Eigentlich hätte es Mike Oldfield im Jahr 1975 blendend gehen müssen. Oberflächlich betrachtet lief alles super. Aber ein Blick hinter die Fassade zeigte recht schnell, dass es da auch Probleme gab…Zwei Jahre zuvor hatte sich sein Debütalbum “Tubular Bells” vollkommen überraschend als internationaler Mega-Hit und Multimillionen-Seller entpuppt, und der Nachfolger “Hergest Ridge” verkaufte sich auch bestens, obwohl die Kritiker kaum ein gutes Haar an diesem Album gelassen hatten, was sich Mike wiederum sehr zur Herzen genommen hatte.
Noch experimenteller, eklektischer und scheuklappenfreier denn je – man denke z.B. an die afrikanischen Percussion-Einlagen von Jabula, das Uilleann-Pipes-Spiel von Paddy Moloney von The Chieftains usw. –, hatte Mike sein drittes Studioalbum “Ommadawn” in seinem neuen Homestudio an der Grenze zu Wales aufgenommen, was jedoch alles andere als ein leichtes Unterfangen gewesen war: Technische Probleme hatte es gegeben, dazu persönliche Probleme mit den Auflagen und Wünschen der Musikindustrie, nicht zu vergessen die Schattenseiten ungewollten Ruhms, und dann war auch noch seine Mutter Maureen ganz plötzlich verstorben…
Ein zutiefst aufrichtiges, persönliches und zugleich optimistisches Werk, entpuppte sich auch “Ommadawn” als Verkaufsschlager; dazu besiegelte die Veröffentlichung jenes Dreigespann von Alben, die Mike noch immer am meisten bedeuten, weil sie gewissermaßen die Essenz seines Schaffens verkörpern – eine Meinung, die auch viele seiner Fans mit ihm teilen.
Im Jahr 2012 war er dann hocherfreut und sofort dabei, als er darum gebeten wurde, ein paar seiner persönlichen Lieblingskompositionen für die von Danny Boyle produzierte Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in London neu zu orchestrieren. Während die gewaltige Feier weltweit für ihren Sound und die atemberaubenden Visuals gefeiert wurde, war es auch für Mike ein wichtiger Erfolg: “Ein absoluter Höhepunkt war die Olympia-Zeremonie. Ich hatte danach endlich die Gewissheit, dass die Musik, die ich in den Siebzigern komponiert hatte, etwas taugte – und daher war auch klar, dass ich nur in der Richtung weitermachen konnte. Aber zugleich ging vieles abwärts… schließlich hat das Leben immer diese Angewohnheit, dass sich Gutes und Schlechtes die Waage halten.”
Tatsächlich musste er, wie vier Jahrzehnte davor, eine ganze Reihe von persönlichen Problemen wegstecken: “Ja, die vergangenen vier Jahre waren wahnsinnig hart für mich. Ein langer Rechtsstreit liegt hinter mir. Mein Sohn Dougal ist gestorben (Anm.: eines natürlichen Todes; er war 33 Jahre alt), und auch mein Vater ist gestorben.” Doch wie zuvor ist aus diesen persönlichen Tragödien und Rückschlägen auch etwas Schönes entstanden: Das neue Album “Return To Ommadawn”.
“Wenn man sich mal die Sozialen Netzwerke anschaut, dann stehen die ersten drei Alben auch vierzig Jahre danach noch immer ganz oben auf der Favoritenliste – wobei ‘Ommadawn’ sogar noch vor ‘Tubular Bells’ liegt. Ich glaube, es liegt daran, dass es eine unverfälschte Aufnahme ist und nicht bloß eine Produktion: Man hört da wirklich Hände, Finger, Fingernägel. Und ich hatte damit kein festes Ziel, keine Agenda. Ich wollte damit nichts Bestimmtes erreichen oder irgendwen zufriedenstellen. Es ist einfach nur spontan so entstanden – eine Aufnahme voller Leben.”
“Das ‘Ommadawn’-Original war dermaßen erfolgreich, dass danach viel Druck auf mich ausgeübt wurde. Ich sollte unbedingt nachlegen, noch so etwas abliefern, und so machte ich schließlich Musik, die gar nicht wirklich meinem Naturell entsprach. Wie aufgezwungen war das. Und ich hab mich da auch wirklich verrannt. ‘Return To Ommadawn’ ist daher tatsächlich so eine Rückkehr: Eine Rückkehr zu mir selbst, zu meinem wirklichen Wesen.”
“Ist schon ewig her, dass ich ein Album gemacht habe, das größtenteils akustisch entstanden ist und auf Saiteninstrumenten basiert. Ich beherrsche all diese Instrumente nach wie vor, also dachte ich mir: Warum mache ich nicht noch so etwas in der Art? Ein Album, das in eine ähnliche Richtung geht wie ‘Ommadawn’? Ich warf diese Idee ganz offen in die Runde, und allein der Titel sorgte für Furore auf den Fan-Seiten im Netz. Die Nachfrage war schon mal da, und das half dabei, dass aus dieser vagen Idee eine wirklich konkrete Sache wurde, auf die ich dann auch richtig Lust hatte.”
“Als erstes habe ich mir dafür eine Reihe der Originalinstrumente, mit denen ich ‘Ommadawn’ eingespielt hatte, angeschafft: Los ging’s dabei mit der Bodhrán, die ich in den Siebzigern zu spielen gelernt habe… und dann kam die Mandoline. Dann bekam ich eine wunderbare, in Großbritannien von Hand angefertigte Akustikgitarre, die sehr präsent ist auf diesem Album, und dann noch eine Flamenco-Gitarre. Während auf ‘Ommadawn’ eine Blockflöte zum Einsatz kam, die ich allerdings nicht spielen kann, setzte ich nun auf Tin Whistles in unterschiedlichen Tonarten.
Auf dem Originalalbum hab ich eine Gibson SG E-Gitarre gespielt, legte mir davon also eine neue zu, aber nachdem ich unzählige Plug-Ins ausprobiert und trotzdem immer nur ungefähr den damaligen Sound getroffen hatte, spielte ich sie schließlich einfach live durch einen Verstärker von Mesa Boogie, was der Sache schon viel näher kam. Dazu hab ich auch den Akustikbass eingespielt und eine Ukulele, worauf ich sehr stehe, und auch afrikanische Drums und eine keltische Harfe habe ich gespielt. Mir fällt es extrem leicht, diese Dinge zu spielen – wobei ich sie natürlich nicht grandios beherrsche, aber doch gut genug.”
"Da ich ja auf den Bahamas lebe, konnte ich in Sachen Tasteninstrumente leider kein echtes Mellotron auftreiben, diese Riesendinger, und auch keinen Solina String-Synthesizer – und genauso wenig irgendwelche Orgeln aus den Siebzigern, Vox Continental, Hammond oder Farfisa Professional. Aber zum Glück haben ein paar findige Leute davon inzwischen virtuelle Versionen entwickelt, weshalb es das alles nun auch als Plug-Ins gibt, ja sogar das alte Clavioline – das zentrale Instrument von “Telstar” von The Tornados, was eine der ersten Singles war, die ich mir überhaupt gekauft habe. Schließlich war mir noch wichtig, dass ein echtes Glockenspiel auf dem Album zu hören ist."
“Ich kann mit diesen elektronischen Click-Tracks nichts anfangen, weshalb ich das Grundgerüst und das Tempo mit so einem alten Metronom festlege, so einem zum Aufziehen, das ich dann durch ein Mikrofon aufgenommen habe. Bei manchen Passagen wollte ich gar keine Beat-Vorgabe, also habe ich die Sachen ganz frei eingespielt, und natürlich schwankt das Tempo da auch mal ein wenig. Es gibt auf dem Album kein Sequencing. Was jedoch die Arbeit mit Festplatten anstelle von klassischem Tape angeht, ist die Technik da erst seit drei oder vier Jahren auf dem nötigen Stand – jetzt ist sie verlässlich und klingt extrem gut. Ich habe in meinem Studio einen riesigen Screen mit einer 4k-Auflösung, was bedeutet, dass ich ein ganzes Stück als geschlossene Einheit auf den Schirm bringen kann: Ich habe dann das Gesamtbild vor mir und nicht bloß irgendwelche Schnipsel.”
“Wenn man ein Album macht, nutzt man schließlich alles, was einem an Werkzeugen und Mitteln zur Verfügung steht. Und ich fand, dass ein paar kleine Details vom Originalalbum wieder auftauchen sollten, also nahm ich ein paar Gesangspassagen vom ersten ‘Ommadawn’-Album, hab sie dann in Stücke zerschnitten, sie mit Soundeffekten bearbeitet, sie vor- und rückwärts gespielt und dann wieder neu zusammengebaut: Nach und nach entstand so im Verlauf eines Nachmittags eine neue Melodie, die etwas echt Abgefahrenes hatte.”
“Selbst das Artwork der LP ergab sich auf wunderschöne Weise wie von selbst: Ich hatte mal wieder viel zu viele Folgen von ‘Game of Thrones’ am Stück geschaut und der Plattenfirma deshalb so ein episches Cover im Schnee als erste Idee vorgeschlagen. Daraufhin haben sie ein tolles Cover gemacht. Das Album erscheint richtig klassisch auf Vinyl: Mit einem großen Sleeve, das man rausnimmt, und man kann das Auflegen richtig zelebrieren – wie bei einem generalüberholten Rolls Royce-Oldtimer, der mit seinem Armaturenbrett aus Walnussholz aus der Garage kommt und nach Öl riecht. Von den selbstgemachten Metronom-Aufnahmen bis zum Schluss ist alles an diesem Album handgemacht.”
“Die Art von Musik, das bin wirklich ich – viel mehr als die meisten Sachen, die danach kamen. Weil ich einfach viel zu sehr darauf bedacht war, mich derjenigen Musik anzupassen, die mich umgab. Ich nehme mich inzwischen nicht mehr so ernst wie früher, und die Aufnahmen waren eine extrem entspannte Angelegenheit, bei der ich viel Spaß hatte.”
“Ich habe wirklich großes Glück, dass ich meine Gefühle in der Musik zum Ausdruck bringen kann. Und wir reden hier nicht von irgendeinem Typen, der einfach die Beine baumeln lässt, während er seine Gitarre anschlägt und überglücklich drauflos musiziert und das Leben besingt. Das hier sind emotional extrem aufgeladene Songs. Die eigene Lebenssituation kann dazu beitragen, dass die eigene Musik einen ganz anderen emotionalen Tiefgang bekommt und viel mehr Gewicht – so wie damals auch in den Siebzigern. Und dieses Mal ist etwas ganz Ähnliches passiert, es war wie Benzin, das man ins kreative Feuer gießt. Aber hat schon mal jemand von einem Menschen gehört, der glücklich und zufrieden ist – und aus der Position etwas wirklich Großes geschaffen hätte? Das funktioniert einfach nicht. Man muss leiden dafür. Und ich habe das Glück, diese Sachen artikulieren und ausdrücken zu können, anstatt sie in mich hineinzufressen.”
Als Sohn eines Arztes und einer Krankenschwester im englischen Reading geboren, wuchs Mike Oldfield mit seinen zwei größeren Geschwistern Terry und Sally auf und entdeckte schon früh die Musik für sich. Mit 13 zog dann nicht nur seine Familie nach Harold Wood in Essex, sondern auch er ließ seine von den Shadows inspirierte Musik hinter sich und zog geschmacklich weiter zu britischen Gitarrengrößen, nachdem seine Schwester ihn mit Folk-Künstlern vertraut gemacht hatte, “was damals ja schwer angesagt war. Ich habe zu der Zeit viel gesungen und hatte verschiedene Duos in Reading: Wir spielten zum Beispiel irische Rebellionslieder, und beim Refrain sangen dann alle mit – das war großartig.”
Obwohl er anfangs große Probleme mit seinem Lampenfieber hatte – O-Ton: “Wenn ich alleine in Folk-Clubs auftrat, zitterten mir die Knie, und zwar so schlimm, so heftig, dass die Gitarre auf und ab hüpfte und ich mit den Füßen gar nicht den Takt klopfen konnte.” –, entschied er sich für eine Musikerkarriere und knüpfte durch eine alte Freundin seiner Schwester, Marianne Faithfull nämlich, bald auch Kontakte zu deren Freund Mick Jagger: “Unglaublich charmant war der. Ein wirklich toller Mann.”
Mit 15 ging Mike von der Schule, nahm zunächst ein Album mit seiner Schwester auf, landete dann mit seinem Bruder Terry in der Rockband Barefoot, um im März 1970 schließlich seine Bestimmung zu finden: Er wurde Mitglied von The Whole World, der neuen Band von Kevin Ayers (Soft Machine), wo er Bass spielte (was neu war für Mike) – und über ein anderes Bandmitglied das “A Rainbow In Curved Air”-Album von Terry Riley kennen lernte, womit sich alles ändern sollte: Ab sofort arbeitete Mike an seinen eigenen Ideen… Gleichermaßen von Bach, Sibelius und dem Jazz-Rock-Ensemble Centipede beeinflusst, begann er damit, seine Kompositionen auf einem notdürftig zusammengebauten Zweispur-Recorder aufzunehmen. Dazu entwickelte er sogar sein eigenes Notensystem, um die Kompositionen festzuhalten…
Das Schicksal meinte es gut mit ihm, als es Mike ins legendäre Manor Studio in der Nähe von Oxford verschlug: Freunde des jungen Richard Branson, dem der Virgin-Plattenladen und der dazugehörige Mailorder gehörten, bauten das alte Gutshaus gerade zu einem Studio um, und als sie seine Musik hörten, sollte Mike schließlich der erste Künstler sein, der ein Album für das Label Virgin Records machen durfte. Besagtes Album, das 1973 zunächst von den Kritikern gefeiert wurde und sich als echter Untergrund-Sales-Hit entpuppte, bis es auch im Mainstream ankommen – und sich bis heute 17 Millionen Mal verkaufen sollte – und für den Soundtrack des Films “Der Exorzist” eingesetzt werden sollte, war das mit einem Grammy ausgezeichnete “Tubular Bells”.
Zusammen mit den Alben “Hergest Ridge” und “Ommadawn”, die allesamt innerhalb von nur drei Jahren erschienen sollten, hatte Mike ein zeitloses Dreiergespann vorgelegt, drei Klassiker, die Rock und Klassik miteinander kombinierten und dabei auch, obwohl es diese Begriffe damals noch gar nicht gab, Elemente von Ambient, New Age und Weltmusik vorwegnahmen. Diese drei Alben sind es denn auch, die Mike noch immer als seine wichtigsten, ehrlichsten musikalischen Statements bezeichnet – und an “Tubular Bells” hat er ja bekanntlich schon zwei Mal angeknüpft, in Form von Nachfolgern und Neuaufnahmen.
Neben seiner erfolgreichen Karriere als Solo- bzw. Albumkünstler hat er auch immer wieder als Soundtrack-Komponist Meilensteine abgeliefert, so z.B. für den mit gleich drei Oscars ausgezeichneten Klassiker “The Killing Fields” aus dem Jahr 1984. Auch zeitlose Hits wie seine Weihnachtssingle “In Dulci Jubilo” und “Moonlight Shadow” sind unvergessen, ganz zu schweigen von weiteren Hit-Alben wie zum Beispiel “Man On The Rocks”. Im Jahr 2008 veröffentlichte Mike Oldfield schließlich mit dem erfolgreichen “Music Of The Spheres” sein erstes Klassik-Album; dazu hat er auch für Computer-/Virtual-Reality-Spiele etliche Kompositionen beigesteuert.