Neil Diamond ging es schon immer um Songs – und daran hat sich bis heute nichts geändert. Mit ihnen steht und fällt alles für ihn. Auf ihnen basiert für den New Yorker alles, und sie sind letztlich auch das Fundament seiner unglaublichen Karriere, in deren Rahmen er weltweit über 128 Millionen Alben verkauft hat. 56 von diesen Songs aus seiner Feder landeten in den Billboard Hot−100, 12 davon gingen in die Top−10, während gleich 16 seiner Alben es in die Album-Top−10 schafften. Der Grammy-Gewinner wurde in die Rock and Roll Hall of Fame und in die Songwriters Hall of Fame aufgenommen, und erst 2011 wurde er vom renommierten Kennedy Center für sein Lebenswerk und seinen besonderen Beitrag zur US-amerikanischen Kultur geehrt. Zu seinen etlichen weiteren Auszeichnungen zählen unter anderem drei Golden-Globe- und 13 Grammy-Nominierungen, sowie der NARAS MusiCares Person of the Year Award 2009. Sein zuletzt veröffentlichtes Studioalbum, “Home Before Dark” aus dem Jahr 2008, landete in seiner Heimat und in UK auf Anhieb auf Platz 1, während der Longplayer hierzulande auf Platz 14 ging. Seine Songs wurden über die Jahre von unzähligen Größen der Popwelt gecovert – jeder von Elvis Presley bis Andrea Bocelli hat irgendwann mal einen Diamond-Song interpretiert. Kurz gesagt: Er kann auf eine über 50 Jahre lange Karriere zurückblicken, die ohne eine Sache wohl nie hätte Wirklichkeit werden können: Seine Liebe zum Songwriting.
Im Juni 2014, nach über vier Jahrzehnten, in denen er bei Columbia unter Vertrag stand, unterzeichnete Neil einen neuen Vertrag mit Capitol und übertrug auch seinen gesamten Backkatalog an Universal, der Mutterfirma von Capitol. Er hatte mit beiden schon früher zu tun gehabt: Seine allerersten Hits erschienen auf Bang, einem Label von Universal, und Capitol veröffentlichte 1980 seinen mehrfach mit Platin ausgezeichneten Soundtrack zu “Der Jazz-Sänger” (Originaltitel: “The Jazz Singer”), der ihm gleich drei Top−10-Singles bescheren sollte.
“Melody Road”, sein erstes Studioalbum seit “Home Before Dark”, ist nun also seine erste Veröffentlichung für Capitol Records, und doch markiert das neue Album nicht nur den Beginn eines neuen Karriereabschnitts: Laut eigener Aussage fühlt es sich vielmehr so an, als ob sich damit ein Kreis schließen und er gewissermaßen zu seinen Anfängen zurückkehren würde. Er selbst nimmt sogar das Wort “Heimkehr” in den Mund, denn diese “Melody Road” führt tatsächlich zurück zu seinen ersten Gehversuchen als Musiker, zu frühen Einflüssen wie The Weavers und Woody Guthrie. Die neuen Songs zeigen, welche Rolle Folk-Musik schon immer in seinem Leben gespielt hat. Der Gesang wurde exakt so aufgenommen, wie man es schon vor Jahrzehnten gemacht hätte, und während an Instrumenten keineswegs gespart wurde, sind die Arrangements dieser Stücke doch bewusst ganz klassisch gehalten. Und wie das bei allen großen Folk-Songs der Fall ist, erzählt auch hier jedes Stück eine kleine Geschichte: Der Song “Seongah and Jimmy” zum Beispiel, in dem Neil die Geschichte seines amerikanischen Schwagers und seiner koreanischen Schwägerin erzählt, die sich schon ineinander verliebt hatten und ein Paar waren, als noch keiner von ihnen die Sprache des anderen beherrschte. Ein konkreter Fall, hinter dem sich ein universelles Thema verbirgt: Überhaupt ist “Melody Road” größtenteils autobiografisch, doch werden sich mit den Geschichten, die Neil hier erzählt, gewiss viele identifizieren können.
Zu Beginn der Arbeiten an seinem neuen Album feilte Neil parallel an mehreren Songs; einerseits an ganz neuem Material, andererseits aber auch an Fragmenten, die er zum Teil über 10 Jahre lang in der Schublade gehabt, sie aber nie so recht hatte fertigstellen können. Ihm hatte die Motivation oder der Wille gefehlt, die Themen, um die es bei diesen Fragmenten ursprünglich ging, aufzugreifen – oder um es in seinen Worten zu sagen: Diese Stücke waren einfach noch nicht reif, um das Licht der Welt zu erblicken. Nachdem ihm dann jedoch seine Frau Katie dabei geholfen hatte, in die nötige Stimmung dafür zu kommen, konnte er auch diese Stücke endlich abschließen. Als er dann schließlich bereit war für die ersten Aufnahmen, hatte er längst genug Material für ein ganzes Album zusammengetragen. Das Resultat ist ein Album, das kleine Anekdoten erzählt, Song für Song neue Szenarien entwirft – wobei die Reihenfolge dieser Songs immer noch exakt dieselbe ist, in der auch seine Demoversionen entstanden sind.
An dem von
Don Was (bekannt für seine Arbeit mit Größen wie
Bob Dylan und
The Rolling Stones) und
Jacknife Lee (
R.E.M.,
U2) produzierten Album wirkten zudem eine ganze Reihe von hochkarätigen Musikern mit, unter anderem die Pedal-Steel-Ikone
Greg Leisz, der Keyboarder
Benmont Tench, der Gitarrist
Smoky Hormel und
The Waters, die den Background-Gesang beisteuerten. Auch wenn es sich stets um Folk-Songs handelt, die Gitarre also das zentrale Instrument ist, hört man auf “Melody Road” auch Keyboards, Flöten, Bläser und, im Fall von “
Seongah and Jimmy”, “
The Art of Love” und “
Nothing But A Heartache”, sogar jede Menge Streicher.
Doch so groß angelegt die Produktion mitunter sein mag – es geht auch auf “Melody Road” in erster Linie um Songs und deren Kern, das Songwriting. Um das also, worum es Neil schon immer ging. Der Kreis schließt sich: Fünf Jahrzehnte Erfahrung stecken in diesen Songs, mit denen er letztlich an denjenigen Ort zurückkehrt, an dem er einst angefangen hat, weil ihn eine Sache noch immer genauso begeistert wie damals: Die Kunst, das Leben in Songstrukturen zu überführen.