“Ihr alle wisst warum wir heute Abend hier sind?” Mit dieser rhetorischen Frage beginnt Dave Mustaine, Enfant Terrible des Heavy Metals, den Abend des 31. März 2010 im Palladium, Hollywood, Kalifornien. Und damit belässt der Gitarrist und Frontmann einer der einflussreichsten Metal-Bands der Welt es auch mit den Ansprachen. Dabei ist Mustaine durchaus ein Mann der vielen- und gerne auch bissigen Worte. Er gilt als der Platzhirsch im Szene-Karussell, streitbar, selbstverliebt und früher nicht selten zugedröhnt. Vielleicht benannten Plattenfirmen ihre Meetingräume und Veranstaltungen deshalb nach ihm. “Rust In Peace” brachte Megadeth zwei Grammy-Nominierungen ein, 1991 für das Album und ein Jahr später die Single “Hangar 18”, die man beide gegen den ewigen Rivalen Metallica, Mustaines erstem Brötchengeber, verlor. Aber das hat Rotschopf Dave entweder vergessen oder doch endlich verwunden. Die Texte der in dieser Nacht gehuldigten und von “Holy Wars… The Punishment Due” bis “Rust In Peace…Polaris” durchgespielten Platte, sind zwar schon 20 Jahre alt, aber mit Themen wie Klimawandel, Atomwaffen, Religionskriegen, Verschwörungstheorien bis hin zu Außerirdischen, Fantasy und Marvel Comic-Helden noch immer brandaktuell. Schlecht für die Welt, gut für Megadeth.
Als “Rust In Peace” als viertes Album der Thrash-Legende 1990 erschien, waren Megadeth plötzlich ganz oben. Die Platte wird fortan als eine der wichtigsten Scheiben des Metal überhaupt verehrt. Der All Music Guide bezeichnete es als die “stärkste musikalische Leistung” der Band, andere als ihre stärkste musikalische Anstrengung. Sieht und hört man sich die jetzt vorliegende “Rust In Peace Live”, eingespielt 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung an, haben beide Recht. Sperriger als die Songs der Folgejahre, arbeitet “Rust In Peace” noch öfter mit ausdauernden Songlängen, komplexer Rhythmik und reichlich, schon dem Progressive angelehnten Instrumentalparts, natürlich mit Megadeths typisch starken Riffs und Melodien, sowie fingerzerfetzenden Soli. Glücklicherweise wusste die Regie, worum es bei dieser Band seit 27 Jahren geht und wartet nicht auf tolle Entertainment-Showeinlagen, sondern zeigt ausgiebig glasklare Close Ups aufs Griffbrett und so jede Menge der atemberaubenden, virtuos perfekten Spieltechnik zum Nacheifern daheim.
Optisch ist sonst wenig zu holen: wahrer Metal ist halt hässlich. Die Hemdärmel hochgekrempelt stehen neben Dave Mustaine an Gitarre und Mikro, Chris Broderick (Gitarre) und – wer hätte das gedacht, nach acht Jahren Zwangspause, sowie ein paar Gerichtsprozessen gegen Compañero Mustaine – Mitbegründer David Ellefson am Bass. Die Sticks dazu schwingt Shawn Drover. Damit ist zwar nur die halbe Original−1990er-Belegschaft am Start, aber die ist mindestens doppelt so nüchtern. Ein kleines Update verschafft zudem die neue “Holy Wars – Reprise”. Den Backvocal Chor der etwas anderen Art geben zwei Roadies zu “Peace Sells”, einem der sechs Bonus Stücke, die man den Fans nach getaner “Rust In Peace”-Tat anschließend noch in die blutenden Ohren schraubt. “In My Darkest Hour” und “Trust” dürfen darunter natürlich nicht fehlen.
“Rust In Peace Live” sind gut 70 Minuten Musik-Kult-Performance post Knast, post Entzug und post jeden Trends. In angestaubter Rockpalast-Manier gibt’s ein paar alternde Herren mit Dauerwellen, viel Schweiß und Mustaines Plauze überm Patronengurt im zuckenden Stroboskoplicht zu sehen, über denen Vic Rattlehead vom Backdrop wacht, das alles in bester Bild und Tonqualität. Es ist der letzte Abend der einmonatigen Jubiläumstour, und das 4000 Leute fassende Palladium, ein Ort, der besser zu einem Debütanten-Ball passen würde, mit seinen riesigen Kronleuchtern und dem 40er Jahre Sahnetorten-Dekor, ist bis zum letzten Platz gesteckt voll mit absolut ergebenen, jede Zeile mitsingenden Fans, die man allerdings geschickt `runtergetunet hat. Zum Schluss gibt’s noch knapp zehn Minuten Sunset-Boulevard Impressionen im Vorfeld der Riesenparty mit Metallern, die aussehen wie Metaller überall auf der Welt und sich auch so benehmen, sowie ein paar Backstage-Einblicke vom Bühnenaufbau, der Garderobe des Meisters und einer kleinen Warmspiel-Session. Mustaine gibt den kumpelhaften Down-To-Earth-Star, freundlich und Crew-nah – was erklären könnte warum das Material so kurz ausgefallen ist – der als geläuterter Wieder-Christ gar kurz vorm Gig die Hände faltet. Ein bisschen kommt “The Osbournes”-Feeling auf, wenn Dave so neben seiner blonden Frau dahertrottet, doch Mustaine hat die Hosen an, das steht fest. “The World Needs A Hero” hieß ein Megadeth Album. Und irgendwer muss den Job ja machen.