Es ist eine dieser seltenen, lauen Julinächte des Landstriches Karelien hoch im Norden Finnlands. Drei Freunde treffen sich zum abendlichen Lagerfeuer vor einem Mökki, dem kleinen Sommerholzhaus der Familie Holopainen, zum Lachen, Trinken und Träumen: Ja, man müsste mal.. . Das musikalische Projekt, das Mastermind und Songwriter Tuomas Holopainen gemeinsam mit Erno „Empuu“ Vuorinen und Tarja Turunen unterm Sternenhimmel aus der Taufe hebt, hat zunächst rein gar nichts mit Heavy Metal zu tun. Akustische, gefühlsbetonte Stücke sind das Ziel der sich vage formierenden Band und so werden die ersten musikalischen Gehversuche, darunter auch der Debüt-Song „Nightwish”, konsequent nur mit unverstärkter Gitarre, Synthesizer und Flöte aufgenommen. Doch als Tarja, mit der Tuomas seit dem 13. Lebensjahr die Musikschulbank drückt, ihre bereits geübte Stimme erhebt, wendet sich das Blatt: “Wir erwarteten etwas zartes, mädchenhaftes und waren total überrascht, als wir ihren kraftvoll dramatischen Operngesang hörten“, erinnert sich Tuomas. Das offenkundige Potential der attraktiven Sängerin auf der einen und vernichtende Reaktionen auf der anderen Seite bewegen ihn in den kommenden Monaten das Konzept zu überdenken. Man entscheidet sich, es mit mehr Bombast zu versuchen, verkabelt Emppus Gitarre und gewinnt Jukka Nevalainen am Schlagzeug hinzu, als im April 1997 erneut das Studio betreten wird. Das Ergebnis, ein Demo mit dem Titel „Angel Falls First“ in der Tasche, begibt sich Tuomas auf Tour mit seiner Hauptband Nattvindens Gråt und gewinnt das Ohr des Headliners und Babylon Whores-Gitarristen Ewo Rytkönen, der sich seine Brötchen auch als Künstlerscout (A&R) für Spinefarm Records verdient. Kurz nach Abschluss der Tour halten Nightwish überglücklich ihren ersten Vertrag in den Händen, der Start in eine bis heute andauernde Bilderbuchkarriere.
Ähnlich den gerade in Mode kommenden Genrekollegen Theatre Of Tragedy und The Gathering kombinieren Nightwish kraftvoll melodiöse Metalgitarren mit klassischen Arrangements, die ihre eigenständige Note durch den die Regler in dunkelrote Bereiche hievenden Operngesang Tarjas erhalten. Sylvester 1997 erlebt im heimatlichen Kitee die Bühnenpremiere des vor Lampenfieber stocksteifen Quartetts, das sich unmittelbar danach bis auf eine handvoll weiterer Konzerte für einige Monate unfreiwillig zurückzieht, während Emppu und Tuomas ihren Wehrdienst ableisten. Tarja Soile Susanna Turunen, die zuvor nie mit Metalmusik in Berührung gekommen war, konzentriert sich derweil ganz auf ihre Ausbildung zur klassischen Opernsängerin und studiert zudem am Sibelius Konservatorium in Helsinki Kirchenmusik. Im Sommer begibt man sich verstärkt um Bassist Sami Vänskä erneut ins Studio. Tuomas ist dabei ganz fixiert auf sein „Karma“, sein neues, selbsterworbenes Korg-Keyboard, auf dem er alle Songs des im Dezember 1998 erscheinenden, zweiten Langspielers „Oceanborn“ komponiert, welches den großen internationalen Durchbruch einleitet. In Finnland sind die nächtlichen Verbündeten bereits jetzt Superstars und schaffen es, drei Singles gleichzeitig in die Top Ten zu katapultieren – das ist Rekord! Es regnet förmlich Edelmetall auf die junge Band herab. Nightwish absolvieren ihre erste Deutschlandtournee und als zur Sonnenfinsternis im August 1999 die Ballade „Sleeping Sun“ erscheint, greifen auch hierzulande die neugewonnenen Fans über 15.000 mal zu. Mit dem 2000er Album „Wishmaster“ setzt man die Erfolgsserie fort und erobert im Rahmen der „Wishmaster World Tour“ im Juli 2000 auch Brasilien, Chile, Argentinien, Panama und Mexiko für sich. Nicht nur die südamerikanischen Aficionados verlieren ihr Herz an den melodischen Opernmetal. Die attraktive, nordische Frontsirene lernt bei dieser Gelegenheit den Argentinier Marcello Cabuli kennen, den sie 2003 heiraten wird.
Neben dem fortgesetzten Sammeln von musikalischen Superlativen mit ihrer ersten DVD „From Wishes To Eternity“ und dem Gary Moore-Cover „Over The Hills And Far Away“ nehmen Nightwish mit dem Song „Sleepwalker“ für Finnland am Eurovision Song Contest teil. Trotz aller Erfolge knirscht es im wie geölt laufenden Getriebe. Gründer Tuomas zieht sich zum Wandern nach Lappland zurück und kehrt mit einer Hiobsbotschaft zurück: Er will die Band wegen lang anhaltender Unstimmigkeiten auflösen. Nach einer Trennung von Bassist Sami, der durch Marco Hietala (Tarot, Sinergy), einer finnischen Basslegende, ersetzt wird, scheinen die Hinderungsgründe mehr als behoben und die spürbar motivierte Bande macht sich an die Arbeiten zum 2002er Album „Century Child“. Mit Marco kommt ein starker männlicher Gesangspartner zum Einsatz, was einen reizvollen Kontrast zu Tarjas Mezzosopran schafft. Der im Mai veröffentlichte, dritte Longplayer fundamentiert den Megastar-Status der Symphonic Metaller und nach einer weiteren Welttournee, die wegen der großen Nachfrage live über das Internet übertragen wird, kündigen Nightwish eine einjährige Auszeit an. Zeit für Familie, Nebenprojekte und für die mittlerweile zwischen Südamerika und Finnland pendelnde Frontfrau ihr Gesangsstudium in Karlsruhe abzuschließen sowie neben einigen klassischen Engagements selbst zu unterrichten. Die bekannte Sängerin erhält zudem eine offizielle Einladung zur Unabhängigkeitstagfeier in die Residenz der finnischen Präsidentin und Namensvetterin Tarja Halonen. Zu allem Überfluss kassieren die fünf Finnen zudem prestigereiche Nominierungen und Preise von Echo bis EMMA ab. Nach der langerwarteten, Ende Oktober 2003 erschienenen zweiten DVD „End Of Innocence“ nehmen Nightwish ihr fünftes Album in Angriff. Weit über 2 Millionen Tonträger haben sie bis zu diesem Zeitpunkt weltweit umgesetzt, was dazu führt, dass um die selfmade Superstars ein monatelanger Konkurrenzkampf der Plattenfirmen entbrennt. Jeder will ein Stück vom großen Kuchen und schließlich lizenziert die Band das neue Werk gleich an insgesamt drei Musikunternehmen weltweit. Die Anteilnahme des finnischen Heimatlandes treibt noch viel eigenartigere Blüten: Zum Erscheinen von „Once“ werden die Metal-Klassiker nicht nur zu Top Of The Pops eingeladen – ihnen zu Ehren wird eine Briefmarke geprägt und nicht musikalischen Durst stillt man im Erscheinungsjahr 2004 mit Nightwish-Bier. „Once“ gerät zum aufwendigsten Werk der neuen Nationalhelden. Das Londoner St. Martin In The Fields-Orchester, welches auch die Filmmusik zum „Herr der Ringe“-Epos eingespielt hat, wird kurzerhand angeheuert und sorgt für symphonischen Bombast auf höchstem Niveau. Die anstrengenden Aufnahmen verschlingen Produktionskosten von über 400.000 Euro. Die Erwartungen sind hoch – und werden nicht enttäuscht: „Once“ stürmt in zehn Ländern die Top Ten, darunter gleich sechsfach den ersten Platz. Noch am Release-Tag wird der Silberling platiniert und verkaufte sich bis heute über 900.000 mal – der größte kommerzielle Erfolg in der Bandgeschichte.
„Highest Hopes – The Best Of Nightwish“ begleitet noch einmal den Weg durch alle Schaffensphasen der Vorreiter des mittlerweile vielgeliebten Genres Gothic Symphonic-Metal, die ihre Mitstreiter schon lange überflügelt und hoffnungsvollen neuen Bands wie Within Temptation, Sirenia oder Xandria – um nur einige zu nennen – zum großen Durchbruch verholfen haben. Eine illustre Werkschau, die zum Träumen und Sehnen unterm nächtlichen Sternenhimmel einlädt, denn manchmal, das wissen Nightwish mit Sicherheit, gehen Wünsche in Erfüllung.
Yvonne Zymolka