„The Long And Dangerous Sea“ (VÖ: 16.04.2010)
Sie haben die Stadt Amsterdam binnen kürzester Zeit auf die internationale Rock-Landkarte befördert, haben dem Rest der Welt gezeigt, wie man Britpop auf Holländisch buchstabiert. Gleich ihre ersten Auftritte fanden im Vorprogramm von Paul Weller statt; dann entdeckte sie Karl Lagerfeld, der ihnen dazu verhalf, vom Esquire Magazin mal eben als „Best Dressed Band“ abgefeiert zu werden, und inzwischen sind sie auch hierzulande eine feste Größe, die stets in einem Atemzug mit Bands wie Interpol oder Editors genannt wird. Die Rede ist natürlich von Moke, den Überflieger-Holländern schlechthin. „Es ist wirklich der Hammer, was seit diesen ersten Auftritten mit Paul Weller alles passiert ist“, meint auch Felix Maginn, der Sänger von Moke. „Dabei darf man nicht vergessen, dass wir vor diesen Gigs überhaupt erst eine Hand voll Konzerte gegeben hatten. Auch unser Debütalbum war damals noch längst nicht im Kasten. Na ja, und dann standen wir plötzlich in London auf der Bühne, und seither ging alles Schlag auf Schlag.“ Allerdings – um das zu erkennen, genügt ein flüchtiger Blick in die deutsche Medienlandschaft: Ihr Debüt „Shorland“ wurde in 40 Artikeln und gut 100 Rezensionen abgefeiert, die Videos landeten bei MTV auf der Playliste, und RTL2 berichtete über Moke gleich zweimal in den News. Doch damit nicht genug: Während der „Modfather“ die Jungs im Anschluss an die Auftritte in London kurzerhand mit auf Europatournee nahm, spielten sie bei uns auch im Vorprogramm von Amy Macdonald, Keane und Razorlight.
Dieses Jahr geht die niederländische Erfolgsgeschichte in die nächste Runde, denn Moke melden sich mit ihrem zweiten Album zurück: „The Long And Dangerous Sea“. Sie haben die Unterstützung eines Orchesters eingeholt und klingen noch viel satter als zuvor („Ocean Rain“ von Echo & The Bunnymen war ein recht seichtes Gewässer im Vergleich, wenn man das so sagen darf). Sie haben ihren Landsmann Anton Corbijn dafür gewinnen können, das Coverfoto zu schießen. Und, wichtiger noch: Sie haben mit „Love My Life“ eine erste Single aufgenommen, die förmlich danach schreit, in Stadien gespielt zu werden. Denn genau die dürften sie ab sofort locker füllen.
Überhaupt zeichnet sich die Entwicklung von Moke dadurch aus, dass ihnen Dinge sehr schnell zu klein werden: Nachdem sie dafür auserkoren wurden, den Soundtrack für die Übertragungen der Champions League im holländischen Fernsehen zu liefern, waren die Amsterdamer Clubs mit einem Mal zu klein. Nachdem sie Dauergäste in den größten Talkshows geworden waren, reichte auch Holland nicht mehr aus. Und nachdem ihnen Karl Lagerfeld den bereits erwähnten coolen Look verpasst hatte, war selbst der alte Kleiderschrank zu klein geworden, wie Maginn zu berichten weiß: „Da wir vier Mal pro Jahr diverse Teile aus der neuesten Kollektion bekommen, musste ich sogar schon mein altes Gästezimmer in eine Art begehbaren Wandschrank umfunktionieren.“ Wenn einem daheim alles zu klein wird, muss man die Heimat irgendwann verlassen – daher war es nur eine Frage der Zeit, bis sie auch Deutschland erobern würden. Und auch das geschah im Handumdrehen: „Unser erster Auftritt in Deutschland fand im Rahmen der Europatour mit Paul Weller statt“, berichtet Maginn. „Die Leute sind sofort ausgerastet und haben uns die CDs nach der Show quasi aus den Händen gerissen. Da wussten wir schon, dass es mindestens genau so abging wie bei uns in Holland.
Als es dann darum ging, den Nachfolger ihres „Shorland“-Debüts aufzunehmen, war ihnen noch eine Sache von Anfang an klar: Wiederholungen kamen nicht infrage. Sie hatten kein Interesse daran, „Shorland Part II“ aufzunehmen. So ist das klangliche Spektrum von „The Long And Dangerous Sea“ sehr viel größer als das des Vorgängers: „Natürlich ist das so, und das liegt daran, dass wir selbst die härtesten Kritiker unserer Songs sind“, berichtet der Sänger. „‘Kein Abklatsch, kein Aufwärmen alter Ideen!’, lautete unser Motto. Stattdessen wollten wir aufbrechen und neue klangliche Gefilde erschließen.“ Während andere Bands zumindest mit dem Gedanken gespielt hätten, an das bewährte Erfolgsrezept anzuknüpfen – immerhin hat „Shorland“ im Handumdrehen Goldstatus erreicht –, ging es Maginn & Co. also einzig und allein darum, die Latte dieses Mal noch ein gutes Stück höher zu legen. Dass ihnen das gelungen ist, beweist schon die Tatsache, dass ein gewisser Anton Corbijn dermaßen angetan davon war, dass er das Coverfoto von „The Long And Dangerous Sea“ geschossen hat: Jener Starfotograf also, der sonst nur für Ikonen wie U2 oder Depeche Mode arbeitet. Nur ganz selten nimmt er sich neuer Motive aus der Musikwelt an – The Killers waren in jüngster Vergangenheit eine weitere Ausnahme –, und nun waren eben auch Moke an der Reihe…
„Ehrlich gesagt habe ich ein paar Tage gebraucht, um die Tatsache zu verarbeiten, dass uns Anton Corbijn angerufen hatte, um die Aufnahmen mit uns zu machen“, berichtet Maginn. „Die Fotos haben wir dann schließlich in Stuttgart gemacht, als wir dort gerade im Vorprogramm von Amy Macdonald auftraten. Der ganze Tag war einfach nur verrückt: Du wachst auf und dann steht Anton Corbijn plötzlich in der Tür und fragt, ob wir nun loslegen könnten. Also zogen wir los, verbrachten den ganzen Tag mit ihm, und abends spielten wir dann in dieser grandiosen Halle in Stuttgart – das war schon ein absolutes Highlight.“ Überhaupt hatten die unzähligen Auftritte in Deutschland sehr starken Einfluss auf das neue Album: „Als wir schließlich immer häufiger in Deutschland spielten und die Hallen mit jedem Mal größer wurden, erkannten wir, dass wir noch viel besser klingen, wenn wir in großen Venues auftreten. Es gibt Bands, die nur im Club funktionieren, aber bei uns kam der Sound sogar noch besser rüber, wenn ein paar Tausend Menschen vor uns stehen. Das hat sich auch direkt auf unser neues Album ausgewirkt: Weil wir diesen breiten, monumentalen Sound so grandios fanden, war uns klar, dass wir ihn auch auf der nächsten Platte einfangen mussten. Darum die ganzen Streicher. Darum die satten Arrangements. So gesehen lässt sich der Klang des neuen Albums auf die Tatsache zurückführen, dass wir in Deutschland so fette Konzerte gespielt haben.“
Allerdings sorgte der Erfolg von „Shorland“ auch dafür, dass die Arbeit am Nachfolger ein wenig länger als geplant dauern sollte: Moke waren schlichtweg zu viel auf Tour, spielten auf zu vielen großen Festivals in zu vielen europäischen Ländern, waren auch sonst viel zu gefragt (beispielsweise musste ein Werbespot für die Biermarke Grolsch gedreht werden), und dann waren da ja auch noch die ganzen Auszeichnungen, die sie persönlich in Empfang nehmen mussten (z.B. den 3FM Award in der Kategorie „Best Alternative Act“). Dennoch fanden Maginn & Co. schließlich die Zeit, das ICP Studio in Brüssel zu mieten, den Produzenten Joeri Saal zu engagieren und das komplette Album im Studio 150 in Amsterdam abzumischen
Kommen wir also zum neuen Album. Gleich vorweg: Es klingt immer noch wie Moke, nach Indie-Rock, der an Britpop, New Wave und Post-Punk anknüpft, doch klingen sie jetzt sehr viel stadiontauglicher und monumentaler als zuvor. „Das war notwendig, damit die Musik für uns selbst spannend bleibt“, sagt Maginn. „Die Platte sollte einfach nur ehrlich klingen.“ Und das tut sie. Doch was genau macht „The Long And Dangerous Sea“ nun so viel größer als den Vorgänger? Nun, da wären die bereits erwähnten Streicher, die opulenten Arrangements. Dann wäre da das Saxofonspiel von Benjamin Herman, der sonst die Amsterdamer Jazz-Szene aufmischt, auf dem Track „Black & Blue“. Und überhaupt geht die Reise dieses Mal nicht nur aufs offene Meer, sondern auch in andere klangliche Gefilde: Die Keyboards stehen mehr im Vordergrund, die beiden Gitarren, die bei „Shorland“ ganz klar den Ton angaben, sind zwar noch da, werden jetzt aber mit massiven Synthesizer-Sounds unterfüttert. Dabei macht sich Keyboarder Eddy Steeneken keineswegs so breit, dass kein Platz mehr da wäre für die überdimensionalen Gitarren-Sounds, die Phil Tilli beisteuert. Basierend auf dem Fundament aus Bass und Schlagzeug, das Marcin Felis und Rob Klerkx legen, sei „The Long And Dangerous Sea“ nämlich „definitiv das Ergebnis von Teamwork und einer kollektiven Herangehensweise“, wie Tilli sagt. „Wir mussten viel Schweiß im Studio lassen, bis die Songs in dieser Form im Kasten waren – auch wenn man es ihnen nicht anhört.“
Maginn bringt den Entstehungsprozess des neuen Albums in einem Satz auf den Punkt: „Wenn du etwas zu hoch zielst, stehen die Chancen ziemlich gut, dass du genau ins Schwarze triffst.“ Während sich der Sänger auf dem Vorgänger hauptsächlich mit politischen Themen auseinandersetzte – es ging vorwiegend um seine Kindheit in Irland und die religiösen Konflikte, die er am eigenen Leib erlebt hatte –, zeichnet sich „The Long And Dangerous Sea“ auch durch eine sehr viel breiter angelegte Themenpalette aus. „Wenn man gute Songs schreiben will, muss man immer seine Gefühle analysieren, ein paar Tränen vergießen und dann schauen, was dabei herausgekommen ist“, sagt er. „So handelt zum Beispiel der Song ‘Love My Life’ davon, wie gut mein Leben so schon ist, aber wie viel besser es wäre, wenn ich jemanden hätte, mit dem ich es teilen könnte.“ Ein Schrei nach Liebe also. Und doch finden sich auch auf dem neuen Longplayer zwei äußerst politische Songs: einerseits die Ballade „Nobody’s Listening“, die von den Problemen handelt, mit denen Jugendliche in Palästina zu kämpfen haben (ein Kampf, der sich mit den Erfahrungen aus seiner eigenen Kindheit vergleichen lässt), und andererseits auch der Titelsong, mit dem das neue Album eingeläutet wird: „Als ich diesen Song schrieb, war ich gerade dabei, mein Haus zu renovieren. Im Fernsehen lief diese Doku über die Große Hungersnot in Irland, über die Schiffe, die in die Neue Welt aufbrachen. Die Leute standen damals vor einer unglaublich schwierigen Entscheidung – sie konnten eigentlich nur abwägen, welches das geringere Übel war: die Überfahrt oder die Hungersnot selbst. Mir selbst ging es damals auch nicht besonders gut; auch ich stand vor einer großen Entscheidung, daher konnte ich mich sehr gut in ihre Lage versetzen und diese Situation nachempfinden. Natürlich waren sie viel schlimmer dran als ich, aber es gab da nun mal gewisse Parallelen. Auch ich wusste nicht, wie die Reise verlaufen würde, die vor mir lag. So gesehen handelt auch dieser Song von meinem Leben.“ Wie alle Songs übrigens: „Ich kann nämlich nur persönliche Texte schreiben.“
Auch wenn alles seit der ersten Anfrage vom legendären „Modfather“ verdammt schnell ging, ist der Durchbruch von Moke kein glücklicher Zufall gewesen: Es hat die Band viel Schweiß (und sogar ein paar Tränen) gekostet, um an den Punkt zu gelangen, an dem sie heute stehen. Dennoch können sie es kaum abwarten, endlich wieder vor den Fans zu schwitzen und die neuen Tracks live zu präsentieren: „Hoffentlich spielen wir auch dieses Jahr wieder so viele Gigs in Deutschland.“ Das hoffen wir auch.
Moke sind:
Felix Maginn: Gitarre, Gesang
Phil Tilli: Gitarre
Marcin Felis: Bass
Rob Klerkx: Schlagzeug
Eddy Steeneken: Keyboard
www.moke-music.de