Tretmühle, genau überprüfen, wo wir gerade im Leben stehen – und dann die Dinge einfach geschehen lassen.