Wer sich mit den Noisettes einlässt, kann sich am besten gleich auf alles gefasst machen. Hier werden sämtliche Register gezogen. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums, einer Scheibe, die den Geist des Punk mit versengten Bluesrock-Elementen vermählte, meldet sich das Trio aus London nun mit „Wild Young Hearts“ zurück, einem Albumtitel der Bände spricht und für eine ganze Palette von Popsongs steht, die sie im Soul ertränkt, auf die Disco-Tanzfläche geschickt oder in die Blues- und Jazz-Ära katapultiert haben.
Dank Songs wie „Saturday Night“, einer druckvollen Electro-Rock-Nummer, der ersten Single „Don’t Upset The Rhythm“, die mit galoppierenden Funk-Einlagen durchbrennt, dem ausgelassenen Titelstück (im Jazzgewand), dem dreist an den Soul der Sechziger anknüpfenden „Never Forget You“ oder dem schwül-schillernden Popsound von „24 Hours“, steht jetzt schon fest, dass die Noisettes mit „Wild Young Hearts“ ein Album aufgenommen haben, das in Sachen Kühnheit dieses Jahr kaum zu übertreffen sein wird.
Schon immer allergisch gegen feste Strukturen und Strickmuster, war dem Trio von Anfang an klar, dass sie mit dem Nachfolger von „What’s The Time Mr. Wolf?“ in eine ganz andere klangliche Kerbe schlagen würden. Und das, obwohl ihr Debütalbum fünf Singles hervorbrachte und dafür sorgte, dass sie über ein Jahr lang pausenlos auf Tour waren: Sie teilten sich unter anderem mit Muse Stadionbühnen und tourten mit angesagten Bands wie TV On The Radio und Bloc Party mehrfach durch die Staaten.
„Es gibt halt Bands, die immer denselben Style präsentieren“, sagt Sängerin Shingai Shoniwa, deren wandlungsfähige Stimme ihr bereits Vergleiche mit so unterschiedlichen Frauen wie Deborah Harry, Kate Bush, Billie Holiday und Diana Ross beschert hat. „Diese Bands finden zusammen, weil die Leute einen ähnlichen Musikgeschmack haben; und dann machen sie bis in alle Ewigkeit den gleichen Sound. Wir sind zwar auch eine Gang, aber wir sind zugleich drei Diven mit ganz unterschiedlichen Plattensammlungen. Andauernd schleppt einer von uns neue Musik an und zeigt sie den anderen; mal ist es afrikanische Musik, mal Jazz, mal Van Morrison oder Black Sabbath. Musik zu machen bedeutet für uns, mit offenen Ohren durch die Welt zu gehen.“
Wie nicht anders zu erwarten, haben Noisettes einen eher untypischen Weg gewählt, als es darum ging, neue Songs für ihr zweites Album zu schreiben: Gerade erst von ihrer Sommertour 2007 zurück, machten Gitarrist Dan Smith (ein Typ, der dafür bekannt ist, mit Pailletten besetzte, gelbe Hemden mit silbernen Hosen zu kombinieren) und der bärtige Drummer Jamie Morrison (der scheinbar noch immer nicht fassen kann, dass er überhaupt in irgendeiner Band aufgenommen wurde) erste Klangexperimente, die zum Teil daraus bestanden, breit ins Naturgeschichtliche Museum zu gehen, um gleich im Anschluss Mainstream-Hits wie Britneys „Hit Me Baby (One More Time)“ zu covern.
„Wir haben zu diversen grandiosen, waschechten Popsongs geschrieben und dann die Hintergrundspur entfernt und geschaut, was übrig bleibt“, berichtet Morrison. „Keines der Resultate dieser Sessions ist auf dem Album zu hören, aber die Herangehensweise inspirierte uns zu vollkommen neuen Ansätzen und einer ganz anderen Art von Songwriting. Außerdem haben wir in vielen Clubs abgehangen, und immer wenn wir nach Hause kamen, haben wir versucht, diejenigen Sounds mit eigenen Mitteln zu kreieren, die uns am Abend gefallen hatten. Dadurch haben wir uns von den Konventionen befreit, die man aus der Welt der Gitarrenmusik kennt.“
Im Herbst des Jahres packte die Band ihr Equipment in einen Van und verbrachte ein paar Wochen in verschiedenen (Wohn-)Studios, unter anderem in Devon und Brighton. Unterwegs hörten sie hauptsächlich frühe Aufnahmen von Prince und Portishead, Queen, Talk Talk und Fleetwood Mac. Das Motto der neuen Songs brachten sie bald darauf im Albumtitel auf den Punkt: „‘Wild Young Hearts’ – das bedeutet: sich jung fühlen und sich wie ein Jugendlicher zu verhalten, ganz egal, wie alt man eigentlich ist“, sagt Smith. „Es geht in erster Linie um Spaß und darum, sein eigenes Ding durchzuziehen. Wir drei sind bei der Arbeit an diesem Album noch dickere Freunde geworden. Wir haben uns gemeinsam betrunken und sogar das eine oder andere Hotelzimmer zerlegt. Eigentlich sind wir sehr verschieden, aber zwischen uns ist eine Bindung entstanden, die man in den neuen Songs deutlich raushören kann.“
Die neuen Stücke unterzogen sie bei einigen Konzerten im letzten Jahr auch gleich der Live-Feuertaufe, unter anderem beim South By South West und im Rahmen einer Tour durch Frankreich, wo „Don’t Upset The Rhythm“ das Publikum jeden Abend endgültig zum Ausrasten brachte – spätestens da war den Noisettes klar, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Trotzdem wussten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht so genau, wie das Album insgesamt klingen sollte; das änderte sich erst, als sie letzten Juni mit dem Produzenten Jim Abbiss (Arctic Monkeys, Adele) in London ins Studio gingen.
„Uns war klar, dass es um Soul und um eine Atmosphäre gehen sollte, die eine ganz bestimmte Zeitspanne einfängt, so wie es z.B. die Alben von Portishead tun“, berichtet Morrison. „Doch hatten wir die Songs nie zuvor gemeinsam in einem Studio gespielt. Für unsere Demos hatten wir sämtliche Spuren einzeln auf dem Computer aufgenommen, also ohne die Instrumente zu verwenden. Die Kernidee war, allem ein Gefühl zu geben, als würden wir Songs covern, die wir selbst kaum kennen, damit das Album spontan und spannend klingt. Letztendlich hatten wir jede Menge Spaß im Studio: Wir haben jeden Tag ein Stück aufgenommen und uns nicht ein einziges Mal gestritten!“
Freunde schauten vorbei, um Bass-Spuren oder Streicher-Parts einzuspielen, und sowohl Shoniwas kleiner Bruder (der bereits im Halbfinale der UK-Talent-Show „I’d Do Anything“ war), als auch ein Bariton aus ihrem früheren Kinderchor steuerten den Hintergrundgesang bei. Am verblüffendsten ist jedoch der gewaltige Tonumfang von Shoniwas Stimme: sanft und verführerisch auf „Sometimes“, dem ersten Track des Albums, jazzy auf dem akustischen „Atticus“, durchdringend und sexy auf „Don’t Upset The Rhythm“, und glasklar bzw. bluesy auf „So Complicated“, einem Update zum klassischen Motown-Sound, und „Never Forget You“, einem klaren Singlekandidaten. „Ich bin mit traditioneller Musik aus Simbabwe aufgewachsen: Afrobeat, gemischt mit Reggae und Funk, den meine Onkel spielten“, sagt Shoniwa, die in England schon längst zur Fashion-Ikone avanciert ist. „Dann habe ich noch Musical studiert und in Chören und Jazz-Bands gesungen. Dan hat für mich sogar mal den Auftrag an Land gezogen, in einer Diana-Ross-Coverband zu singen. All diese Erfahrungen ermöglichen es mir, jede Art von Song zu singen – ganz egal, ob es nun eine zuckersüße Soul-Ballade ist, ein Jazz-Stück oder eben richtig lauter Rock’n’roll.“
„Wir alle hatten den Eindruck, dass Shingais Stimme auf dem ersten Album etwas unterfordert war“, fügt Smith hinzu. „Weil die meisten Songs auf einer Gitarrenspur basierten, konnte sie sich einfach nicht so gut einbringen. Shingai hat eine unglaubliche Jazz-Stimme, aber davon hat man auf der ersten LP zum Beispiel gar nichts mitbekommen. Jetzt kann man all ihre unterschiedlichen Stimmungen deutlich raushören. Ihr Gesang gibt dieses Mal den Ton an, das war bei jedem der neuen Songs so. Im Fall von ‘Never Forget You’ klingt sie vollkommen positiv, und der Text klingt fast schon wie ein lockeres Gespräch in einer Bar. Auf ‘Every Now And Then’ gibt sie sich dann eher melancholisch und nachdenklich. Dieser Kontrast entspricht in etwa der Situation, samstagabends auszugehen, um gleich am nächsten Morgen die Quittung dafür zu bekommen.“
Trotz all der Veränderungen gibt es eine Sache, die man als Konstante im Noisettes-Universum bezeichnen muss: ihre Live-Show. Die Energie, mit der sie jede Bühne rocken. Während sie von der Zeitung The Guardian bereits als „beste Live-Band Großbritanniens“ gefeiert wurden, konnte man Shoniwa bei einer kürzlich absolvierten Show in London sogar dabei zusehen, wie sie mit Gitarre und Mikro ins Publikum stürmte, um dann auf einer Leiter, die von der Decke baumelte, den Rest des Songs zu performen. Kein Wunder, schließlich hat sie als Teenager auch an Zirkustricks gearbeitet…
„Viele junge Bands scheinen gar nicht erst auf die Idee zu kommen, eine richtig krasse Show zu liefern“, sagt Shoniwa. „Wir gehen jedes Mal einen Schritt weiter und setzen noch einen drauf, um dem Publikum einen unvergesslichen Abend zu bereiten. Ich stehe voll auf Künstler wie Hendrix und Bowie, die auch auf ihre Frisur geachtet und sich Zeit genommen haben, um das passende Bühnenoutfit zu finden.“
„Uns geht es gar nicht darum, trendy zu sein“, sagt sie abschließend. „Die Musik ist für alle da, aber unsere Band zeichnet sich nun mal dadurch aus, dass wir auch andere Aspekte mit einbeziehen. Unser Ziel ist es, den Leuten zu beweisen, dass Popmusik auch heute noch anders klingen und spannend sein kann. Und ich weiß, dass wir mit diesem Album den Beweis dafür liefern können.“