Patricia Petibon | News | VON FAURÉ ZU FERRÉ – EINE ERNSTE FANTASIE

Patricia Petibon
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VON FAURÉ ZU FERRÉ – EINE ERNSTE FANTASIE

24.09.2014
Ein erfolgreicher Abschluss am Konservatorium verpflichtet keineswegs, die brave Schülerin zu spielen: Das zeigt Patricia Petibon seit ihren künstlerischen Anfängen. In diesem Programm mit Susan Manoff, ihrer langjährigen Partnerin am Klavier, und einigen Freunden vereint sie denn auch wieder Fantasie mit Tiefsinn, nicht ohne etliche theatralische Elemente einzufügen. Von Fauré (1845–1924) bis Ferré (1916–1993), vom Dichter Théophile de Viau (1590–1626) bis Jaboune (1900–1981): Hier ist der französische Geist allgegenwärtig, samt dem Charme, der Melancholie und dem derben Spott, die ihn auszeichnen. In den einzelnen Abschnitten dominieren dabei unterschiedliche Momente: Die Stücke 1 bis 5 sprühen vor Pariser Witz; es folgen eher träumerische (6 bis 8) und tragikomische Werke (9 und 10), dann Liebeslieder (15 bis 20) und sogar humorvolle Szenen aus dem Tierreich (21 bis 24). Die gesamte Darbietung steht unter dem Zeichen der Belle Excentrique von Erik Satie, einer »ernsten Fantasie« für Klavier zu vier Händen, die 1920 für einen Auftritt der Tänzerin Caryathis entstand. Aufmerksamen Zuhörern dürfte dabei nicht entgehen, dass die von den Interpreten entworfenen Zwischenspiele direkt an Saties Stück anknüpfen. So verweisen ihre Titel augenzwinkernd auf berühmte Tänzerinnen des Moulin Rouge: auf La Goulue und ihren Partner Valentin le Désossé, auf Gavrochinette, Rayon d’Or oder auch Nini Pattes-en‑l’air (»Beine in der Luft«), in deren Tanzschule angeblich nicht nur Cancan auf dem Lehrplan stand …
Auch andere Klavierstücke von Satie stehen auf dem Programm: Les Courses (Die Pferderennen), das mit einer entstellten Marseillaise endet, um »Die Verlierer« (wie es Satie im Notentext vermerkte) zu verspotten, und das von einem »Gewitter« beschlossene Pique-nique. Das Lied La Statue de bronze beschreibt auf skurrile Weise den Kummer einer Froschfigur, die in einem Garten zur Reglosigkeit verdammt ist. Das urkomische Allonsy, Chochotte ! war vermutlich für die »Königin des Musicals« Paulette Darty bestimmt; Patricia Petibon zeigt sich als würdige Nachfolgerin und singt das Stück nach eigener Aussage (man kann ihr nur zustimmen!) »wie ein Fischweib«. Der langsame, ausdrücklich für Paulette Darty komponierte Walzer Je te veux erklingt hier als sinnliches Duett von Stimme und Cello, wobei letzteres wohl den heißersehnten Liebhaber verkörpert.
Die Tatsache, dass zwei (von Aleksandar Sedlar arrangierte) Chansons von Léo Ferré auf dem Programm stehen, wirkt auf den ersten Blick vielleicht überraschend, doch diesem leidenschaftlichen Verteidiger der klassischen französischen Musik widerfährt damit nur Gerechtigkeit. Als Patricia Petibon gegenüber Juliette Gréco ihren Wunsch eingestand, Jolie môme zu singen, beruhigte sie die legendäre Interpretin dieses Titels auf ihre unnachahmliche Art: »Aber ja, mein Schatz, natürlich, das Lied gehört doch allen!« Patricia Petibon interpretiert es mit dem Zungenschlag eines echten Pariser Straßenjungen und einer Bruststimme, die man von ihr bisher nicht kannte. »Ich freute mich wie ein Kind, dass ich Jolie môme mit Olivier Py einspielen konnte!«, erzählt die Sängerin, die eine enge Freundschaft mit dem Regisseur verbindet: Dieser hatte sie in Hauptrollen von Bergs Lulu und Poulencs Dialogues de Carmélites perfekt in Szene gesetzt. Ferrés verkanntes Kleinod On s’aimera singt sie mit einem tonlosen und gedämpften Timbre – das absolute Gegenteil einer Opernstimme.
Laut der Sopranistin ist Francis Poulenc »der anspruchsvollste Komponist des Programms«, denn seine Kombination aus gelehrter Kompositionstechnik und populären Stilelementen ist »für die Stimme sehr fordernd«. Die hier präsentierten Lieder Hier, Voyage à Paris, Hôtel und Chanson d’Orkenise, das den »Groschenroman-Stil« (so Poulenc!) der Dichtung Apollinaires auf bemerkenswerte Weise wiederspiegelt, gehören zu seinen besten Gesangsstücken. Zu seinen »Chansons« zählt der Komponist auch die drollige Tragique Histoire du petit René und Les gars qui vont à la fête. Aux Officiers de la Garde Blanche ist die Klage einer jungen Frau, die auf die Rückkehr ihres Geliebten wartet, und Ba, be, bi, bo, bu ein Abzählreim voller unschuldiger Frische.
Schon als Studentin interpretierte Patricia Petibon Lieder von Manuel Rosenthal, einem der wenigen Schüler Ravels. Hier präsentiert sie zwei geheimnisvoll klingende Titel aus seiner exquisiten Trilogie Trois Poèmes de Marie Roustan sowie drei Chansons du Monsieur Bleu, deren skurrile Texte von Michel Veber durch dessen kleinen Sohn Boubic inspiriert wurden: Seit dem Tag, als Rosenthal seinen steifen schwarzen Anzug gegen ein maßgeschneidertes Modell in blauem Königsvelours einwechselte, nannte ihn das Kind ständig »Herr Blau«. Es ist vielleicht nicht uninteressant, daran zu erinnern, dass die Musical-Ikone und Komödiantin Marie Dubas diese zwanglosen Stücke zum ersten Mal auf die Bühne brachte. Die fünf Lieder Rosenthals sind hier mit einer Schlagzeugbegleitung garniert, quasi improvisierten Tupfern, die den Klanghorizont erweitern: Im Laufe ihrer Begegnungen mit zeitgenössischen Komponisten gewann Patricia Petibon die Überzeugung, dass Interpreten nicht nur Diener, sondern auch Erfinder sein müssen.
Die Dichtkunst von Verlaine hat ihren Platz in diesem Programm ebenfalls redlich verdient. Als wahrer Magier des Helldunkels hat Gabriel Fauré einige der großartigsten Vertonungen dieses Dichters abgeliefert. Dazu gehört auch Spleen – ein Stück, das mit seiner monotonen Begleitung und einfachen Melodie zutiefst ergreift und dessen eindrucksvolle Wirkung Patricia Petibon mit ihrem reinen und fast vibratolosen Gesang noch verstärkt. In En sourdine malen die betörenden Harmonien Faurés ein Bild der tiefen Ruhe, die das Zusammensein der beiden Liebenden bestimmt. Das Lied Pholoé stammt von Reynaldo Hahn, der sich ebenfalls für Verlaine begeisterte: Hier spiegelt die herrlich karge Musik den erhabenen, antiken Charakter des Gedichts von Leconte de Lisle. In À Chloris kleidet der Komponist die eleganten Verse von Théophile de Viau dagegen in einen neo-klassizistischen Stil.
Wer hätte erraten, dass Colchiques dans les prés keine traditionelle Volksweise ist, sondern ein Lied von 1943? Patricia Petibon interpretiert es hier in der traumhaften Version von David Moreau. Der krönende Abschluss des Konzerts ist Les Berceaux von Fauré – eine traurige Barkarole, die den herzergreifenden Worten von Sully Prudhomme wunderbar Ausdruck verleiht und die wie der Abschied am Ende einer Reise wirkt. »Ich bin Bretonin«, erinnert die Sängerin, »ich habe viele Geschichten von Seeleuten gehört, die das Meer mit sich gerissen hat. Das Meer ist ein Grab, aber auch eine Quelle der Erneuerung; es kann uns von allem reinigen.«

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