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Ein Hoch auf die Freundschaft
Als Renaud Capuçon zum ersten Mal mit Martha Argerich zusammenarbeitete, war er gerade einmal 16 und saß am letzten Pult der Zweiten Geigen im Jugendorchester der Europäischen Union. Mstislav Rostropovich dirigierte und Argerich spielte den Solopart von Prokofjews Drittem
Klavierkonzert. Damals hätte sich Capuçon nicht träumen lassen, dass er 30 Jahre später mit der legendären Pianistin ein Album mit drei der beliebtesten Violinsonaten überhaupt aufnehmen würde.
Die beiden sind heute tatsächlich ein gestandenes Duo und haben in den letzten 20 Jahren viele Auftritte bei internationalen Festivals und in Konzertsälen weltweit absolviert. »Sie lockt Dinge aus mir heraus wie sonst niemand«, sagt Capuçon. Bei den Proben, so erklärt er, reden sie sehr wenig und spielen sehr viel. Wenn dann das Konzert unmittelbar bevorsteht, »ist von Angst keine Spur. Wir fassen uns quasi einfach an den Händen und lassen uns fallen.«
Das hier zu hörende Konzert wurde im April 2022 beim Osterfestival in Aix-en-Provence live mitgeschnitten. Es war dem amerikanischen Pianisten Nicholas Angelich gewidmet, einem Freund und Kollegen, der wenige Tage zuvor gestorben war. »Es ist eine echte Live-Aufnahme«, sagt Capuçon, »so etwas bekommt man im Studio nur selten hin. Natürlich ist es mir eine Ehre, diese Stücke mit Martha zu spielen, aber gleichzeitig fühlt es sich auch ganz selbstverständlich an. Es ist eine Momentaufnahme, ähnlich wie das Coverfoto, das eine Minute vor unserem Auftritt neben der Garderobe geschossen wurde.«
»Zufällig habe ich Schumanns a-Moll-Sonate ausgerechnet in einer Aufnahme kennengelernt, die Martha in den 1980er Jahren mit Gidon Kremer gemacht hat. Mir wird beinahe schwindlig, wenn ich daran denke, wie schnell die Zeit vergeht.« Capuçon gesteht, dass Argerich seine eigenen Schumann-Interpretationen maßgeblich beeinflusst hat. »Als Schumann-Interpretin ist sie einfach unglaublich, denn es gelingt ihr, all seine Stimmungswechsel einzufangen. Sie meinte einmal, Schumann liege ihr ganz einfach. Es ist schon erstaunlich, wie sie die Bedeutung seiner Musik zum Vorschein bringt, sei es in Hinsicht auf den Konflikt seiner beiden Alter egos Florestan und Eusebius oder darüber hinaus. Über diese Aufnahme der Sonaten kam ich zu seinen anderen Kammermusikwerken und schließlich zum Violinkonzert, das mittlerweile eines meiner liebsten, wenn nicht sogar das wichtigste Konzert in meinem Leben ist.«
Argerich und er, so Capuçon, hätten Beethovens Violinsonate Nr. 8 in G-Dur op. 30 Nr. 3 früher schon oft aufgeführt, aber zur Nr. 9, der »Kreutzer-Sonate«, seien sie relativ spät gekommen – erst vor etwa zwei Jahren hätten sie sie erstmals zusammen gespielt. »Ich erinnere mich, dass ich, als wir zum ersten Mal den zweiten Satz, die Variationen, durchgingen, fast lachen musste, denn so hatte ich ihn noch nie gehört. Er klang unglaublich klar, schnell, aber mit ungeheurem Temperament. Seitdem machen wir aus der ›Kreutzer-Sonate‹ jedes Mal ein Feuerwerk.«
Der erste Satz beginnt mit einigen Solotakten der Violine: »Ich eröffne die Sonate mit dem Gefühl, dass gleich etwas ganz Besonderes passiert. Man spielt ja nicht alle Tage mit jemandem, von dem man so begeistert ist. Und weil wir einander völlig vertrauen, befinden wir uns in einer wunderbaren Lage: Wir wollen nicht nur ein gutes Konzert geben, sondern können auch etwas Außergewöhnliches erleben. Das auf der Bühne auszuprobieren, war neu für mich. Ich hatte das Glück, in der Vergangenheit mit einigen großartigen Musikern zusammenzuarbeiten, mit Dirigenten und anderen Kollegen, die Spuren in der Musikgeschichte hinterlassen werden. Aber Martha ist eine der ganz wenigen, die mir das Gefühl geben, jenseits der Freiheit zu agieren. Ja, man ist frei, aber man kann noch ein Stück weitergehen – und das geschieht in der ›Kreutzer-Sonate‹.«
Capuçon und Argerich haben die Violinsonate von César Franck schon oft gespielt, gemeinsam und auch mit anderen Partnern. »Wir sind mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen an das Stück herangegangen«, sagt Capuçon, »aber es hat auf Anhieb sehr gut funktioniert. In dieser Sonate fordert sie mich jedes Mal heraus. Das weiß sie natürlich nicht! Sie tut es ja auch nicht mit Absicht, sondern einfach dadurch, dass sie da ist. Aber eigentlich hat das etwas von einer Improvisation. Wir malen sozusagen jedes Mal ein neues Bild. Unser Verhältnis ist sehr unkompliziert, sehr geradlinig. Zwischen uns herrscht unbedingtes Vertrauen. Auf der Bühne haben wir richtig viel Spaß miteinander, und ich glaube, das kann man in dieser Aufnahme auch hören.«
Jessica Duchen
A Celebration of Friendship
When Renaud Capuçon first worked with Martha Argerich, he was just sixteen, playing in the last stand of the second violins in the European Community Youth Orchestra. Mstislav Rostropovich was conducting and Argerich was the soloist in Prokofiev’s Piano Concerto No. 3. Little did the young Capuçon think that thirty years later, he would be recording a recital of three of the repertoire’s best-loved violin sonatas with this legendary pianist.
However, they are now a well-established duo, having performed together frequently over the past couple of decades at many international festivals and concert halls. “She makes me play like nobody else makes me play,” Capuçon says. In rehearsal, he explains, they talk very little and play a great deal. Then, when it is time for the concert, “there is no fear. It’s as if we just hold hands and leap.”
The present recital was captured live in concert in April 2022 at the Easter Festival in Aix-en-Provence. It was dedicated to the American pianist Nicholas Angelich, a friend and colleague, who had died a few days before. “It really is a live recording,” says Capuçon, “of the kind that you don’t always get to create in a studio. I feel, of course, honoured to be playing this repertoire with Martha, but at the same time it feels so natural. It’s the picture of a moment in time, rather like the photograph on the front cover, which was snapped just beside the dressing room a minute before we went on stage.
“The funny thing about the repertoire is that I discovered the Schumann Sonata in A minor through the recording Martha made with Gidon Kremer in the 1980s. It gives me almost a sense of vertigo, as you realize how time flies.” Capuçon credits Argerich for having profoundly influenced his own Schumann interpretations. “She’s the most incredible Schumann player, because she reflects so much his changes of mood. She has said that she feels Schumann comes very naturally to her. She has an amazing way of reflecting what his music means, with and beyond the conflict of his alter egos, Florestan and Eusebius. Discovering the sonatas through that recording led me to the other chamber music and then to the Violin Concerto, which became one of my favourites, if not the number one concerto of my life.”
In the past, Capuçon says, he and Argerich have often performed Beethoven’s Violin Sonata No. 8 in G major op. 30/3; but they came to No. 9, the “Kreutzer”, later on, playing it for the first time together about two years ago. “I remember the first time we read through the second movement, the variations. I almost had to laugh, because I’d never heard it sound like this before. It was so incredibly clear, fast, but with temperament. Since then, whenever we play the ‘Kreutzer’ Sonata together, it feels like fireworks.”
The first movement opens with several bars on the violin alone: “I begin the sonata feeling the thrill that something extraordinary is about to happen. It is not every day that you play with somebody about whom you are so excited. And, because there is such a degree of trust, we are in a special place together: we don’t want to do a good concert, we are there to have an extraordinary experience. It was something new for me, to experiment with this feeling on stage. I’ve been fortunate to work with some amazing musicians in the past, conductors and colleagues who will really have a place in history. But Martha is one of the only ones who gives me the feeling of being beyond free. You are free, but then there is a degree further – and that’s what we have in the ‘Kreutzer’ Sonata.”
Capuçon and Argerich have each played the César Franck Violin Sonata frequently, both together and with other partners. “We came to the Franck with two completely different backgrounds,” says Capuçon. “But straightaway we got along in it very easily. In this work, she challenges me every time. She doesn’t know she is doing so, of course! She doesn’t do it on purpose. She does it because she exists. But it’s really a kind of improvisation. We paint a new picture with it every time. We have a very simple, straightforward relationship. There is this incredible trust between us. On stage we have huge, huge fun. I think that in this recording you can hear it.”
Jessica Duchen