Man kann es Zufall oder auch Schicksal nennen, dass sich die Wege von Robin Hannibal aus Kopenhagen und Mike Milosh, einem Kanadier – zu jener Zeit jedoch ein Wahlberliner –, irgendwann gekreuzt haben. Wichtiger ist jedoch, dass sie sich seit ihrem Zusammentreffen – im Klartext: dem Aufeinandertreffen zweier kreativer Handschriften, die sich perfekt ergänzen – nur einer einzigen Sache verschrieben haben: unter dem Namen Rhye Musik zu machen, die einfach nur schön sein will. Dabei hatten die beiden genau genommen schon lange vor der Gründung von Rhye voneinander gehört: „Die Musik von Milosh hatte mich schon seit Jahren begleitet“, berichtet Robin, „und als es dann darum ging, einen Remix für meine Aufnahmen mit Quadron in Auftrag zu geben, da fiel unsere Wahl ganz schnell auf Milosh.“
Als Fan des dänischen Duos freute es Mike natürlich besonders, die Gelegenheit zu bekommen, einem ihrer Songs seinen Remix-Stempel aufzudrücken. Als die überarbeitete Version dann jedoch bei Robin in Kopenhagen auf dem Tisch landete, war das nicht unbedingt das, womit er gerechnet hätte. Stattdessen erwartete ihn eine Offenbarung: „Das klang streng genommen gar nicht mehr wie ein Remix; denn stattdessen hatte Mike diverse Gesangsschichten zusätzlich aufgenommen und sie alle übereinandergeschichtet – und dadurch war es gewissermaßen ein vollkommen neuer Song“, berichtet er. „Ja, es war tatsächlich eher ein Entwurf für ein ganz anderes Stück und so begann ich, basierend auf seinen Gesangsschichten, tatsächlich einen ganz neuen Song zu bauen.“
Es war eine kleine Sache, eigentlich, aber zugleich der Startschuss für ein sehr viel größeres Projekt. Robin überarbeitete die Stücke und baute dazu einen vollkommen neuen Song aus jenen Fragmenten, die Milosh ihm zugeschickt hatte. Und als es dann schließlich ihre beiden Terminkalender zuließen, flog Milosh nach Kopenhagen, um dort mit Robin in dessen eigenes Studio zu gehen. Die Chemie stimmte auf Anhieb – und kein Wunder: Beide lieben den Soul-Sound der Sechziger, und auch was Soundtracks von Kino-Klassikern angeht, sind sie voll und ganz auf derselben Wellenlänge.
Noch entscheidender war nur die geteilte Ansicht, dass Musik einen mitten ins Herz treffen, ja bestenfalls umhauen sollte. Musik, die den Puls ankurbelt, die Nackenhaare aufrichtet – das war es, was sie machen wollten. Und zwar ohne aufgesetzte Attitüde, ohne Effekthascherei, und vor allem auch ohne Ego oder unnötiges Gepose. Einfach nur wunderschöne Musik, die auf Gefühle setzt, nicht auf Formeln. „Ja, wir beide stehen voll auf emotionale Sachen, auf Musik, die auch mal richtig unter die Haut gehen kann“, gesteht Robin. „Und Mike schafft das einfach. Seine Stimme verfolgt einen. Da schwingt so vieles mit.“
„Meine Stimme ist in den letzten sechs Jahren schon so oft mit der von Sade verglichen worden, dass mir das inzwischen gar nichts mehr ausmacht, um ehrlich zu sein“, so Milosh. „Mir haben Frauenstimmen schon immer mehr zugesagt, und das mag daran liegen, dass sie so etwas Beruhigendes haben. Etwas Tröstendes. Geborgenheit ist es vielleicht. Mich interessiert einfach nur die Schönheit der Musik, viel mehr als die ganzen anderen Nuancen, die man sonst überall hören kann.“
„Wir haben dann immer weiter gefeilt an den Stücken, immer mehr weggenommen, bis der eigentliche Kern des jeweiligen Songs wie bei einer Skulptur zum Vorschein kam – wie aus Stein gemeißelt“, erzählt Milosh von ihrer Zusammenarbeit, die zu jener Zeit noch digital über große Distanzen hinweg stattfand. Als Robin dann jedoch in Los Angeles gelandet war und der Terminkalender von Milosh sich endlich etwas geleert hatte, stand der Sache nichts mehr im Weg: Die Zeit für Rhye war gekommen. Gemeinsam in L.A. hatten sie fast einen ganzen Monat, in dem sie konzentriert an ihrem filmischen Breitwand-Sound feilen konnten.
Die Musik von Rhye klingt dermaßen groß und überwältigend, dass man meinen könnte, sie sei in den Studios von Capitol Records entstanden – doch die Realität sieht ganz anders aus: „Wir haben alles hier in der Wohnung in Los Feliz aufgenommen“, berichtet ein lachender Robin. „Ich hoffe mal, dass sie dadurch jetzt nicht ihren ganzen Zauber verloren hat!“ Im Gegenteil, denn dieses Geständnis wirft automatisch die nächsten Fragen auf: Wie haben sie es nur geschafft, in einer kleinen Wohnung im Norden von L.A. ein Album aufzunehmen, das so satt und warm klingt wie große Klassikeraufnahmen, und das zugleich so präzise, so exakt definiert wirkt wie digitale Dance-Sounds? Als Antwort hat Robin nur anzubieten, dass er in dieser kleinen Wohnung nun mal ein paar Mikros aufgebaut hat, ein paar Aufnahmegeräte, dazu schöne Gitarren und einen kleinen Ventilator, der die Hitze etwas erträglicher machen sollte.
„Genau hier haben wir alles aufgenommen“, sagt er und geht ins Detail: „Die Bläser und auch das Schlagzeug, wobei ich gar kein ganzes Set hier reinbringen konnte. Ich hab dann einfach die verschiedenen Schlagzeugsounds einzeln aufgenommen: Erst die Snare, dann die Bass-Drum… und schließlich haben wir sogar eine Harfe die Treppe hinaufgeschleppt, um die nötigen Spuren einzuspielen.“
„Ich war meistens schon ganz früh bei ihm, und dann haben wir ohne Pause gearbeitet, bis wir dann irgendwann abends so unglaublich hungrig waren und allein deshalb aufhören mussten“, erinnert sich Milosh. „Eigentlich war das Ganze daher eine einzige Endlos-Session: Einfach machen, alles andere war egal.“
Nach vier Wochen dieses „Einfach-Machens“ waren die Aufnahmesessions für Rhye beendet: Milosh kehrte vorerst nach Berlin zurück – um wenig später auch nach L.A. zu ziehen, weil dort seine Liebste (inzwischen: Angetraute) lebt –, und Robin arbeitete ebenfalls fleißig in seiner neuen Wahlheimat L.A. weiter. Was sie jedoch an diesen langen, unsagbar heißen Tagen in Los Feliz aufgenommen und kreiert hatten, waren Klangexperimente, die ganz klar von einer Sache gespeist und angefeuert wurden: Ihrer persönlichen und kreativen Chemie und dem unbedingten Wunsch, etwas Emotionales und Großes zu erschaffen.
Gewiss haben sie sich etwas dabei gedacht, als sie den Entschluss fassten, nicht in ihren Videos aufzutreten oder Fotos von sich zu Promo-Zwecken rauszugeben… Nur um Geheimniskrämerei oder Understatement als Marketingtaktik ging es dabei nicht. Der Grund war viel einfacher: „Die Leute sollten sich einfach nur auf die Musik konzentrieren, die wir geschaffen haben.“