Band of Joy (VÖ: 10.09.2010)
Wie kommt es nur, dass wir noch immer an Robert Plants Lippen hängen, wenn er wieder einmal ans Mikrofon tritt und ein neues Album präsentiert? Wie kann es sein, dass unzählige Menschen auch nach über vierzig Jahren im Musikgeschäft seiner nächsten Veröffentlichung entgegenfiebern? Gründe dafür gibt es sicherlich viele; doch zwei von ihnen sind besonders entscheidend: Zum einen wäre da natürlich seine Stimme. Schließlich ist die Stimme das zentrale Element, mit dem man seine Zuhörer und Zuhörerinnen erreicht, eine Verbindung zu ihnen aufbaut und sie in den Bann seiner Musik zieht. Plants Stimme hat etwas Fesselndes, und das in vielerlei Hinsicht: der bloße Klang von ihr, das Spektrum, das von einfühlsam und zart bis kantig und unvergleichlich hart reicht; seine Phrasierung, in der stets diese für ihn typische Dringlichkeit mitschwingt, und was vielleicht am wichtigsten ist: diese Poesie, die in ihr liegt, und die Tatsache, dass sein Gesang stets auch etwas Geheimnisvolles zu transportieren scheint.
Der zweite Grund dafür, dass Plant auch nach so vielen Jahren noch immer die Menschen fasziniert, ist die Tatsache, dass er stets neugierig und hungrig geblieben ist – und zwar ausgesprochen hungrig. Ihm hat es weder genügt, den Sound einer der erfolgreichsten Bands in der Geschichte des Rock wieder zu beleben, noch scheint es ihn jemals interessiert zu haben, zwei Alben hintereinander zu veröffentlichen, die in eine vergleichbare musikalische Kerbe schlagen; vielmehr scheint er von einem schier unstillbaren Durst nach neuen Einflüssen und Richtungen angetrieben zu sein – und dabei kann es schon mal vorkommen, dass er sich eben noch mit Klängen aus Nordafrika befasst, um gleich im Anschluss musikalisch in die Appalachen-Region aufzubrechen. Wichtig ist dabei nur eines: Die Musik muss ihn packen, ihn bewegen.
Die ersten Aufnahmen seiner Karriere machte Robert Plant im Jahr 1966. Im Jahr drauf hatte er eine Gruppe namens Band of Joy um sich versammelt, zu der auch der Schlagzeuger John Bonham gehörte. Es dauerte nicht lange, bis Bonham und Plant gemeinsam mit dem Gitarristen Jimmy Page und dem Bassisten John Paul Jones eine Band namens The New Yardbirds gründeten, die sich schließlich in Led Zeppelin umbenennen sollte.
Als John Bonham im Jahr 1980 starb, endete die Ära von Led Zeppelin. Seither hat Plant seinen musikalischen Entdeckergeist auf diversen Soloalben ausgelebt; dazu machte er Aufnahmen mit Jimmy Page und spielte diverse Alben mit Bands wie The Honeydrippers, Priory of Brion und Strange Sensation ein. Mal präsentierte er Psychedelic-Rock von der US-amerikanischen Westküste, dann Roots- und Blues-Sound, mal afrikanische Musik und dann wieder klassischen Folk.
Für das Album Raising Sand, das er 2007 gemeinsam mit Alison Krauss veröffentlichte, erweiterte er seinen musikalischen Horizont abermals: Die so überraschende wie grandiose Zusammenarbeit mit Krauss, für die er den Produzentengott T-Bone Burnett gewinnen konnte, wurde nicht nur von Kritikern und Fans abgefeiert sondern schließlich auch mit sechs Grammy-Awards ausgezeichnet – unter anderem in den Kategorien “Album des Jahres” und „Song des Jahres“ (für das Stück “Please Read The Letter”, eine Komposition von Plant und Jimmy Page).
Für Band of Joy, sein neuestes Werk, hat Plant nun Buddy Miller als Co-Produzenten engagiert, der während der Tour zum Raising Sand-Album bereits in seiner Band gespielt hatte. “Ich habe Buddy Miller gefragt, weil er jedem Konzert, das ich mit Alison gespielt habe, diese gewisse Magie verliehen hat. Dieses geballte Musikwissen, dieser Blick, den er hat… er ist so etwas wie der Kurator eines Rock-&-Roll-Museums, dessen gesamten Fundus man in drei bis vier Gitarrenkoffer gestopft hat, und man muss diese Koffer bloß aufreißen und die Gitarren so stimmen, wie es einem in den Sinn kommt – und schon hat man ein Wahnsinnsergebnis.”
Warum aber das neue Album so nennen wie eine seiner ersten Bands? “Nun, als ich siebzehn war und mit der Band of Joy Musik machte, spielte ich nur Songs von anderen Künstlern und verwandelte sie in etwas Eigenes; und ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es an der Zeit war, an diese Einstellung und diesen Ansatz anzuknüpfen und dort weiterzumachen.”
Am wichtigsten war für Plant dabei, die Kompositionen nicht einfach nur zu covern, sondern sie wirklich zu “seinen Songs” zu machen: “Ich wollte diesen Stücken unbedingt meinen persönlichen Stempel aufdrücken und gewissermaßen eine Tür auftreten: meine Hüfte dazwischen schieben und Raum für eigene Impulse schaffen. Natürlich singe ich nun mal so wie ich singe, und wenn ich mir also Songs von anderen vorknöpfe, kann ich sie gewissermaßen nur wie Plant-Songs klingen lassen; also dachte ich an Zeppelin III, an diese Mischung aus Akustikklängen und druckvollen E-Gitarren.”
Die Band of Joy, die ihn unterstützt – bestehend aus Darrell Scott (Akustikgitarre, Mandoline, Oktav-Mandoline, Banjo, Akkordeon, Pedal-Steel- und Hawaii-Gitarre), Byron House (Bass), Marco Giovino (Schlagzeug und sonstige Percussion-Instrumente) und natürlich Miller (E-Gitarre, Baritongitarre, Sechssaiter-Bass, Mando-Gitarre) –, legt von Anfang an richtig los und präsentiert auf dem Eröffnungsstück “Angel Dance” von Los Lobos einen Groove, der sofort in die Beine geht, während die orientalische Melodie, die im Refrain durchschimmert, noch einmal daran erinnert, wie breit gefächert das musikalische Spektrum ist, das Plant bei seinen Interpretationen einbezieht. Weiter geht’s mit “House Of Cards” von Richard Thompson, in dem Plant und Co. dem Folkrock-Sound von britischen Bands wie Fairport Convention und Pentangle einen vollkommen neuen Anstrich verpassen. Auf Thompson angesprochen, sagt Plant, er sei “noch so ein Musikbesessener” und beschreibt den Song selbst als “so unglaublich gut und so unumstößlich: der Text ist einfach grandios.”
“Central Two-O-Nine” von Plant und Miller ist ein Akustiksong mit einem Refrain, der fast schon an Kirchengesänge erinnert. “Das Stück hat etwas von ‘Hats Off To Harper’ von Zeppelin III; ich habe darin alle grandiosen Blues-Einflüsse verarbeitet, die mir in dem Moment gerade in den Sinn gekommen sind.”
Ihre Interpretationen von “Silver Rider” und “Monkey” (ursprünglich aus der Feder der Band Low) erinnern vielleicht am ehesten an die ätherischen Klänge von Raising Sand, nur ist es dieses Mal Patty Griffin, deren Stimme den perfekten Gegenpart zu der von Plant bildet. Er beschreibt Pattys Gesang in diesem Fall als “eine Art Mischung aus This Mortal Coil und The Shangri-Las.” Referenzen und Vergleiche hin oder her, die zwei ergänzen sich perfekt und kreieren auf diesen beiden Coverversion eine Stimmung, die wunderschön mysteriös und geheimnisvoll klingt.
Barbara Lynns Song „You Can’t Buy My Love“ entdeckte Plant auf einer Compilation, die dem Oxford Magazine beigelegt war, “und ich fand das Stück einfach superschön”, wie er zu berichten weiß. “Es ist ein richtiger Popsong, also habe ich bei der Überleitung noch ein paar ‘Ooh Oohs’ eingebaut, während sich Patty voll auf die Nummer eingelassen hat und wir beide zusammen einfach alles gegeben haben. Der Song klingt, als käme er aus einem Schrank, den dein Onkel im Jahr 1963 zugenagelt hat: Man öffnet die Tür und schon springt er einen an und dröhnt los.”
Aus der gleichen Ära stammt auch “I’m Falling In Love Again”, das ursprünglich von The Kelly Brothers aufgenommen wurde. “Mag sein, dass es daran lag, dass wir dieses angelsächsische Ding im Studio am Laufen hatten, auf jeden Fall gingen wir bei diesem Song fast schon automatisch in Richtung Honeydrippers und Country. In diesem Fall ist es uns wahrscheinlich am besten gelungen, auch die anderen Stimmen einfließen zu lassen. Mir war nämlich von Anfang an wichtig, dass wir auf dem Album tatsächlich wie eine BAND klingen, eine Band of Joy: Meine Stimme sollte von diversen anderen Stimmen umgeben und eingerahmt sein. Ich glaube, dass ich in dieser Hinsicht ziemlich verwöhnt war von meinen vorherigen Aufnahmen, bei denen mich Stuart Duncan und Buddy und Alison am Mikrofon unterstützt haben, denn dadurch habe ich mich voll daran gewöhnt, dass es noch andere Stimmen neben meiner gibt.” Die zusätzlichen Stimmen – hier die von Buddy Miller und Darrell Scott – klingen in diesem Fall wie ein Gospel-Quartett aus den Südstaaten und verleihen dem Track ein klassisches Country-Feeling.
“The Only Sound That Matters” hingegen klingt zwar einfach nur unbeschwert und ausgelassen, doch liegt Plant gerade die Aussage dieses Songs besonders am Herzen: “Ich glaube, dass Musiker, die es ‘wirklich ernst meinen’ einen ganz anders berühren können mit ihren Songs; das ist eine der schönsten Sachen überhaupt, wenn eine Gruppe von Menschen, die wirklich das in ihren Songs zum Ausdruck bringt, was sie denkt und fühlt, einen packen und mitreißen kann: du hörst diesen großartigen Text und musst automatisch ‘Wow’ sagen,… und die Idee hinter diesem Text ist einfach fantastisch.”
Plants Aufnahme des Folk-Klassikers “Cindy I’ll Marry You Someday” basiert auf der Version von Bascom Lamar Lunsford. Und selbst wenn es der vielleicht schlichteste Folk-Song der gesamten LP ist, spielte ausgerechnet dieser Track eine zentrale Rolle bei der Suche nach dem richtigen Sound. “Nachdem wir rund drei Stunden zusammen gespielt hatten, entdeckten wir nach und nach den gemeinsamen Nenner – unseren Sound als Band also; dabei haben wir wahrscheinlich sogar mit der schwierigsten Nummer angefangen, denn als erstes versuchten wir uns an ‘Cindy I’ll Marry You Someday’. Einerseits musste ich mich und meine Vorstellungen einbringen, also den Ton angeben, doch ich musste zugleich auch darauf achten, in welche Richtung die anderen mit diesem Stück gehen wollten und was sonst so alles um mich herum passierte. Als es dann jedoch geklickt hatte, wuchsen wir mit jedem Song immer mehr zu einer Einheit zusammen.”
Townes Van Zandts besinnliches Stück “Harm’s Swift Way” verwandelt Plant schließlich sogar in eine astreine Rock-Hymne: “Ich hörte mir die Aufnahme von Townes an, und sie klang fast schon wie eine Demoversion; und dazu kommt, dass auch dieser Text es in sich hat: Er haut einen unweigerlich um. Wie er den Song präsentiert, hat definitiv etwas Verstörendes: Es klingt wie das allerletzte Demo, das man aufnimmt, bevor man die Gitarre zur Seite legt, um sie danach nie wieder anzufassen. Wie ein Schlusspunkt, mit dem alles ein Ende hat, schließlich ist seine Version tieftraurig und klingt fast schon wie ein Klagelied. Also dachte ich mir, dass man die Nummer bestimmt auch umkrempeln und etwas vollkommen anderes daraus machen kann, weil der Text so tiefgründig ist und er so viel hergibt. Es sollte allerdings kein musikalisches Denkmal für ihn sein, sondern einfach sein Werk auf ganz andere Weise reflektieren und daran erinnern.”
Das Album endet mit dem minimalistischen Arrangement und dem flehenden Gesang des Country-Klassikers “Satan, Your Kingdom Must Come Down”, woraufhin Band of Joy das rund 150 Jahre alte Gedicht “Even This Shall Pass Away” in ein fast schon psychedelisches und ziemlich treibendes Lied verwandeln und damit ihren Longplayer ausklingen lassen. Beide Songs sind ein Rückblick – oder sollte man vielleicht besser sagen: ein Blick nach vorn – auf die einzigartige Karriere von Robert Plant. Wir schreiben das Jahr 2010, und wir hängen immer noch an seinen Lippen.