Wer sie mag, kennt sie vermutlich gut. Wer sie nicht zu mögen vorgibt, hat sie womöglich nie erlebt: Die Dämmerung in aller Herrgottsfrühe, wenn die Sonne langsam den Nebel vertreibt und die Tautropfen noch verheißungsvoll glänzen.
Was genau aber ist an den frühen Morgenstunden, die Rebekka Bakkens neuem Album den Titel gaben, für die Musikerin so besonders? Ein morgendlicher Anruf soll Klärung bringen. „Oh“, antwortet sie lachend, „ich bin auf solche Fragen noch ganz unvorbereitet zu dieser Tageszeit“. Nach einer kurzen Pause: „Das ist jene Zeit, zu der sich der Tag noch nicht mit Impressionen angefüllt hat. Wenn dein Geist also noch jungfräulich da liegt, ein wundervoller Zustand. Alles kommt aus einem bestimmten Nichts und hat seine Geheimnisse noch nicht verloren, ich mag das wirklich gern.“
„Morning Hours“ lässt ihren Songs viel Raum für Entfaltung. „Für mich ist dieser viele Platz sehr wichtig“, sagt Rebekka Bakken, „er ist wie ein langer Atem, wie der Instinkt des Lebens an sich. In ihm geht es um die wirklich wichtigen Dinge des Lebens.“ Ihr viertes Album klingt anders als seine Vorgänger, geheimnisvoller und doch auch dem Realen näher. Und es ist ihre bislang romantischste Arbeit. „Das habe ich zunächst gar nicht so bemerkt. Ich mag das Album vor allem deshalb, weil seine Songs so klingen, wie ich sie geschrieben habe. Nichts steht zwischen mir und ihnen, ich habe ihnen nicht allzu viel angetan, vielmehr fühlte ich mich mit ihnen sofort wohl.“
Dass die Norwegerin lange in New York und Wien lebte, malt reizvolle Kontraste in ihr Schaffen. Noch immer wird die Musik ihres Heimatlandes gern mit Klischees versehen. Aber Rebekka sieht sich nicht als musikalische Landschaftsmalerin, „Ich hatte niemals das Gefühl, dass meine Umgebung mich allzu sehr inspirierte, ob es nun die fremde oder meine heimatliche war.“ Und trotzdem findet, wer will, die langen Winter, die klare Bergluft und die mystischen Landschaften der Fjorde in ihren Werken wieder. „Solche Bilder“, sagt allerdings Rebekka, „entstehen immer nur im Auge des Betrachters. Wir Musiker sollten keine Angst vor Klischees haben, vor Bildern, die andere mit unserer Musik verbinden. Unsere Zuhörer bemerken Dinge, derer wir als Musiker oft gar nicht gewahr werden. Wenn ich brasilianische Musik höre, kommen mir Bilder von Brasilien in den Kopf, die keinem Brasilianer je einfielen, weil für sie ihre Musik ein alltägliches Tun ist. Wer also Norwegen in meinen Liedern wieder erkennt, soll dies ruhig tun. Ich habe damit kein Problem.“
Auf „Morning Hours“ jedoch ist alles anders, ihr erstes Album, das in Amerika entstand. In Zusammenarbeit mit einem von seiner eigenen Heimat inspirierten Produzenten, Craig Street. Hier also kann man sich in amerikanischen Landschaften wähnen, kann an die Hitze des Südens oder raue Ostküsten-Motive denken und gelangt hier und da zur countryesken Idylle, die eher den Indian Summer vor dem inneren Auge erstehen lässt als die skandinavische Weite.
Die schönen Verse ihrer Songs legen persönliche Erfahrungen nahe, doch dieser Eindruck täuscht. „Für mich haben diese Songs nichts wirklich Privates, sie sind nicht einmal autobiographisch. Ich schreibe über Begebenheiten und Personen, und ich frage mich, wie sich diese Personen wohl gerade fühlen.“ Dafür sei etwa der Song „Powder Room Collapse“ ein gutes Beispiel. „Wenn Frauen vor dem Spiegel ihr Make Up richten, dann siehst du ganz gut, was ihnen in diesem Moment durch den Kopf geht. Das kann wirklich alles sein von ihrer finanziellen Situation bis zu der Frage ’sitzen meine Haare einigermaßen?’“ Eigene Erfahrungen – auch solche romantischer Art - müssen aber dennoch Teil der Inspiration gewesen sein, sonst nämlich könnte sie sich kaum mit ihrer Drei-Oktaven-Stimme derart innig durch solch vielfarbige Preziosen singen wie auf „Morning Hours“ und dabei auch einfach mal eine der drei Oktaven charmant weglassen. „Diese Songs haben mich einfach nicht zu übertriebener Akrobatik eingeladen.
Ein Glück.